"Es gab in den ersten 17 Minuten über 1000 Alarmsignale"

Von Ralf Gödde · 20.03.2011
Der Untergang der "Petrobas 36" zeigte deutlich, wie gefährlich die Ölförderung auf hoher See ist - zehn Jahre vor der "Deepwater Horizon", die 2010 den größten Ölteppich der Geschichte produzierte.
"Es kam ein Telefonanruf: großes Unglück vor der brasilianischen Küste. Und dann habe ich sofort bei meinen brasilianischen Kollegen angerufen und habe die ganzen Fakten zu der Plattform zusammengesammelt und habe die Ereignisse verfolgt."

… erinnert sich Jörg Feddern, Energie-Experte bei Greenpeace. Die größte Bohrinsel der Welt drohte zu sinken. Sie war erst seit einem Jahr in Betrieb und sollte Brasilien unabhängig machen vom internationalen Ölmarkt.

"Die Plattform selbst war 110 mal 80 Meter groß, also hatte die Größe von einem Fußballfeld."

Kurt Reinicke leitet das Institut für Erdöl- und Erdgastechnik an der Technischen Universität Clausthal. Die gigantische Industrieanlage förderte täglich 12 Millionen Liter Öl und 1,3 Millionen Kubikmeter Erdgas. Aus 1900 Metern Tiefe.

"Es gab in den ersten 17 Minuten über 1000 Alarmsignale und keiner wusste, welches Alarmsignal ist jetzt nun das Entscheidende?"

Mitte März 2001 kommt es auf der Ölplattform Petrobras 36 zu einem folgenschweren Unfall. Jörg Feddern hat die Ereignisse damals für Greenpeace verfolgt.

"Die Hauptursache war, dass ein Gasgemisch in einen Notfalltank eingedrungen ist und Ventile nicht geschlossen haben. Und dann kam es zu einem Überdruck und dieser Überdruck führte dazu, dass dieser Tank geplatzt ist. Und das ist das Risiko und das Gefährliche auf solchen Plattformen, es ist immer Gas und Öl. Und Gas entzündet sich ganz leicht und das ist passiert. Es gab dann eine Explosion."

Elf Arbeiter kommen ums Leben. Ein Stützpfeiler wird so stark getroffen, dass die Plattform auf einer Seite absackt. Fünf Tage lang versuchen Spezialkräfte die über 30.000 Tonnen schwere Förderanlage zu stabilisieren. Doch vergeblich. Am 20. März 2001 versinkt der stählerne Koloss in den Fluten des Atlantiks. Der brasilianischen Küste droht eine gewaltige Umweltkatastrophe.

Seit 1965 ereigneten sich alleine 20 große Unfälle auf Ölplattformen, meistens ausgelöst durch heftige Stürme oder Explosionen. Dazu kommen die vielen kleineren Zwischenfälle auf den Bohrinseln, bei denen häufig auch Öl ins Meer gelangt. Jörg Feddern:

"Es gibt international keinerlei Sicherheitsstandards. Das wird so gehandhabt, dass jedes Land quasi Vorschriften macht, wie eine Plattform betrieben werden muss, das heißt auch, wie oft kontrolliert wird, wer kontrolliert wird. Das ist weltweit nicht geregelt."

Das Bohren und Ölfördern in der Tiefsee ist mit erheblichen Risiken verbunden. Bereits in den 80er-Jahren begann die Ölindustrie, in 500 Meter Tiefe nach dem schwarzen Gold zu suchen. Kurt Reinicke:

"Wir sind heute im Bereich 3500 Meter sowohl was die Exploration – also die Suche nach neuen Vorkommen anbelangt – als auch, knapp darunter dann, was die Produktion von Erdöl anbelangt."

Eine besondere Herausforderung für die Techniker ist es, den enormen physikalischen Druck in der Lagerstätte des Öls unter Kontrolle zu halten. Zumal Taucher nur bis maximal 200 Meter eingesetzt werden können. Jörg Feddern:

"Alles andere da drunter wird mit sogenannten ferngesteuerten Robotern gemacht. Das heißt, wenn es zu einem Unfall kommt, sitzt man oben an kleinen Joysticks und versucht dann, mit Robotern unten dieses Problem zu lösen und bei der Deepwater Horizon sehen wir, hat es nicht funktioniert."

Als im April letzten Jahres die Ölbohrplattform Deepwater Horizon im Golf von Mexico versinkt, gibt es wieder elf Tote. Drei Monate lang gelingt es trotz intensiver Bemühungen nicht, die sprudelnde Ölquelle zu verschließen. Insgesamt laufen rund 800 Millionen Liter Öl ins Meer. Mit noch unabsehbaren Folgen für das Ökosystem. Greenpeace fordert schon lange, die Tiefseebohrungen einzustellen.

"Wir müssen erstmal den ökologischen Zusammenhang in der Tiefsee verstehen, sprich erst muss die Wissenschaft kommen, untersuchen, was lebt wie, welche Rolle spielt dieses Ökosystem und dann darf man die Wirtschaft gegebenenfalls in diese Gebiete lassen und nicht umgedreht."

Das Unglück vor der brasilianischen Küste ist übrigens vergleichsweise glimpflich ausgegangen, die befürchtete Umweltkatastrophe vor zehn Jahren ausgeblieben. Denn die Förderlöcher konnten damals rechtzeitig verschlossen werden. Kurt Reinicke.

"Das Öl, das dann ins Meer gelangt ist, das war das Öl, das auf der Plattform in Tanks gelagert war, aber das war eine relativ überschaubare Menge – wesentlich weniger als das, was im Golf von Mexico jeden Tag ausgelaufen ist."

"Im Großen und Ganzen kann man in Anführungszeichen sagen, haben alle ein bisschen Glück gehabt, das hätte auch anders ausgehen können, wenn man nämlich diese Löcher da unten nicht dicht kriegt, dann hätte man so ein Desaster erlebt, wie jetzt im Golf von Mexiko."


2010: BP will für Schäden aufkommen - Konzern übernimmt Verantwortung für Ölpest im Golf von Mexiko