Erschöpft, aber voller Würde

Von Jürgen König · 13.03.2012
In Berlin fanden Archäologen im Sommer 2010 im Brandschutt eines kriegszerstörten Hauses mehrere Skulpturen von Künstlern, die von den Nazis verfemt worden waren. Seitdem erforschen Wissenschaftler die Umstände dieses spektakulären Fundes.
Ein Zufallstreffer war schon der spektakuläre Fund der elf Skulpturen vor dem Berliner "Roten Rathaus" im Sommer 2010 gewesen: Beim U-Bahnbau rutschte plötzlich etwas von der Baggerschaufel. Ein Zufallstreffer war es nun auch, der Licht ins Dunkel brachte: monatelang hatte man geglaubt, der Steuerberater und "Treuhänder" Erhard Oewerdieck, der sein Büro in jenem Haus in der "Königstraße 50" gehabt hatte, unter dessen Trümmern die Skulpturen gefunden wurden – er könnte etwas mit ihnen zu tun gehabt haben. Doch die Recherchen ergaben: Oewerdieck hatte nichts mit den Skulpturen zu tun. Der Berliner Landesarchäologe Matthias Wemhoff:

"Dann kam aus der Berliner Bevölkerung der Hinweis auf ein Dokument, was bisher auch der Forschungsstelle noch nicht aufgefallen war. Diese Person hatte sich für eine Filmrecherche mit den Fragen der 'Entarteten Kunst' beschäftigt und war über die Adresse "Königstraße 50 gestolpert."

Dieses "Dokument" war eine Anweisung: des Reichspropagandaministeriums:

"Die Reichspropagandaleitung wird angewiesen, das bei ihr vorhandene Material der Ausstellung in den ersten Tagen des Monats September in den Lagerraum des Ministeriums in der Königstraße 50 zu verbringen."

Ein offizielles Lager des Reichspropagandaministeriums war jene Wohnung also: vielleicht gemietet, weil man einfach nur Platz brauchte, vielleicht aber auch, um ungestört zu sein beim Verkauf der Kunstwerke ins Ausland. Sicher ist, dass die Wohnung groß genug war, um alles unterzubringen, was nach dem Ende der Ausstellung "Entartete Kunst", 1941, zunächst nicht verwertet werden konnte. Mehrere hundert Gemälde, Graphiken, Skulpturen könnten hier zusammengestanden haben, einiges wurde verkauft, vieles wurde zerstört, als das Haus im Bombenhagel nicht nur ausbrannte, sondern ausglühte. Erhalten blieb nur: Metall, Stein, Keramik.

Elf Skulpturen hatte man zunächst gefunden, auch die letzten drei davon wurden inzwischen identifiziert: zwei Steinskulpturen, "Die Einfältigen und "Der fromme Mann" stammen von Karel Nistrath, ein "Mädchen mit Traube" von Karl Ehlers. Und fünf weitere Werke hat man an derselben Fundstelle entdeckt: ein Relief, ein "stehendes Mädchen" von Gustav Heinrich Wolf, eine Marmorfigur von Richard Haizmann, von Will Lammert ein "Sitzendes Mädchen" aus Steingut, von Fritz Wrampe eine Figurengruppe mit Pferd und Reiter; eine "Knieende" von Milly Steger.

Dass es vorwiegend Werke heute unbekannter Künstler sind, ist nicht zuletzt auch eine Folge ihrer Diffamierung durch die Nazis. Meike Hoffmann von der Forschungsstelle "Entartete Kunst" der FU Berlin:

"Moderne Bildhauerkunst war nicht der Schwerpunkt der Moderne, entsprechend hatten die Künstler es auch schwer, und wenn dann eben deren Frühwerk durch die Beschlagnahme vernichtet wurde, hatten sie es eben einfach auch schwer, danach noch einmal wieder ihre Karriere aufzubauen oder dort anzuknüpfen. Es ist aber auch tatsächlich so, dass diese Künstler zu den etwas unbekannteren Künstlern gehören, weil ich auch annehme, dass die bekannteren Werke dann noch bis '44 verkauft worden sind."

So stehen jetzt 16 Skulpturen im "Griechischen Hof" des Neuen Museums in Berlin, und wir wissen, von wem sie stammen. Sie alle sind nach überstandener Feuersbrunst und 66 Jahre im Schutt im wahrsten Sinn des Wortes angeschlagen, überall fehlt etwas, sie haben etwas ... Erschöpftes. Und doch strahlen sie Anmut aus – und Würde.

Die Ausstellung "Der Berliner Skulpturenfund. 'Entartete Kunst’ im Bombenschutt" endet am 18. März 2012. Anschließend präsentieren auch das Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg (vom 22.4. bis 1.7.) und die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen München (vom 24.10. bis 13.1.2013) diese Ausstellung.
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