Ernährungstrends

Alles für das Seelenheil der Pflanzenwelt

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Nur was die Erde von alleine gibt, steht auf dem Speiseplan von Frutariern. © picture alliance / ZB
Von Udo Pollmer  · 17.05.2014
Immer neue Ernährungsphilosophien finden ihre Anhänger – die neueste Bewegung sind die Frutarier. Sie wollen nicht, dass den Pflanzen ein Leid geschieht. Aus ethischen Gründen essen sie kein Gemüse. Der Lebensmittelchemiker Udo Pollmer hat sich die hehre Ethik mal aus der Nähe angesehen.
Frutarier sind Veganer, die nicht nur auf Tierisches verzichten, sondern auch den lieben Pflanzen keine Schmerzen zufügen wollen. Eine Möhre leidet, wenn sie aus dem Mutterboden gerissen wird, um dann bei vollem Bewusstsein von Rohköstlern zerkaut zu werden, oder gar in gutbürgerlichen Kochtöpfen den grausamen Hitzetod zu sterben. Frutarier essen nur, was die Pflanzen freiwillig hergeben wie Äpfel oder Nüsse. Sie verzichten sogar auf Jutetaschen oder Bücherregale aus Holz. Schließlich gäbe es Plastiktüten und Regale aus Metall, ganz ohne jedes Pflanzenleid. Diese Weltsicht findet derzeit unter jungen Menschen viel Zuspruch.
Es stimmt vieles, was über Pflanzen gesagt wird: Sie sind Lebewesen, die ihre Umwelt bis in kleinste Details wahrnehmen, sie kommunizieren miteinander und bilden Allianzen. Sie erkennen Schädlinge – und informieren sich gegenseitig über einen Befall. Sie zeigen der Tierwelt, wo’s langgeht: Allzu neugierige Besucher schrecken sie mit Dornen oder Giften, andere locken sie mit ihrem Nektar, um die Befruchtung sicherzustellen, wieder andere nutzen sie als Spediteure ihrer Samen. Eingebettet ins Fruchtfleisch bieten sie sie den Tieren zum Verzehr an. Die verbreiten sie dann per Dunghäufchen.
Ist der Verzehr von Kartoffelbrei unmoralisch?
Alle Lebewesen sind leidensfähig. Doch was heißt das? Ist jetzt der Verzehr von Kartoffelbrei unmoralisch? Die Moral ist die älteste Hure der Welt, und sie kommt an jeden Tisch. Wer aus ethischen Gründen auf pflanzliche Rohstoffe wie Holz oder Baumwolle verzichten will, greift zu Produkten aus Erdöl und Erzen.
Wer aus ethischen Gründen dem Schoß der Erde keine Erze entreißen will und die Ölreserven schonen möchte, nimmt gentechnisches Bioplastik. Wer Tiere schützen möchte, die man streicheln kann und traurige Augen haben – heute ein ganz wichtiges moralisches Kriterium – brät sich einen Fisch. Viele Fischschützer würden am liebsten zu Walfleisch raten, weil da nur ein Tier leiden muss, statt einer ungeheuren Zahl von Fischen. Ethik im Karussell der Selbstverliebtheit.
Jeder kann sich seine Ernährungs- und Lebensweise aussuchen
Mit "Ethik" hat das wenig zu tun, sondern mit der riesigen Vielfalt an Konsumgütern und den vollen Regalen. Jeder kann sich seine Ernährungs- und Lebensweise aussuchen, egal ob frugan oder vegetarisch, mit Gentechnik oder ohne, ohne Fruktose aber mit Laktose. Da aber in protestantischen Gesellschaften nicht einfach nach Gusto genossen werden darf, wird ein wenig Hausmacher-Ethik durch den Wolf der Philosophie gedreht und das Resultat in die eigenen Därme gestopft. Man zieht nicht einfach eine Strumpfhose aus Nylon an – nein, man erklärt, weil man Tiere liebe, verzichte man nicht nur auf Fleisch sondern ganz "bewusst" auch auf Wollsocken. Oder man verleiht Pflanzen die höheren Weihen der Menschlichkeit, damit sind Leinensakkos unethisch.
Was bleibt dann noch, wenn wegen der Leidensfähigkeit der Pflanze und ihrer empfindlichen Seele nicht mal mehr Spargel auf den Tisch kommt? Kein Problem: Die moderne Technik hat es geschafft aus Bakterienbrei und Schimmelpilzmasse allerlei Nahrhaftes zu designen. Derartige Produkte werden seit Jahren an Rinder verfüttert und als Fleischersatz konsumiert.
Mikroben qualifizieren sich auch für einen Seelensitzplatz im Schimmelhimmel
Doch schon stecken wir im nächsten Dilemma – denn auch Mikroben kommunizieren fleißig miteinander. Sie machen sogar demokratische Abstimmungen – fachsprachlich quorum sensing genannt, - und zwar durch die Art und Menge an Stoffen, die sie ins Medium, sozusagen in ihre Wahlurne abgeben. Damit qualifizieren sie sich ebenfalls für einen Seelensitzplatz im Schimmelhimmel.
Wenn Frutarier Obst naschen, leben sie nicht im Einklang mit der Natur, sondern auf Kosten der Pflanze. Denn diese will, dass ihre Samen per Dunghaufen verbreitet werden und um Himmels willen nicht in der Kläranlage landen. Sollten die Frutarier ihre Ethik zu Ende denken, dann ist ihr Tun "Kindesmord" an der Pflanze. Den Pflanzen wäre mehr gedient, würden sich die Frutarier an Pflanzenfressern schadlos halten und sich Spieße mit Hammel und Rind gönnen, damit diese nicht mehr ihre bewurzelten Lieblinge beißen. Mahlzeit!
Literatur
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