"Es geht um vorgefundene Bilder"

Von Günter Beyer · 21.08.2010
Götz Diergarten fotografiert Ferienhäuser in Europa. Er steht damit in der Tradition von Bernd und Hilla Becher, die die karge Schönheit des Sauerlandes in Schwarzweiß festhielten. Die Ausstellung "Götz Diergarten - Photographs" ist in Bremen zu sehen.
Der Sommer ist vorbei. Die Feriengäste haben die Badehäuschen am Strand verlassen und zugesperrt, alles Leben ist aus ihnen verschwunden. Nun sind die Fassaden nur noch farbige Flächen: Rechtecke aus weißen oder blauen Brettern, senkrecht, waagerecht. Die Fenster rostfarbene Quadrate. Eine monotone Allerweltsarchitektur, nur Ziffern und manchmal Namen verleihen ihr einen Hauch von Unterscheidbarkeit.

"Die Ferienhausprojekte, die ich verfolgte, so von 2001 bis 2005 in verschiedenen Ländern Europas, die gaben mir die Möglichkeit, kleine mikrokulturelle Unterschiede zwischen Ländern, die geografisch sehr nah, dann aber in der Laienarchitektur, Farbgebung, Formgebung, Formsprache doch Nuancenunterschiede aufzeigen, herauszuarbeiten."

Der Fotograf Götz Diergarten vermeidet Schatten und rückt seine Objekte zentral vor die Linse. Für ihn sind die Badehäuschen an den Küsten Belgiens, der Normandie und Englands in erster Linie Lieferanten von Flächen und zart pastellfarbenen, geometrischen Kompositionen. Seine Fotografie ist nur auf den ersten Blick dokumentarisch, sie lotet vielmehr die Grenzen zur Malerei aus. Und gerade deshalb hat Carsten Ahrens, der Direktor der "Weserburg", den 1972 geborenen Künstler nach Bremen geholt.

"Weil mich zutiefst überzeugt hat, die fantastische Art und Weise, wie Götz Diergarten vermeintliche Dokumentarfotografie verbindet mit der Poesie der Farben. Er kommt natürlich als Becher-Schüler aus einer großen Fotografie-Tradition, und das Großartige an ihm ist, dass er die konzisen Konzepte, die er ja durchaus verfolgt, in der Lage ist, immer wieder in einen leichten Schwebezustand, in eine Balance zu bringen, dass man innerhalb dieses Werkes auch nie gefeit ist vor Überraschungen, und das ist für mich die große künstlerische Energie, die hinter diesem Werk steht."

Der Fotograf als Maler - mit Werken, die bisweilen an Piet Mondrian erinnern, an US-amerikanische Farbfeldmalerei, aber auch an russische Konstruktivisten wie El Lissitzky und Alexander Rodtschenko. Götz Diergarten sagt über sich selber, er sei Bilderfinder, kein Bild-Erfinder. Bei der Arbeit unterwirft er sich strengen Regeln.

"Ich will nichts verändern. Es geht um vorgefundene Bilder, und dadurch, dass sie aus der Banalität, aus dem Alltagsleben entrissen sind und uns alle umgeben und es davon zahlreiche gibt, suche ich halt die fehlerfreien Bilder oder die Bilder, die zwar eine gewisse Spannung haben durch gewisse Asymmetrien oder off-beats, wie ich sie gern bezeichne, Kontrapunkte, Details, wichtige. Wenn Bilder etwas zu wenig oder etwas zu viel haben, etwas störend ist... Das höchste der Gefühle ist vielleicht ne Zigarettenschachtel, dass ich die wegschnicke."

Diese Haltung, die geradezu besessene Suche nach dem perfekten Foto, habe er beim Studium in Düsseldorf mitbekommen, sagt Diergarten heute. Er kommt von der analogen Fotografie, erst seit zwei Jahren arbeitet er mit einer Digitalkamera. Nicht, weil er von ihren Vorzügen überzeugt ist, sondern schlicht, weil es immer schwieriger wird, vernünftige Abzüge vom Negativ aus dem Labor zu bekommen. Diergartens frühe Arbeiten aus den neunziger Jahren enthalten häufig typografische Elemente - etwa den blassblauen Schriftzug "Butter – Eier - Käse" an einer Wand in Potsdam. Häufig fotografierte er Fahrschulen, Friseurläden oder Änderungsschneidereien. Sein Lehrer Bernd Becher hatte ihn zu dem Typografie-Bezug ermuntert. Aber im Lauf der Jahre verschwanden die Schriften wieder. Diergarten arbeitet in breit angelegten Werkgruppen. Seit ein paar Jahren beschäftigt er sich mit den U-Bahnen Europas. Dabei geht es ihm nicht um Bewegung, Tempo, die hektische Sinfonie der Großstadt und das menschliche Gewimmel im Untergrund.

"Die Architektur als solche ist für mich Bildträger, Träger für Bilder, für Kompositionen, die man so nicht wahrnimmt. Die auch nicht bewusst von den Architekten der U-Bahn so gesehen wurden. Es sind auch Zufallsergebnisse dabei, und dann würde jeglicher Mensch im Bild diesen Grad der Abstraktion, dieses Bildhaft-Malerische, durchkreuzen."

Ockerfarbene und mattweiße Klinker der Londoner Tube, konkave und konvexe, bunte Fliesenbänder in Prag, die genieteten lindgrünen Pfeiler im U-Bahnhof Berlin Alexanderplatz, indirekt ausgeleuchtete weiße Verbindungsröhren in Wien - Diergartens menschenleere Metro ist ein überraschend ästhetischer und entschleunigter Ort.

Götz Diergartens Ausstellung "Photographs" ist bis zum 31. Oktober 2010
in der Bremer Weserburg zu sehen.
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