Erziehung, Kultur, Frieden

Von Karl-F. Gründler · 16.11.2005
Als im November 1945 die Vertreter von 37 Staaten die Verfassung der UNESCO unterzeichneten, war dies eine Antwort auf die immensen Zerstörungen in Asien und Europa während des Zweiten Weltkrieges. Die Unterzeichnerstaaten wollten nichts weniger, als den Frieden auf unserem Planeten dauerhaft sichern.
In der Präambel heißt es:

" Ein ausschließlich auf politischen und wirtschaftlichen Abmachungen von Regierungen beruhender Friede kann die einmütige, dauernde und aufrichtige Zustimmung der Völker der Welt nicht finden. Friede muss - wenn er nicht scheitern soll - in der geistigen und moralischen Solidarität der Menschheit verankert werden. "

Seit drei Jahren trifft sich der britische Erziehungsminister Lord Butler mit Kollegen von acht Exilregierungen darunter Norwegen, Polen und die Tschechoslowakei in London. Letztere hoffen dabei auf eine Teilhabe am demokratischen Nachkriegseuropa. Die Sowjetunion will sich bei ihrer Bildungspolitik nicht in die Karten schauen lassen und bleibt den Verhandlungen von Anfang an fern.

Die Minister planen den Wiederaufbau von Bildungs- und Kultureinrichtungen nach dem Krieg. Dabei geht es ganz praktisch um die Herstellung von Büchern und die Ausbildung von Pädagogen. Zunächst will man die kulturelle Zusammenarbeit mit bilateralen Verträgen zwischen einzelnen Staaten regeln. Das ändert sich im Frühjahr 1944: angesichts der Gründungsvorbereitungen für die Vereinten Nationen plant man jetzt einen dauerhaften internationalen Verband. Ein erster Entwurf für die Verfassung der geplanten UN-Organisation für den Wiederaufbau von Erziehung und Kultur liegt im April 1944 vor:

" Die kaltblütige und vorsätzliche Zerstörung kultureller Ressourcen in weiten Teilen Europas und Asiens durch faschistische Regime; der Mord an Lehrern, Künstlern, Wissenschaftlern und führenden Intellektuellen die Bücherverbrennung; die Plünderung und Schändung von Kunstwerken; die Ausplünderung von Archiven und Entwendung wissenschaftlicher Ausrüstung, haben Zustände erzeugt, die unsere Zivilisation gefährden und damit auch den Frieden, nicht nur in den Ländern und Kontinenten die von faschistischen Mächten verwüstet wurden, sondern in der ganzen Welt. "

Jetzt erkennen die USA die Möglichkeit, durch diese multinationale Organisation, ihre Vorstellungen von Umerziehung und demokratischem Wiederaufbau in Europa umzusetzen. Ihre Beteiligung an der Konferenz mit einer hochrangigen Delegation ist höchst willkommen. Stehen den immensen Zerstörungen in Europa doch kaum finanzielle Ressourcen gegenüber.

Der starke Einfluss der USA auf die UN-Erziehungsorganisation sowie deren geplanter Sitz in London scheinen gesichert, bis im April 1945 die gerade gegründete französische Regierung General de Gaulles eingreift. Zunächst setzt sie Französisch als gleichberechtigte Konferenzsprache durch. Und in einem eigenen Verfassungsentwurf werden die Ideale der Französischen Revolution zur Grundlage der geistigen Erneuerung von Nachkriegseuropa deklariert.

" In Anbetracht dessen, dass der Zweite Weltkrieg, in dem die Zivilisation und die Menschheit fast zugrunde gegangen wären, durch die Aufgabe der demokratischen Ideen und die Entfesselung von Gewalt verherrlichenden und die Ungleichheit der Rassen proklamierenden Ideologien möglich geworden ist, ist es die Aufgabe der Vereinten Nationen, die Prinzipien der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, auf denen ihre Charta aufbaut, in der ganzen Welt durchzusetzen."

Anfang November 1945 nimmt in London aufgrund eines Regierungswechsels eine unerfahrene britische Delegation am Konferenztisch Platz. Die USA setzen inzwischen mehr auf bilaterale Vereinbarungen mit den Regierungen in Europa. Auch darauf ist es zurückzuführen, das Frankreich seine Vorstellungen weitgehend durchsetzen kann und Paris zum zukünftigen Sitz der Organisation bestimmt wird. Die wissenschaftlichen Zusammenarbeit wird zum dritten Organisationsziel bestimmt. Am 16. November 1945 wird in London die Verfassung der "United Nations Educational, Scientific and Cultural Organisation", kurz UNESCO von 37 Teilnehmerstaaten feierlich unterschrieben. Dabei wird vereinbart, dass sie in Kraft tritt, wenn 20 Staaten die Verfassung ratifiziert haben. Der 4. November 1946, an dem Griechenland als zwanzigste Regierung seine Urkunde hinterlegt, gilt daher als das offizielle Gründungsdatum der UNESCO.