Erotik in der Kunst

Die Verwandtschaft von Pinsel und Penis

Farbtöpfe und Pinsel stehen in einem Atelier.
Der römische Gelehrte Cicero stellte die auffällige Ähnlichkeit der lateinischen Begriffe für Penis (penis), Pinsel (penellus/penicillus) und Schreibfeder (penna) fest. © picture alliance / Horst Ossinger - Horst Ossinger
Von Michael Opitz · 22.01.2015
Ulrich Pfisterers Sachbuch "Kunst-Geburten" erzählt, wie das Erotische in der Frühen Neuzeit Eingang in die Kunst fand. Dabei spielen anzügliche Wortspiele wie "den Pinsel ins Farbtöpfchen tauchen" eine entscheidende Rolle - eine vergnügliche Lektüre.
Häufig lieben Maler neben der Kunst auch das Modell, das sie zur Kunst inspiriert. Für Raffael war die Liebe zu seiner Angebeteten, während er die Villa Farnesina ausmalte, ein unverzichtbarer Inspirationsquell. Die Bilder wurden in einem wahren Schöpfungsakt gezeugt.
Der Anblick eines gelungenen Bildes wiederum vermag beim Betrachter Wünsche zu wecken, manchmal auch ein Verlangen, sodass aus Beschauern Kunstliebhaber und Sammler werden. In diesem Kreislauf von Begehren, Zeugung, Geburt und Fürsorge spielt die Erotik eine entscheidende Rolle.
Bilder wurden in einem Liebesakt gemacht
Der an der Ludwig-Maximilian-Universität in München lehrende Kunsthistoriker Ulrich Pfisterer, ein Kenner der Renaissancekunst, interessiert sich in seinem Buch "Kunst-Geburten" für die erotische Aufladung von Bildern der Frühen Neuzeit. Mit kenntnisreicher Lust lüftet Pfisterer den Schleier und zeigt, was in der Kunst passiert, wenn Amors Pfeile ihr Ziel gefunden haben. Dabei wird der Begriff von der "Kunst-Geburt" in seiner metaphorischen Bedeutung wörtlich genommen, wenn Pfisterer auf der Grundlage von zahlreichen Beispielen und unter Verwendung von vielen Abbildungen zeigt, dass Bilder in einem Liebesakt gemacht und in einem Schöpfungsakt gezeugt worden sind.
Basis für die erotische Grundierung seiner lesenswerten Studie ist die auffällige Ähnlichkeit der Begriffe Penis (penis), Pinsel (penellus/penicillus) und Schreibfeder (penna), die der römische Gelehrte Cicero konstatierte. Wenn Pietro Aretino 1534 davon spricht, den "Pinsel ins Farbtöpfchen zu tauchen", dann spielt er – wie Pfisterer anmerkt – nicht allein auf die künstlerischen Utensilien an, die es braucht, um ein Ölgemälde zu malen.
Kunst-Geburten führten zur Geburt der Kunst
Diese anzüglichen Wortspiele hatten in der Kunst des 16. und 17. Jahrhunderts Konjunktur. Sie bilden zugleich den Hintergrund für das Bildverständnis eines Artemisia Gentileschi zugeschriebenen Bildes, das den Titel "Die schlafende Malerei im Atelier" (vermutlich aus den 1630er-Jahren) trägt. Die auf dem Boden liegende Malerei, deren Scham von einem Tuch nur flüchtig bedeckt ist, wartet darauf, erweckt zu werden. Die Geste ist einladend, denn sie spielt darauf an, dass ein Bild in einem Liebesakt gezeugt werden soll. Palette und Staffelei stehen noch unbenutzt in unmittelbarer Nähe.
Wäre das Bild tatsächlich von einer Malerin gemalt worden, "würden weibliche Personifikation der Malerei und Künstlerin sozusagen in eins fallen, die erotische Attraktion der einen Gestalt auch für die andere gelten, das Werben für die Kunst zugleich ein Werben für sich sein."
Für seine These, dass Kunst-Geburten schließlich zur Geburt der Kunst führten, wobei die Hervorbringung (Zeugung) einen wesentlichen Anteil an der Ausprägung des Begriffs der "Schönen Künste" hat, weiß Pfisterer überzeugend zu entwickeln. Die vielen Bildverweise und Pfisterers eingehende Sprache lassen die Lektüre des Buches zu einem "einsichtigen", die Gratwanderung zum "Verbotenen" elegant nehmenden Vergnügen werden.

Ulrich Pfisterer: Kunst-Geburten. Kreativität, Erotik, Körper
Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2014
192 Seiten, 24,90 Euro

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