"Es gibt einen Geburtsfehler des Euro"

Jorgo Chatzimarkakis im Gespräch mit Nana Brink · 25.03.2010
Der FDP-Europaabgeordnete Jorgo Chatzimarkakis hat angesichts der Finanzkrise Griechenlands eine starke Kontrolle internationaler Hilfen und die Schaffung eines Europäischen Währungsfonds gefordert. Es brauche nun eine kurzfristige Lösung für das Land, sagte Chatzimarkakis.
Nana Brink: Es wäre nicht übertrieben, von einem babylonischen Sprachengewirr zu sprechen anlässlich des heute beginnenden Frühlingsgipfels der Europäischen Union. Wie kann Griechenland geholfen werden? Das Thema steht zwar offiziell nicht auf der Tagesordnung, bestimmt aber natürlich die Diskussion.

Seit Tagen schwirren die unterschiedlichsten Modelle durch die politische Landschaft, und nun scheint es, als würde sich die deutsche Position durchsetzen, die besagt, der Internationale Währungsfonds, IWF kurz genannt, soll einspringen.

Die Europäische Kommission und auch Stimmen aus dem Europäischen Parlament sind strikt gegen eine auswärtige Lösung. Auch die Europäische Zentralbank meldet Widerstand an. Ich spreche jetzt mit Jorgo Chatzimarkakis, er sitzt für die Liberalen im Europaparlament. Einen schönen guten Morgen, Herr Chatzimarkakis!

Jorgo Chatzimarkakis: Guten Morgen aus Brüssel!

Brink: Bringen wir doch ein bisschen Klarheit in die Situation: Wer kämpft denn hier gegen wen und warum?

Chatzimarkakis: Also wir haben einen europäischen Vertrag, den Lissaboner Vertrag, und der hat zwei widersprüchliche Artikel. Der eine Artikel besagt – und der ist in Deutschland sehr bekannt –, dass es eine sogenannte No-Bail-out-Rule gibt, also eine Regel, dass niemand den anderen heraushauen darf aus einer Schuldensituation.

Dann gibt es aber auch noch den Artikel 122, der besagt Solidarität – zur Bewahrung der Stabilität des Euro muss es eine europäische Solidarität geben. So. Jetzt ist das aber nicht so klar gefasst, dass man eindeutig sagen könnte, so kann man Griechenland helfen oder so. Deswegen gibt es jetzt eine Geschichte, die aus zwei Denkschulen besteht.

Die eine Denkschule sagt: Wenn es einen Staat gibt, der am Rande des Bankrotts ist, dann muss es Hilfsgelder aus Washington geben vom IWF. Eine andere Familie Denkschule sagt: Auf keinen Fall darf der IWF eingreifen, wenn er das täte, dann hätte Washington, also die USA, und dann hätte Peking, also China, Zugriff, Eingriff auf die europäische Währungspolitik, das wollen wir nicht. Und im Moment ist so ein bisschen der Kampf zwischen diesen beiden Denkschulen.

Brink: Aber es sieht ja so aus, als ob sich die eine Denkschule, nämlich die, die dafür plädiert, dass der IWF, der Internationale Währungsfonds, sich einmischt, durchsetzt, dahinter steht Deutschland und wahrscheinlich auch Frankreich. Dagegen ist die Europäische Kommission. Was ist Ihre Position?

Chatzimarkakis: Na ja, dahinter steckt nicht Deutschland, sondern dahinter steckt die Kanzlerin. Der Bundesfinanzminister ...

Brink: Gut, ja aber sie vertritt Deutschland, die deutschen Interessen dort.

Chatzimarkakis: Die Kanzlerin hat sich durchgesetzt – übrigens war Frankreich, Präsident Sarkozy, am Anfang auch gegen die IWF-Lösung –, aber offenbar hat das Drängen der Kanzlerin, überhaupt nicht zu helfen, dazu geführt, dass man sich auf diesen Kompromiss jetzt geeinigt hat. Meine Haltung dazu ist, ich bin auch gegen einen Zugriff Washingtons und Pekings, ich bin für die Schaffung eines europäischen ...

Brink: Also gegen die Einbeziehung des Internationalen Währungsfonds?

Chatzimarkakis: Ja. Ich bin für die Schaffung eines europäischen Mechanismus, der im Falle einer Insolvenz tatsächlich greift, Staatsinsolvenz, aber wir haben im Moment die Situation, dass dieser Mechanismus ja gar nicht da ist.

Es gibt einen Geburtsfehler des Euro, der Euro war gebaut auf diese No-Bail-out-Klausel, und das war nicht genug, wir haben keine politische Union gehabt damals, wir haben auch keine kohärente Wirtschafts- und Finanzpolitik, was dazu führte, dass Griechenland in die Situation kam, in der es ist. Das heißt, wir brauchen jetzt eine kurzfristige Lösung, falls Griechenland zahlungsunfähig sein sollte, was es nicht ist, das muss man ganz klar immer sagen.

Und deswegen wäre der Kompromiss, sich darauf zu einigen, dass im Falle Griechenlands tatsächlich der IWF einspringen dürfte, aber nur unter ganz strengen europäischen Auflagen. Dass der IWF schon da war – der IWF hat eine Methodik, wie man Staaten in einer schwierigen Situation hilft –, das ist auch klar.

Das Team, das in Athen seit Wochen sich anschaut, wie die Griechen das Stabilitätsprogramm umsetzen, besteht aus der Europäischen Kommission, aus der Europäischen Zentralbank und aus einem IWF-Team, das bisher seine Methodik, nicht aber sein Geld angeboten hat.

Brink: Sie sagen also, die Einbeziehung des IWF sei eine kurzfristige Lösung, in diesem Falle ja sinnvoll. Wie verkaufen Sie das eigentlich den anderen Wackelkandidaten, ich sag' mal Spanien oder Portugal, die ebenfalls in Schwierigkeiten stecken und ja auch nach diesem griechischen Modell in der EU ja jetzt rufen könnten?

Chatzimarkakis: Na ja, das ist ja das große Problem, dass wir hier einen Präzedenzfall jetzt schaffen mit Griechenland, der Folgen haben kann für weitere Fälle, und Griechenland macht nur 2,7 Prozent der Eurozone aus. Ein Kandidat, ein Wackelkandidat, Spanien würde ungleich mehr, ungleich mehr Verwirrung hervorrufen.
Und deswegen schaffen wir hier einen wichtigen Präzedenzfall, wenn wir sagen, das wird zur Regel.

Deswegen müssen wir sagen, der IWF hier kann nur die Ausnahme sein, denn sonst haben wir für unseren Euro tatsächlich Einfluss der Amerikaner und der Chinesen, und das ist nicht gut. Das sage ich ganz deutlich, das ist auch, glaube ich, die Haltung des Bundesfinanzministers, auch die Haltung der französischen Regierung, denn damit – wir haben eine strategische Währungspolitik, Sie wissen oder wir wissen alle, dass der Yuan zum Beispiel ständig unterbewertet ist und damit die Exporte beflügelt der chinesischen Wirtschaft. Wir wollen das nicht.

Wir wollen, dass der Euro eine stabile Währung bleibt und daher unbeeinflusst vom Einfluss der Amerikaner und der Chinesen. Was wir aber brauchen – und Sie haben ja auch die Frage gestellt, wie machen wir das in Europa: Der Begriff Europäischer Währungsfonds ist offenbar ein bisschen verbrannt. Er ist auf den Tisch gelegt worden, auch von Bundesfinanzminister Schäuble, die Idee wurde zirkuliert, die Idee wurde auch für gut befunden, aber offenbar verstehen viele Menschen unter EWF, Europäischer Währungsfonds, unterschiedliche Dinge.

Ich habe gehört, dass zum Beispiel in meiner Bundestagsfraktion, der FDP-Bundestagsfraktion, sehr viele darunter verstehen, dass das ein Geldverschiebemechanismus ist. Das darf es aber nicht sein. Es geht wirklich darum, dass es einen Mechanismus gibt, der Staaten, die Schwierigkeiten mit der Finanzführung haben, diszipliniert, sehr früh diszipliniert, weil dazu der bisherige Mechanismus einfach nicht ausreicht.

Brink: Die jetzige Lösung ist ja hauptsächlich zwischen Deutschland und Frankreich ausgehandelt worden. Ist das Europäische Parlament, in dem Sie ja auch sitzen, in dieser Situation zahnlos?

Chatzimarkakis: Nein, wir sind nicht zahnlos. Wir haben einen Untersuchungsausschuss, wenn Sie so wollen, gegründet und machen das auch, führen Untersuchungen durch, warum es überhaupt zu dieser griechischen Finanzkrise kommen könnte. Wir sind ziemlich klar und laut, wenn es darum geht, die Fehler und Defizite der Kommission zu benennen.

Die Kommission wusste seit 2004 genau, was in Griechenland passiert, wie die Statistiken dort gefälscht wurden. Das hat Tür und Tor geöffnet für Spekulationen, und sie hat nichts getan. Und das Europäische Parlament zitiert die Kommissare vor die Ausschüsse. Wir haben einen Sonderausschuss zur Finanzkrise, geleitet von meinem Kollegen Wolf Klinz. Wir sind nicht zahnlos, wir kontrollieren und wir sagen auch der Kommission, aber auch dem Rat ganz klar, in welche Richtung er gehen muss.

Brink: Jorgo Chatzimarkakis, er sitzt für die Liberalen im Europaparlament, und wir sprachen über den EU-Gipfel und die Finanzhilfen für Griechenland. Vielen Dank für das Gespräch!

Chatzimarkakis: Danke Ihnen!