Erste Gartenstadt Deutschlands

Von Grit Krause · 11.09.2009
Auch 100 Jahre nach der Gründung hat der im Norden Dresdens liegende Stadtteil Hellerau nichts von seinem Reiz verloren.
Wer durch Hellerau spaziert, wird bemerken, dass die Wohnhäuser wie aus dem Modellbaukasten zusammengesetzt scheinen. Die Form der Häuser, die Farben der Türen und Fensterläden – alles wirkt regelmäßig und gleichförmig. Die Idee zum Bau einer Gartenstadt hatte der Möbelfabrikanten Karl Schmidt, der 1898 die "Dresdner Werkstätten für Handwerkskunst", die später in "Deutsche Werkstätten" umbenannt wurden, gründete. Seine Vision war es, Möbel maschinell herzustellen, perfekt in der Qualität und modern im Design. Aber Schmidt fühlte sich auch seinen Angestellten gegenüber verantwortlich.

Galonska: "Damit die Identifikation mit dem Produkt einfach größer war, bekamen sie also eine Weiterbildung in Farben und Formenlehre, und damit sie ihren guten Geschmack nicht am Garderobenhaken abgeben müssen, um ihre Hinterhofverhältnisse in der Dresdner Innenstadt zu ertragen, hat er dafür gesorgt, dass da eine Gartenstadt gebaut wurde, damit die Handwerker mit ihren Familien einfach in einer gleich kulturell ambitionierten Umgebung wohnen und arbeiten können."

Karl Schmidt war ein begeisterter Anhänger der Lebensreformbewegung, und nach deren Prinzipien sollte auch Hellerau gestaltet werden. Die neuen Fabrikhallen waren lichtdurchflutet, und zu jedem Wohnhaus gehörte ein Garten, wo die Arbeiter ihr eigenes Obst und Gemüse anbauen konnten. Doch zum Leben in Hellerau gehörten auch Kultur und Bildung, und deshalb beauftragte Schmidt den Reformarchitekten Heinrich Tessenow, ein Festspielhaus zu errichten.

Hier sollte die Bildungsanstalt für rhythmische Gymnastik des Komponisten und Musikpädagogen Emile Jaques-Dalcroze einziehen. Und so lassen sich bereits in Tessenows architektonischer Gestaltung rhythmische Elemente, aber auch Entwürfe des Bühnenbildner Adolphe Appia erkennen.

Galonska: "Es gibt auch ein Bild von Adolphe Appia, auf dem man drei quadratische Stützen hat, die in regelmäßiger Abfolge übereinander, neben einer Wand, auf einem Podest stehen und wenn ich mir das Portal von dem Festspielhaus heute anschaue, dann sieht man wirklich ganz klar die Parallelen, die Tessenow verwandt hat, das Motiv ist das gleiche, er hat vier Stützen zwischen zwei Wände gestellt, obenauf einen fast griechisch anmutenden Giebel draufgesetzt."

1913 wurde das Festspielhaus Hellerau mit einer spektakulären Inszenierung von Glucks Oper "Orpheus und Euridke" eröffnet. In kürzester Zeit avancierte es zu einem Zentrum der Moderne in Europa. Künstler wie Oskar Kokoschka, Frank Wedekind oder Franz Kafka waren hier zu Gast. Mary Wigman studierte in der Bildungsanstalt und entwickelte später aus einer eher strengen Rhythmuslehre den freien Ausdruckstanz.

Doch all das währte nicht lange. Wo sich noch zu Beginn des 20. Jahrhundert die künstlerische Avantgarde Europas traf, zog 1938, fünf Jahre nach der Machtergreifung Hitlers, eine Polizeischule ein. Noch Anfang der 90er-Jahre war das Festspielhaus eine Kaserne.

Einzig die Deutschen Werkstätten produzierten – in der DDR als Volkseigener Betrieb - weiter. Nach der Wende drohte dem Möbelkombinat das Aus. Dank Fritz Straub, dem heutigen Geschäftsführer, kam es zum Glück nicht soweit.

"Wenn man an diesen Ort kommt dann ist man fasziniert und wenn man dann die Geschichte hört, mit welcher Begeisterung Menschen vor 100 Jahren diese Firma gegründet haben, dann bleibt man davon nicht unberührt und dann kommt so etwas wie der Wunsch: Man muss dieses Unternehmen retten."

Jetzt werden in den Hallen, wo früher ebenso funktionale wie erschwingliche Möbel angefertigt wurden, Einrichtungen für Luxusjachten, Vorstandsetagen oder Nobel-Appartements hergestellt. Doch der Geist von Hellerau blieb in der Gartenstadt, vor allem auf dem Gelände des 2006 wieder eröffneten Festspielhauses. Mit Tanz, Musik, bildender Kunst, den neuen Medien soll sich hier das Wichtigste zeitgenössische Kunstzentrum im Osten Deutschlands etablieren, hofft Dieter Jaenicke, Leiter des Europäischen Zentrums der Künste Hellerau. Aber nicht in einer elitären, abgehobenen Form, sondern auch für die Bewohner der Gartenstadt.

""Als wir Strawinsky 'Le Sacre du printemps' gemacht haben, interessanterweise hat Strawinsky ja hier gearbeitet, und Nijinsky hat sich hier auf seine Pariser Vorstellung von 'Le Sacre du printemps' vorbereitet, also, das ist ja ein Stück, was für dieses Haus eine Bedeutung hat, aber da sah man plötzlich, wie so richtig so kleine Grüppchen aus dem Stadtteil hierher kamen."

Wie sich die reformerischen Ideen von einst in unsere Gegenwart transformieren lassen, darüber werden an diesem Wochenende Architekten, Choreografen, aber auch Wirtschaftswissenschaftler und Pädagogen in Dresden diskutieren - und vielleicht neue Visionen entwickeln. Zum Beispiel die, dass Hellerau nicht mehr nur in der Welt des Tanzes und der Architektur ein Begriff ist, sondern auch in Wirtschaftskreisen einem zukünftigen sozialen Unternehmertum Pate steht.