Erster Weltkrieg

Ein Kaleisdoskop an Gedanken einer Nation im Krieg

Eine ältere Frau blättert in einem Notizbuch - ihre Hände sind zu sehen.
Viele Deutsche versuchten, die Schrecknisse des Krieges zu verarbeiten, indem sie Tagebuch und Gedichte schrieben. © picture alliance / dpa / Lehtikuva Sari Gustafsson
Lisbeth Exner im Gespräch mit Christian Rabhansl · 30.08.2014
Ungezählte Gedichte sind während des Ersten Weltkriegs entstanden, allein eine Million sollen es im August 1914 gewesen sein. Viele haben die Kriegswirren nicht überstanden, aber einige schon, und die haben Lisbeth Exner und Herbert Kapfer nun zu einer Collage zusammengefügt. Und die erzählt viel über die Deutschen und was sie überhaupt über diesen Krieg wussten.
Allein im August 1914 sollen in Deutschland mehr als eine Million Kriegsgedichte verfasst worden sein, dazu ungezählte Tagebucheinträge. Viele dieser Zeilen wurden im Laufe der vergangenen hundert Jahre zerrissen, verbrannt, verloren, weggeworfen. Manche Tagebücher sind durch Zufall und Glück erhalten und heute im Deutschen Tagebucharchiv nachzulesen. Lisbeth Exner und Herbert Kapfer haben etliche der Tagebücher zu einer Collage über die ersten Kriegsmonate montiert.
Ergeben diese Tagebücher ein besonders authentisches oder besonders subjektives Bild der ersten Kriegsmonate? Herausgeberin Lisbeth Exner, Gast in der Sendung "Lesart", sagt:
Lisbeth Exner, Herbert Kapfer, Verborgene Chronik 1914 (Cover)
Lisbeth Exner, Herbert Kapfer, Verborgene Chronik 1914 (Cover)© promo
"Wenn man Tagebuch schreibt, dann entwirft man ein Bild von sich. Insofern ist das eine Fiktion. Und Geschichtsschreibung an sich ist ebenfalls eine Fiktion, weil Ereignisse in Zusammenhang gestellt und Überblicke geschaffen werden, wo man sich fragt: War es in der Realität wirklich so?"
"Die Soldaten wussten nicht einmal, wo sie gerade waren"
Auf erklärende Zwischentexte oder korrigierende Passagen haben Exner und Kapfer verzichtet. Die Autoren der Tagebücher versuchten, vor sich selbst Rechenschaft abzulegen, erläutert Exner:
"Das unterscheidet sich wesentlich von historischen Einschätzungen und gibt ein fast kaleidoskopartiges Bild davon, wie die Bewusstseinslage 1914 war."
In den Tagebüchern werde zudem deutlich, wie gering der politische Überblick der Bevölkerung zu Beginn des Ersten Weltkriegs gewesen sei.
"Gerade die Soldaten, die im Vormarsch waren, haben nicht einmal Zeitungsberichte mitbekommen. Die wussten zum Großteil nicht einmal, wo sie genau sind und was die Heeresleitung mit ihnen vorhat."

Lisbeth Exner, Herbert Kapfer: Verborgene Chronik 1914. Ausgewählt aus über 240 Tagebüchern des Ersten Weltkrieges
Herausgegeben vom Deutschen Tagebucharchiv
Verlag Galiani Berlin, Juni 2014
416 Seiten, 24,99 Euro

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