Erinnerungen an die einst blühende jüdische Kultur im Irak

23.08.2012
Die für dieses Buch zusammengetragenen Zeitzeugeninterviews geben einen wunderbaren Einblick in die Geschichte der irakischen Juden im 20. Jahrhundert. Den Gesprächstexten sind hilfreiche kurze historische Einleitungen vorangestellt.
Seit dem babylonischen Exil vor rund 2.500 Jahren leben Juden im Irak, über Jahrhunderte war die dortige Gemeinde eine der wichtigsten. Um 1940 zählte sie mehr als 130.000 Menschen und machte ein Drittel der Bevölkerung Bagdads aus, Juden waren wichtige Stützen der irakischen Gesellschaft.

Mit den Unabhängigkeitskämpfen des Irak von der Mandatsmacht Großbritannien, dem arabischen Nationalismus und dem Einfluss des Nationalsozialismus verstärkte sich ab den 1930ern der Antisemitismus; 1941 kam es zum sogenannten "Farhoud", einem zweitägigen Pogrom, bei dem 170 Juden getötet und viele verletzt wurden. In der Folge dieser Ereignisse sowie auch des Zionismus und des nach der Staatsgründung Israels 1948 verschärften jüdisch-arabischen Konflikts begannen Juden, aus dem Irak zu fliehen. Von 1950 bis 1951 verließen in einem Massenexodus mehr als 120.000 Juden das Land in Richtung Israel. Heute leben nur noch weniger als ein Dutzend Juden im Irak.

Die Geschichte der orientalischen Juden ist im Okzident wenig bekannt, und auch in Israel waren die Misrachim, die Juden aus den arabischen Ländern, lange eine kulturelle Minderheit, die von der aschkenasischen Mehrheitsgesellschaft wenig Beachtung und manchmal auch Verachtung erfuhr. Im jüdisch-arabischen Konflikt, in dem sie aufgrund ihrer "arabischen" Herkunft auch hätten vermitteln können, gerieten sie oft zwischen alle Fronten.

Das Buch "Iraks letzte Juden" gibt nun einen wunderbaren Einblick in die Geschichte der irakischen Juden im 20. Jahrhundert. Es besteht aus Interviews mit bedeutenden Zeitzeugen, die durch hilfreiche kurze historische Einleitungen eingeführt werden. Den Anfang machen Erinnerungen an die Zeit vor dem Exil, an die widersprüchliche Existenz als Minderheit in einem arabischen Land zwischen Eingebundenheit und Diskriminierung, und die Bedeutung, die die jüdische Gemeinde für das Land hatte.

So erfährt man, dass fast die gesamte irakische Musikszene in jüdischer Hand war (das 1936 gegründet "Iraqi Broadcasting Authority Orchestra" war bis auf einen einzigen Musiker ausschließlich jüdisch besetzt) und dass auch heute noch fast alle traditionelle irakische Musik von jüdischen Komponisten stammt.

Ein weiteres Kapitel ist der Flucht und Vertreibung gewidmet, wichtige Figuren wie Shlomo Hillel und Mordechai Ben Porat, welche federführend die Luftbrücke organisierten, mit der in tausend Flügen die Juden Anfang der 1950er Jahre den Irak verließen, kommen zu Wort, sie erzählen von den dramatischen und höchst improvisierten Verhandlungen und Geheimdienstaktivitäten, mit denen dies ermöglicht wurde.

Auch die Schwierigkeiten der Flüchtlingsmassen, in Israel ganz neu zu beginnen, werden geschildert, und zuletzt erfährt man auch vom Leben der wenigen im Irak verbliebenen Juden, die nach dem Sechstagekrieg 1967 schwersten Verfolgungen ausgesetzt waren und ab 1979, wie andere Minderheiten auch, ganz besonders unter der Schreckensherrschaft von Saddam Hussein litten.

Mit ihrer Fülle von faszinierenden Details (so liest man, wie die Ehefrau eines verhafteten Juden mehrfach bis zu Saddam Hussein persönlich vordringt, der sie im Hausrock empfängt) bilden die vielen persönlichen Erinnerungen in ihrer Gesamtheit eine unglaublich dichte und spannende Geschichte des Irak im 20. Jahrhundert, aus der Sicht einer seiner Minderheiten. Eine Minderheit, die auch mehr als ein halbes Jahrhundert nach ihrem Exil noch Sehnsucht nach ihrer alten Heimat empfindet – auch dies ein anrührender Aspekt, der aus vielen Erzählungen deutlich wird.

Besprochen von Catherine Newmark

Tamar Morad, Dennis und Robert Shasha (Hg.): Iraks letzte Juden - Erinnerungen an Alltag, Wandel und Flucht
Aus dem Englischen von Anke Irmscher
Wallstein Verlag, Göttingen 2012
320 Seite, 24,90 Euro