Erste Sommeruniversität vor 40 Jahren

Als Frauen anfingen, den Mund aufzumachen

Blick in die "Werkstatt" der Sommeruniversität der Frauen, die vom 1. bis 6. Oktober 1979 in der Freien Universität Berlin stattfand
Blick in die "Werkstatt" der Sommeruniversität der Frauen, die vom 1. bis 6. Oktober 1979 in der Freien Universität Berlin stattfand © picture-alliance / dpa / DB Wieselhuber
Von Rebecca Hillauer · 05.07.2016
Vor 40 Jahren fand an der Freien Universität Berlin die erste Sommeruniversität für Frauen statt. Sie wurde zu einem Think Tank für eine feministische Wissenschaft - und gilt als Meilenstein in der Frauenbewegung.
6. Juli 1976: Im großen Hörsaal 2 der Freien Universität in West-Berlin beginnt die erste Sommeruniversität für Frauen, initiiert von einer kleinen Gruppe von Assistentinnen an der Freien und Technischen Universität, die sich aus anderen Frauenprojekten kennen. 600 Teilnehmerinnen kommen aus der ganzen Bundesrepublik, hören Vorträge und bilden Arbeitsgruppen, die sich mit der Rolle von Frauen in Geschichte, Kultur, Politik und den Wissenschaften befassen. Vorbild sind die Women Studies in den USA. In Europa hatte es so etwas bis dahin noch nicht gegeben.
SFB-Reporterin Bruckhaus, 1976:
"Nicht zugelassen waren übrigens Männer. Die wenigen, die partout teilnehmen wollten, engagierte man als Kindergärtner. Sie kamen am zweiten Tag nicht wieder."
Berichtete Hallgard Bruckhaus im SFB, dem Sender Freies Berlin. Der Ausschluss der Männer bei der Sommeruni provozierte Fragen bei den Männern im Radio – Klaus Schulz und Ulrich Eickhoff:
Schulz: "Da Sie eben nochmal betont haben 'jede Frau', kann ich es mir natürlich als Mann doch nicht verkneifen, noch einmal zu fragen: Warum eigentlich nur Frauen? Gibt es nicht vielleicht auch eine Reihe von Männern, die die Unterdrückung der Frau als solche erkennen und auch mit bekämpfen würden?"
Eickhoff: "Besteht nicht die Gefahr, dass Sie hier keine Ansprechpartner finden, dass Sie sozusagen wieder nur unter sich bleiben?"

Protest gegen schlechte Berufs- und Bildungschancen

Irmela von der Lühe, damals gerade arbeitslos gewordene Uni-Assistentin, später Professorin für Literaturwissenschaften an der FU und Seniorprofessorin an der Humboldt-Universität Berlin, sagt heute dazu:
"Tatsache ist, dass das Gesprächsverhalten von Männern sich durch die Frauenbewegung und durch die Entwicklung der letzten 40 Jahre ja auch geändert hat. Dass man mehr zuhört und dass männliches Dominanzverhalten in Gesprächen, in Diskussionen als etwas wahrgenommen wird, was sich nicht gehört. Das war früher nicht so. Das war im Gegenteil so, dass wenn Frauen den Mund aufmachten, das sich nicht gehörte. Und um einen mehr oder weniger offensiv geschützten Raum herzustellen, haben wir seinerzeit für die Sommeruniversität gesagt, sie ist nicht gegen Männer – aber für Frauen."
Eine Radio-Reporterin 1976:
"Wer dabei an universitären Nachhilfeunterricht für Hausfrauen dachte, lag falsch. Diese Frauenuni verstand sich nicht nur als Protest gegen die schlechten Berufs- und Bildungschance für Frauen, sondern auch als Propagierung der Forderung nach einer feministischen Wissenschaft. Die Frau, so die Forderung, soll nicht nur gleiche Chancen im Wissenschaftsbetrieb bekommen, sie soll forciert auch zum Gegenstand der wissenschaftlichen Forschung gemacht werden."
Tatsächlich wurden in den Folgejahren Lehrstühle für Frauen, Stellen für Frauenbeauftragte und Studiengänge für Frauenforschung eingerichtet. Professorinnen sind an Universitäten aber immer noch selten. Irmela von der Lühe hält die Sommeruniversität trotzdem für einen Meilenstein in der Frauenbewegung.
"Da waren ja überall viele Frauen, die auch ein Interesse an Fort- und Weiterbildung hatten. Und so war unsere Veranstaltung auch gedacht. Wir wollten nach innen in die Universität hinein zeigen, was fehlt. Und nach außen in die entsprechenden frauenpolitischen Milieus ein Signal setzen und sagen: Kommt mit euren Erfahrungen und lasst uns überlegen, was wir gemeinsam machen können."

Gründerinnen zerstritten sich über Institutionalisierung

Bis Anfang der 1980er-Jahre entstanden in West-Berlin und der Bundesrepublik unzählige Frauenbuchläden, Frauencafés, Frauenzentren, auch die ersten Frauenhäuser. Zugleich engagierten sich immer mehr Frauen in der neuen Partei der Grünen, in der Anti-Atomkraft- und Friedensbewegung. Die autonome Frauenbewegung, aus der die Sommeruniversität hervorgegangen war, löste sich auf. Deren Gründerinnen stritten, ob ihr Experiment institutionalisiert werden sollte. Und sollte diese Institution an der Universität oder außerhalb angesiedelt sein?
"Darüber zerbrach im Grunde diese Dozentinnengruppe. So würde ich das aus heutiger Sicht sehen. Ich selber war auf der Seite derer, die für eine Institutionalisierung war. Daraus ist dann das heutige Margherita-von-Brentano-Zentrum geworden, damals genannt Zentraleinrichtung an der FU für Frauen- und Geschlechterforschung. Und auf außeruniversitärer Seite das FFBIZ, Frauenforschungs- und Bildungszentrum.
Die 7. und letzte Sommeruniversität für Frauen in Berlin fand 1983 statt.
"Heute unter Bedingungen der Exzellenz-Initiative und der Ökonomisierung der Universitäten ist es ein selbstverständliches Gebot, dass jede Woche alle möglichen Veranstaltungen an der Universität stattfinden, mit denen die Universität zeigt, wie offen sie für die Gesellschaft ist. Wenn Sie so wollen, haben wir mit der Sommeruniversität so eine puristische Vorform davon praktiziert. Aber nicht im Sinne des Infotainments, der Erweiterung der Unterhaltungsmöglichkeiten, sondern im Sinne der Verwirklichung der alten Humboldt´schen Idee des Lebens und Lernens – und das in dem Fall für Frauen."
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