Erst Malerin, dann Ehefrau

30.03.2011
Die Frauen, die zur Künstlergruppe "Blauer Reiter" gehörten, waren weit weniger emanzipiert, als es der Buchtitel suggeriert. Nur Gabriele Münter verfolgte konsequent ihren Weg - im Schatten von Wassily Kandinsky.
"Ich bin ich". Dieses Buchtitel gebende Zitat wirkt trügerisch. Denn so selbstbewusst wie die Aussage Marianne von Werefkins waren die Malerinnen um die Künstlervereinigung des Blauen Reiter nicht. Gabriele Münter, Maria Marc und Marianne von Werefkin - alle drei ursprünglich angetreten als eigenständige Künstlerinnen - verschwanden buchstäblich hinter ihren berühmten Männern. Während Wassily Kandinsky, Franz Marc und Alexej Jawlensky Kunstgeschichte geschrieben haben, rückte das Werk ihrer Partnerinnen erst Jahrzehnte später in den Fokus. Zum 100. Geburtstag des Blauen Reiter widmet sich die Kunsthistorikerin Birgit Poppe nun Leben und Werk der drei Malerinnen.

So unterschiedlich die Werdegänge der Werefkin, Münter und Marc auch waren, am Anfang ihrer Karriere standen sie vor ähnlichen Problemen. Da ihnen die Akademien verschlossen waren, blieben als einzige Alternative so genannte Damenateliers und Privatakademien – für das Fünffache der Gebühr, die Männer für ihre Ausbildung zu entrichten hatten. Und während den Malerfürsten Respekt und gesellschaftliche Anerkennung entgegengebracht wurden, ernteten Künstlerinnen vor allem Spott und wurden als Malweiber verschrien. "Sehen Sie Fräulein, es gibt zwei Arten von Malerinnen: die einen möchten heiraten, und die anderen haben auch kein Talent", hieß es etwa im Simplicissimus

Poppe schildert die Ausbildungssituation von Künstlerinnen um 1900 in aller Kürze – und doch lang genug, um beim Leser ein Gefühl dafür zu wecken, welchen Willen, welche Energie und welche Unbeirrbarkeit Marianne von Werefkin, Gabriele Münter und Maria Marc haben mussten, um ihren Lebenstraum und Berufswunsch "Künstlerin" umzusetzen.

Ihre jeweiligen Anfänge waren denn auch viel versprechend. Die Werefkin wurde in ihrem Heimatland bereits als "Rembrandt Russlands" gehandelt, das Talent der Münter von ihrem Lehrer Kandinsky überschwänglich gefeiert, und die Marc kämpfte beharrlich gegen die Einwände ihrer Eltern, um als Malerin zu reüssieren.

Dann kamen die Männer. Bis heute ist kaum nachvollziehbar, warum Marianne von Werefkin wegen ihrer großen Liebe Alexej Jawlensky für zehn Jahre nicht mehr malte und sich darauf beschränkte, seine Karriere zu fördern. Auch Maria Marc stützte vor allem ihren Mann Franz Marc, "damit Du Dein Werk schaffst, und ich Dir helfe, es zu tun."

Allein die Münter verfolgte ihre Arbeit konsequent, konnte aber Zeit ihres Lebens niemals aus dem Schatten ihres übermächtigen Partners Wassily Kandinsky treten. Dennoch schafften Münter, Werefkin und – in geringerem Maße – auch Marc ein eigenständiges Werk, dessen Einfluss auf die Kunst der Moderne noch immer unterschätzt wird, wie Birgit Poppe eindrucksvoll belegt.

Mit vielen Fotos, Textdokumenten und Werkabbildungen zeichnet sie die Lebens-, Liebes- und Schaffenswege der drei Künstlerinnen nach und erläutert das jeweils Charakteristische ihres Werkes. Eine schöne, dichte Lektüre, auch weil Poppe die drei Künstlerinnen nicht in getrennten Kapiteln, sondern in einer Gesamtschau beschreibt.

Besprochen von Eva Hepper

Birgit Poppe: Ich bin Ich. Die Frauen des Blauen Reiter
Dumont Verlag, Köln 2011,
160 Seiten, 29,99 Euro

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