Erhellende Stimmungen

Von Jürgen Kalwa · 10.11.2012
Bei den Planungen für den Neubau des Parrish Art Museum auf Long Island haben die Architekten zum ersten Mal wissenschaftliche Hinweise dafür gefunden, wie die Natur jene Lichtstimmung produziert, die sich in den Bildern von Vermeer und Joseph Mallord William Turner widerspiegelt.
Der amerikanische Maler William Merritt Chase war ein Mann mit zwei sehr unterschiedlichen Empfindungen. Die erste lebte er zu Beginn seines Schaffens aus, geprägt von seiner Zeit an der Akademie für Bildende Künste in München. Die brachte ziemlich dunkle Ölbilder hervor.
Doch das änderte sich schlagartig nach seiner Rückkehr in die USA. Dort entdeckte Chase die helleren, leichteren Töne. Und er entwickelte sich zu einem der prominenten Vertreter des amerikanischen Impressionismus.

Der Kontrast zwischen diesen Perioden lässt sich sehr gut nachvollziehen – in einem Museum unweit jener Stelle, wo er einst seine Shinnecock Hills Sommerschule betrieb.

""This painting, William Merritt Chase’s ‘Bayberry Bush’ is one of the most popular pictures in the collection and it is really important to the museum’s story, which is the story of the artists of the east end.”"

Das Bild – eine offene, weite und sehr helle Sommerlandschaft – ist wichtig, sagt Cara Wingfield. Weil es fast idealtypisch eine besondere Facette dieser Gegend eingefangen hat: das Licht und die vom Licht geschaffene Stimmung. Sie und der weitläufige Atlantikstrand locken seit vielen Jahrzehnten wohlhabende New Yorker hierher, nach Long Island in die Sommerfrische.

Wichtig ist das Gemälde allerdings auch, so sagt Wingfield, für die Institution, in der sie die pädagogische Abteilung leitet. Es ist das Parrish Art Museum, das an diesem Wochenende in einen großzügigen Neubau umzieht. In ein Gebäude außerhalb von Southampton auf der grünen Wiese. Der aus Stuttgart stammende Architekt Ascan Mergenthaler, Partner der Baseler Planergemeinschaft Herzog & deMeuron hat das Projekt entworfen:

""Die Grundinspiration sind die typischen Künstlerateliers, die wir hier besucht haben und viel vorgefunden haben. Der Prototyp davon ist tatsächlich so ein hausförmiges Atelier mit Nordlicht. In unseren Gesprächen mit den Künstlern, die hier leben und arbeiten, war immer das Licht das große, große Thema. Und wie können wir dieses Licht in das Museum reinbringen?”"

Dieses Licht hatte es nämlich nicht nur William Merritt Chase angetan. Die flache Landschaft war Mitte des 20. Jahrhunderts Lebensmittelpunkt für eine neue Generation von Künstlern geworden. Terrie Sultan, die Direktorin des Parrish Art Museums, nennt einige der Namen:

""Larry Rivers, Jackson Pollock, Willem de Kooning, Elaine de Kooning, Lee Krasner, James Brooks, Esteban Vicente – many of the world’s great abstract expressionists starting coming out here in the late forties, early fifties to work. The beginning of the real contemporary legacy of the east end of Long Island.”"

Was die Maler anzog, war unter anderem jenes intensive Tageslicht, das man nur in wenigen Regionen auf der Welt vorfindet. Und das für den Museumsbau eine Herausforderung darstellte. Andrew Segdwick vom Londoner Architekturbüro Arup, der für die Lichtgestaltung im Parrish engagiert wurde:

""The artists have written and spoken very poetically about what the light means to them and how it influences the way they work. But it’s not quantified. As designers there is a point, when we’re working on a building where we have to quantify things. We have to be able to size windows and choose glass.”"

""Die Künstler haben sehr poetisch darüber gesprochen und geschrieben, wie das Licht ihre Arbeit beeinflusst. Aber wenn man ein Gebäude plant, muss man es berechnen können. Da geht es um die Größe von Fenstern und die Art des Glases.”"

Bei den Recherchen stieß Sedgwick auf einen emeritierten Physik-Professor aus Connecticut. Sein Name: David Madacsi. Der hatte auf Long Island Belege für seine Theorie gesammelt: Das Meer rund um die Insel produziert einen Dunst, der sich insbesondere morgens und abends sowohl auf die Helligkeit als auch auf die Farbigkeit des Lichts auswirkt. Sedgwick:

""It scatters the light depending on things like droplet size and the angle of the sun. It does it differently for different wave lengths of light. The greater the amount of water in the air and the finer the droplets the more dramatic the effect. It’s not really a filter. It’s more of a prism. It’s bending the light, but it’s doing it selectively for each of the colors.”"

""Der Dunst streut das Licht, abhängig von der Größe der Tropfen und dem Winkel der Sonnenstrahlen. Das wirkt sich unterschiedlich auf die unterschiedlichen Wellenlängen des Lichts aus. Je mehr Wasser in der Luft, desto dramatischer der Effekt. Es ist kein Filter. Es funktioniert wie ein Prisma. Es verändert das Licht je nach Farben unterschiedlich.”"

Diese Erkenntnisse flossen in die Gestaltung des Parrish-Neubaus ein. Das beginnt schon mit der Ausrichtung des 200 Meter langen Gebäudes, das wie eine in die Länge gezogene Scheune in der Wiesenlandschaft steht – zwei parallele Ausstellungsachsen, kompassgenau von Westen nach Osten. Ascan Mergenthaler:

""Beide haben Nordlicht und ein kleines Südlicht. Das gesamte Licht wird viel aktiver. Und es ist tatsächlich ein Unterschied, ob eine Wolke da draußen vor der Sonne ist oder nicht. Das war immer die Idee. Das ist eine sehr direkte Übersetzung von Tageslicht in einem Ausstellungsraum.”"

Der Umzug in ein neues Haus schwebte dem Stiftungsvorstand schon eine ganze Weile vor. Aber das Projekt litt immer wieder unter Komplikationen. 2006 stand zum ersten Mal ein Entwurf zur Diskussion – mit einem Ensemble aus 30 Einzelgalerien, die den Scheunen und Schuppen nachempfunden waren, die den typischen Long-Island-Künstlern als Ateliers dienen. Die Kosten: rund 50 Millionen Dollar.

Die Finanzkrise von 2008 machte ein Umdenken notwendig. Und so entstand eine im wahrsten Sinne des Wortes schlanke Lösung – für die Hälfte des Preises. "Sie ist viel besser als die erste Version”, meinte Chuck Close neulich, einer der namhaftesten zeitgenössischen Long-Island-Maler. "Weniger kompliziert und nicht so teuer.” Und trotzdem sehr erhellend.

Das Parrish Art Museum auf Long Island