Erler: "Ein sehr gutes Signal"

Gernot Erler im Gespräch mit Gabi Wuttke · 07.07.2009
Der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Gernot Erler, bewertet die russisch-amerikanische Einigung auf eine Verringerung der Atomsprengköpfe als einen Neuanfang in den Beziehungen beider Länder.
Gabi Wuttke: Am Telefon ist jetzt der Sozialdemokrat Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt, das Kooperation der Konfrontation vorzieht. Guten Morgen, Herr Erler.

Gernot Erler: Guten Morgen, Frau Wuttke.

Wuttke: Ist der Preis für die beidseitige Verringerung der Nuklearsprengköpfe der Anfang vom Ende des geplanten US-Raketenabwehrschilds in Osteuropa?

Erler: Nein. Darüber ist allerdings auch geredet worden mit immerhin dem Ergebnis, dass man die Gespräche fortsetzen will, und einem Auftrag an Experten, jetzt so etwas wie eine Bedrohungsanalyse bei den ballistischen Raketenwaffen, die es in diesem Jahrhundert gibt, zu machen, um einfach eine bessere Grundlage für die künftigen Gespräche zu bekommen. Hier geht Obama sehr vorsichtig vor, denn er ist da auch unter starker Beobachtung in der Heimat von der Opposition, die sehr kritisch gegenüber jeden möglichen Zugeständnissen in dieser Frage sind.

Wuttke: Folgt man aber den Worten von Präsident Medwedew, dann ist das Aus für dieses Raketenabwehrschild der Preis, den Obama hätte zahlen müssen für die Verringerung der Nuklearsprengköpfe. Um meine Frage zusammenzufassen: Wie glaubwürdig ist dieser Neuanfang, von dem beide gestern einmütig gesprochen haben?

Erler: Na gut! Wir haben ja gerade gehört – und das kann ich ja nur bestätigen -, dass es doch sehr konkrete Vorhaben jetzt gibt bei der Reduzierung der strategischen Raketenwaffen. Das heißt, ein Nachfolgeabkommen des START-Abkommens kommt in Sicht. Das ist zum ersten Mal, dass Amerika und die Russische Föderation wieder nach mehr als zehn Jahren über konkrete Abrüstungsschritte sich etwas vornehmen, und zwar bis zum Ende dieses Jahres, und das ist über die Sache selber hinaus wichtig, weil wir alle wissen, wie entscheidend hier Fortschritte bei der Abrüstung auch für ein anderes zentrales Abrüstungsabkommen, nämlich den Bestand des Nichtverbreitungsvertrages ist, wo ja die ganz große Mehrzahl der Staaten sich verpflichtet hat, gar nicht nuklear aufzurüsten, und eben nur fünf Staaten offiziell das Recht haben, aber das war immer mit Abrüstungsverpflichtungen verbunden und dafür ist das ein sehr gutes Signal.

Wuttke: Eine atomwaffenfreie Welt, die wünscht sich Barack Obama und mit ihm Milliarden anderer Menschen. Aber dass die USA Supermacht Nr. 1 bleiben wollen, darüber hat er auch schon bei seiner Wahlkampfrede in Berlin keinen Zweifel gelassen. Man muss also auch mal den Blick wegwenden von den nuklearen Waffen hin zu den konventionellen Waffen, und da ist doch Obama Amerikaner durch und durch und von Augenhöhe zu Russland kann ja gar keine Rede sein.

Erler: Sie sprechen da genau das Problem an und deswegen ist es umso bemerkenswerter, dass bei dieser ersten Begegnung an der Spitze doch ein konkretes Ergebnis zu Stande gekommen ist. Das Problem ist, dass in Amerika wie gesagt schon kritisch geguckt wird, zu welchen Zugeständnissen ist Obama eigentlich hier bereit. In Russland aber gibt es das andere Problem, dass man dort natürlich genau weiß, dass Russland bei den konventionellen Waffen mit Amerika nicht mithalten kann, auch nicht bei der Qualität der Streitkräfte, so dass man eigentlich immer auf diese Atomwaffen setzt, um auf gleicher Augenhöhe mit Amerika zu bleiben. Dass jetzt ein solches Nachfolgeabkommen des START-Vertrages angepeilt wird, das heißt doch, dass Russland bereit ist, sich zu bewegen. Von irgendeiner Konditionalität, also einer Bindung an irgendeinem Ergebnis von der Frage Raketenschild in Europa mit den Stationierungen in Polen und der Tschechischen Republik, hat man jetzt gestern jedenfalls nichts mehr gehört.

Wuttke: Trotzdem noch mal die Frage: was wird der Preis sein, den Russland dafür verlangt? Obama ist ja ein Mann der großen Vision, aber auch im Verhältnis zu Russland zeigt sich jetzt, dass Handwerk gefragt ist. Zeichnet sich für Sie schon ein konkreter Kurs ab, den Obama mit Russland, mit Medwedew gehen will?

Erler: Das ist im Gegensatz zu anderen Entscheidungen Obamas etwa in der Nahostpolitik da sehr mutig, heranzugehen und zu sagen, ich will jetzt kämpfen für ein Nahostfriedensabkommen etwa in der Neuformulierung des Ansatzes zwischen Islam und dem Westen. Mit seiner Rede am 4. Juni in Kairo ist das bei der Policy Revue, was jetzt Russland angeht, noch nicht so ganz klar, welche Ziele eigentlich Amerika hier verfolgt. Ich glaube, Obama war es erst mal wichtig, ein Gipfeltreffen hier zu machen, das Hoffnung gibt, dass konkrete Arbeit zwischen beiden Ländern verrichtet werden kann. Da hat er am ersten Tag recht gute Ergebnisse erzielen können, aber für ihn ist natürlich wichtig, ob der weitere Verlauf seines Besuches – und da ist die Begegnung heute mit Putin ein entscheidender Punkt – auch rechtfertigt, diese Politik in diese Richtung fortzusetzen. Ich glaube, dass dann erst in den nächsten Wochen und Monaten deutlich werden wird, wie eigentlich die neue US-Politik gegenüber Moskau aussehen wird.

Wuttke: Gibt denn die Tatsache, dass der US-Präsident vor seinem Eintreffen in Moskau schon den Prozess gegen Chodorkowski kritisiert hat, ein Hinweis darauf?

Erler: Ja. Das ist aber eher ein Hinweis auf die schwierige, wirklich delikate Situation von Obama. Er muss eine Balance finden zwischen Kooperationsbereitschaft mit der russischen Führung und natürlich Einsatz für Demokratie, Menschenrechte und eine moderne Gesellschaft in Russland. Deswegen hat er nicht zufällig der Zeitung Nowaja Gazeta – das ist die Zeitung der ermordeten Journalistin Anna Politkowskaja – ein Interview zu diesem Chodorkowski-Prozess, den er kritisiert hat, gegeben; deswegen wird er heute auch führende Oppositionelle treffen neben seinem Programm mit Putin. Das wird zu Hause sehr genau beäugt und das zeigt auch, dass der Spielraum von Barack Obama in seiner Russland-Politik nicht gerade sehr groß ist.

Wuttke: Von wie vielen Perspektiven aus man auf die Politik von Barack Obama und das amerikanisch-russische Verhältnis blicken kann, dazu der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Gernot Erler, im Interview der "Ortszeit" von Deutschlandradio Kultur. Herr Erler, vielen Dank und schönen Tag.

Erler: Einen schönen Tag Ihnen auch.