Ernährungskritik

Bio schmeckt besser? Wer's glaubt!

Ein Einkaufswagen mit Bioprodukten aus einem Supermarkt.
Viel Fleisch und wenig Kohlenhydrate oder genau anders herum? - Immer neue Ernährungstrends werden gepredigt. © picture alliance / dpa / Daniel Karmann
Von Udo Pollmer · 23.09.2016
Wenn wir an das Nahrungsmittel glauben, schmeckt es besser - hat eine US-Studie herausgefunden. Nur so lässt sich die Begeisterung für absurde Ernährungstrends erklären, sagt der Lebensmittelchemiker Udo Pollmer. Anstatt seinem Appetit und Bauch zu trauen, lässt sich der Mensch von seinem Kopf verleiten.
Bekanntlich isst bei Tisch nicht nur das Auge mit. Ob uns etwas schmeckt, hängt auch davon ab, ob wir dabei ein "gutes Gefühl" haben. Dies wollen Hirnforscher aus Massachusetts nun experimentell bewiesen haben: Sie ließen getrocknetes Rindfleisch verkosten, sogenanntes Beef Jerky. Dazu gab es entweder die Info, es handele sich um Bio-Fleisch, oder es sei konventionell erzeugt - doch das Fleisch war stets das gleiche.
Wie erwartet, verbesserte der Hinweis auf Freilandhaltung das Qualitätsurteil der Testpersonen: Der Happen sähe nicht nur ansprechender aus, er röche angenehmer und schmecke besser. Wurde er als konventionell bezeichnet, glaubten die Probanden einen Beigeschmack nach Salz und Fett zu bemerken.

Nur was dem Körper bekommt, schmeckt auch

Natürlich verleiten solche Resultate zur Annahme, man könne das für die Ernährungserziehung nutzen, man brauche die "gesunde Kost" nur in leuchtenden Farben darstellen, schon würden die Menschen in Blattsalaten schwelgen. Doch bei Psychostudien ist stets Skepsis geboten: Vielleicht haben die Tester ja gar keinen Unterschied bemerkt, aber ihrer Überzeugung zuliebe bei "Bio" eine bessere Wertung abgegeben.
Selbst wenn man das Resultat ernst nimmt, so erlaubt es dennoch keine Rückschlüsse auf das Ernährungsverhalten. Langfristig entscheidet die Bekömmlichkeit: Nur was dem Körper bekommt, schmeckt auf Dauer auch dem Gaumen - so hat das die Natur bei allen Lebewesen schlau eingerichtet.
Nur beim Menschen gibt es Probleme. Nicht etwa, weil das System nicht funktionieren würde, sondern weil der Kopf sich verleiten lässt, nicht mehr seinem Bauch zu vertrauen, sondern dem schieren Gegenteil, den Theorien. Dann beginnen Menschen, Dinge zu essen, die ihnen nicht bekommen und verkünden, es habe ihnen wunderbar gemundet.

Der Körper zieht die Notbremse

Nur so lässt sich die Begeisterung für immer neue, noch absurdere Ernährungstrends erklären. Und nur so lässt sich auch erklären, warum diese Trends kurzlebig sind, denn irgendwann zieht der Körper die Notbremse, der Appetit auf soeben noch "Verbotenes" bricht durch - die "bewusste Ernährung" ist gescheitert, der geschundene Körper gönnt sich Erholung und gleicht mit Heißhunger die Defizite aus.
Insofern könnte man das Theater um die Ernährung, den gesunden Lebensstil als selbstlimitierenden Unsinn abtun. Doch das Trommelfeuer hat Folgen: Wer sich ständig mit Krankheitsthemen konfrontiert sieht, wird nicht achtsamer, er wird zum Hypochonder. Jedes Zwicken ist nun ein Alarmsignal. Die "Aufklärung" hat bisher nur eines bewirkt: Die Deutschen rennen immer häufiger zum Arzt. Viele Menschen, oft genug kerngesunde, sind zutiefst verunsichert und verängstigt. In Norwegen nehmen die Bürger viel seltener den Arzt in Anspruch, und sie haben eine höhere Lebenserwartung.

Krebsbilder auf Zigarettenschachteln klären nicht auf

Wer Krebsbilder auf Zigarettenschachteln druckt, klärt nicht auf, sondern versucht seine Mitmenschen mit Todeswünschen einzuschüchtern. Mit der gleichen Logik könnte man auch in Automobilprospekten Verkehrstote abbilden, in der Ernährungsberatung Fotos von ausgemergelten Essgestörten zeigen oder beim Hausarzt besinnliche Stillleben vom Friedhof aufhängen. Von den Bildern auf den Beipackzetteln der Tabletten ganz zu schweigen - schließlich schlucken die Deutschen viel zu viele Pillen. Nicht zufällig wurde unser Gesundheitswesen zu einem der teuersten der Welt. Die Umsätze steigen mit der Gesundheitserziehung.
Doch die Frage bleibt: Wie fundiert ist unsere Vorstellung von einem "gesunden Lebensstil"? Ist es ein objektiv definierbares Verhalten oder eine Schnapsidee? Forscher des New Yorker "Albert Einstein College" haben zur Klärung den Lebensstil wie Bewegung oder Rauchen von fast 500 hochbetagten Greisen mit 95 und mehr Lenzen mit dem von Personen verglichen, die schon in jüngeren Jahren das Zeitliche gesegnet hatten.
Das Ergebnis wirkt ebenso ernüchternd wie befreiend: "Personen mit außergewöhnlicher Langlebigkeit unterscheiden sich in ihren Lebensstil-Faktoren nicht von der Allgemeinbevölkerung." Tja, das war es dann wohl mit den tollen Expertentipps fürs ewige Leben. Mahlzeit!

Literatur:
Anderson EC, Barrett LF: Affective beliefs Influence the experience of eating meat. PLoS One 2016; 11: e0160424
Rajpathak SN et al: Lifestyle Factors of people with exceptional longevity. Journal of the American Geriatric Society 2011; 59: 1509–1512
Teitelbaum P, Epstein AN: The role of taste and smell in the ragulation of food and water intake. In: Zotterman Y (Ed) Olfaction and Taste, Pergamon Press, Oxford 1963; 1: 347-360
Anon: Jeder Vierte schluckt mindestens drei Pillen gleichzeitig. Spiegel Online 29. Sept. 2015
Weber N: Ist die Hälfte aller Arztbesuche überflüssig? Spiegel Online 14. Sept. 2016
Anon: Deutsche nehmen immer mehr Medikamente. Zeit Online 4. Nov. 2015
Anon: Unnötige Krankenhausaufenthalte, alte Ärzte: Das deutsche Gesundheitswesen zählt zwar zu den teuersten, hat einem OECD-Bericht zufolge aber viele Mängel. Zeit Online 4. November 2015
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