Erklärreihe

Egalitärer Minjan

Von Yael Kornblum · 28.02.2014
Zwei Juden, drei Meinungen - wie wahr dieser Spruch ist, wenn es um die religiösen Strömungen geht, erklärt eine kleine Reihe. Die zweite Folge stellt den egalitären Minjan vor.
Jahrtausendelang wurde vor Beginn des Gottesdienstes geprüft, ob zehn jüdische Männer in der Synagoge anwesend sind. War dies einmal nicht der Fall, so konnte der Gottesdienst nicht regulär stattfinden. Diese Prüfung der Anwesenden wird Minjan genannt und bedeutet wörtlich übersetzt "Zählung".
Innerhalb des Reformjudentums gibt es die egalitäre Strömung. Beim egalitären Minjan zählen Männer und Frauen als gleichberechtigte Beter. Sowohl Männer als auch Frauen können als Vorbeter oder Rabbiner fungieren. Meist bedecken sich Frauen, die einem egalitären Minjan angehören, während des Gebets mit dem Tallith – dem Gebetsschal – und einer Kippah – der traditionellen Kopfbedeckung. Die Gleichberechtigung drückt sich optisch weiterhin dadurch aus, dass Männer und Frauen – anders als nach jüdischem Gesetz gefordert – während des Gottesdienstes gemischt sitzen.
Neu ist ebenfalls die Tatsache, dass Frauen auch zur Torahlesung aufgerufen werden. Laut jüdischem Gesetz ist dies einer Frau untersagt, weil sie durch die Menstruation unrein sein könnte.
Halachisch – also nach jüdischem Gesetz – gesehen ist Jude, wer eine jüdische Mutter hat. Die egalitäre Strömung jedoch zählt auch diejenigen mit zum Minjan, die lediglich einen jüdischen Vater haben.
Alle Sprachen erlaubt
Auch in der Sprache des Gottesdienstes hebt sich die egalitäre Strömung von allen anderen ab. Traditionell ist die Sprache des Gebetes ausschließlich Hebräisch. Beim egalitären Minjan jedoch betet jeder in der ihm am bequemsten Sprache, hierzulande also meist Deutsch. Für viele Gebete wurden deutsche Fassungen geschrieben, die auf die gleichberechtigte Form der Geschlechter achtet.
In vielen jüdischen Gemeinden in Deutschland existiert heutzutage ein egalitärer Minjan. Doch wirklich neu ist der Gedanke der absoluten Gleichberechtigung nicht: Bereits 1935 wurde in Deutschland die erste Rabbinerin der Welt, Regina Jonas, ordiniert. Sie war der Überzeugung, die Welt bestünde nun einmal durch G´ttes Wille aus zwei Geschlechtern und könne nicht auf die Dauer nur von einem Geschlecht gefördert werden.

Die Reihe (Teil 1-7) im Überblick
Egalitär – Liberal – Konservativ – Modern Orthodox – Orthodox – Chassidismus – Haredim