Erster Internationaler Kinoorgel-Wettbewerb

"Der Musiker gibt von sich viel rein in den Film"

Organistin Anna Vavilkina gehörte zur Jury des ersten Internationalen Kino-Orgel-Wettbewerbs in Berlin.
Organistin Anna Vavilkina gehörte zur Jury des ersten Internationalen Kino-Orgel-Wettbewerbs in Berlin. © dpa / picture alliance / Paul Zinken
Von Laf Überland · 12.07.2015
Jeden Sommer veranstaltet das Berliner Babylon-Kino ein großes Stummfilm-Live-Festival – in diesem Jahr zum ersten Mal als Kino-Orgel-Wettbewerb. Von temperamentvoll-spannungsgeladen bis spätromantisch-bombastisch reichte das Spektrum der Wettbewerbsteilnehmer.
Man muss einen Gehörgang runterschalten: Denn obwohl im Babylon die ehemals größte deutsche Kinoorgel steht, klingt die Anlage eher dünn: kein Vergleich zur Majestät der größten deutschen Kirchenorgeln: Aber die Kinoorgel hat ja auch einen anderen Zweck.

Susanne Schaak: "Man kann Dramatik von dem Film aufnehmen und versuchen, die über die Orgel dann wiederzugeben, das aufzubauen: Höhepunkt im Film zu schaffen, dann wieder zurückzugehen; also wirklich die Gefühle und den Sinn von dem Film halt in die Musik geben."

Die freischaffende Organistin Susanne Schaak bespielt (wie auch die meisten Wettbewerbsteilnehmer) meist Kirchenorgeln und zwischendurch die Tasten im Filmmuseum Potsdam, und sie gehört zur dreiköpfigen Jury – neben dem Engländer Donald MacKenzie, der hauptberuflich die riesige Orgel des alten Londoner Odeon-Kinos bedient, und Anna Vavilkina, der einzigen festangestellten Kinoorganistin Deutschlands und Hausorganistin des Babylon. Natürlich haben die drei Profis jetzt auch fleißig Filmvorführungen vertont, aber vor allem haben sich eben eine Woche lang die acht Wettbewerbsteilnehmer quer durch die Stummfilmära gespielt:

Caligari und der Golem, Die Austernprinzessin und Steamboat Bill, der General und Madame Dubarry... Die Filme waren natürlich außerordentlich verschieden, und zuletzt konnte die Jury sich tatsächlich nicht auf drei Finalisten einigen und ernannte vier (aus Japan, Polen und Deutschland): Denn zu unterschiedlich sind die Präsentationsmöglichkeiten und die individuellen Vorlieben auf dieser Wunderorgel.

Schaak: "Der eine hat eben den Film total spannend rübergebracht und auch mit den Effekten total gut gearbeitet, der andere ist technisch halt perfekt und hat auch super Orgel gespielt. Es war wirklich eine schwierige Entscheidung, und wir konnten uns also nicht auf drei einigen."
"Das kommt alles von der Spannung im Film"
Über 913 Orgelpfeifen von drei Meter zehn bis 100 Millimeter Länge verfügt die Berliner Kinoorgel, links neben der altmodischen kleinen Leinwand unter der Holzpaneele untergebracht, dazu 137 so genannte Klangteile - und 34 Geräusche, die allesamt mit dem Wind aus einem Motor angetrieben werden: Harfe, Orchesterglocken und Xylophon, große und kleine Trommeln, aber vor allem mechanisch erzeugter Regen, Pferdegetrappel, Telefonklingeln, Bootspfeifen, Sirene, Donner und Eisenbahnschuffschuff...
Man kann die Kinoorgel also sehr eigen und unterschiedlich einsetzen – natürlich stets improvisiert, der Orgelauszüge von Filmmusik gibt es nicht. Der noch nicht 20-jährige Kirchenorganist Christian Groß mischt in seiner Begleitung zu Berlin - Sinfonie einer Großstadt tatsächlich Anlehnungen an alte Berliner Gassenhauer mit einer funky akzentuierten Kirchenmusiksharmonik und akustischen Gimmicks aus der Geräuschkiste. Denn man kann mit dieser Wunderorgel illustrieren, karrikieren – aber auch voll reinspringen mit einer emotionalen Breitseite - wie der Pole Filip Presseisen mit den dramatischen Ereignissen um den Ausbruch der Revolution auf dem Panzerkreuzer Potemkin...
Schaak: "Der Musiker gibt ja auch von sich dann so viel rein in den Film, und das macht es, denke ich, auch aus..."

Filip Presseisen: "Das kommt alles von der Spannung im Film. Wenn der Regisseur eine bestimmte Spannung gelegt hat, muss man die einfach genau analysieren, aber auch ein bisschen mit der Intuition vermischen."

Der 30-jährige Presseisen, der neben dem Musikstudium auch im Orgelbau gearbeitet hat, springt durch die Register und Pedale, Tempi und Arpeggien, und er wiegt sich in die Klänge hinein, dabei den Blick stets auf die Leinwand gerichtet – außer, wenn er auf dem ungewohnten Spieltisch ein Register suchen muss: und als er statt der Bootspfeife das Vogelgezwitscher erwischt, lacht er nur kurz auf. Er ist der Sieger des Kinoorgelwettbewerbs: Filip – mit seinem schulterlangen Haar und meist recht verschmitztem Lächeln ist er ein lustiger Vogel, der auch vor Dauerbeanspruchung eines Zweineinhalbstunden-Orgelmarathons keine Angst hat.

Filip Pressereisen: "Die längste Fassung war die von Metropolis, da habe ich zwei Stunden und 40 Minuten gespielt. Und da habe ich bei einem speziellen Moment einfach einen Bleistift in die Taste reingedrückt, und dann habe ich eine vorbereitete Banane gegessen und ein bisschen getrunken."

Und niemand hat es gemerkt.



Mehr zum Thema