Erfolgreich mit komischen Neurosen

Florian David Fitz im Gespräch mit Frank Meyer · 26.12.2010
Mit kleinem Budget gestartet, trotzdem die Millionenmarke geknackt: Der Film "Vincent will meer" schaffte weitaus mehr als einen Achtungserfolg. Hauptdarsteller und Drehbuchautor Florian David Fitz spielt darin einen Mann mit Tourette-Syndrom. Die Grundsituation - das Aufeinandertreffen der drei Kranken mit ihren Störungen - biete "sehr viel Zunder für Komik und Leid".
Frank Meyer: "Vincent will meer", da stehen ja drei Leute im Mittelpunkt: Eine Magersüchtige, ein Zwangsneurotiker und ein junger Mann mit Tourette-Syndrom. Die drei hauen zusammen aus so einer Art Anstalt oder Wohnheim ab und machen sich mit geklauten Autos und mit ihren ganzen Macken im Gepäck auf den Weg Richtung Meer, italienisches Meer. Das ist eine Geschichte, die Sie sich ausgedacht haben und die jetzt eben mit großem Erfolg in den Kinos läuft. Waren Sie denn einigermaßen sicher, dass diese ja auch gewagte Kombination - ein Film mit psychisch Kranken -, dass die wirklich Leute ins Kino zieht?

Florian David Fitz: Also sicher kann da glaube ich keiner sein, sonst wären die alle Millionäre. Nein, ich habe einfach daran gedacht, es muss eine Geschichte sein, die mich interessiert, und ich habe schon die Hoffnung gehabt, dass Leute sich dafür interessieren können. Und gerade, weil es was ist, was ein bisschen gewagt ist, und ich aber auch das Ziel hatte, das so zu behandeln, dass das eine Komödie ist und die aber nicht platt ist, sondern die auch in die Tiefe geht, hatte ich die Hoffnung, dass das die Leute wirklich reinzieht.

Meyer: Und was war das, wenn Sie sagen, da gab es was, was Sie persönlich interessiert hat? Was war das?

Fitz: Na ja also mich interessiert eher die Entwicklung von jemandem, der etwas hat, mit dem man zurechtkommen muss, was ihm einfach versagt, ein normaler Mensch zu sein.

Meyer: Sie meinen jetzt die Hauptfigur mit dem Tourette-Syndrom ...

Fitz: ... die Hauptfigur, aber eigentlich ist es bei allen so. Also wenn man genau hinschaut, ist, selbst bei den Nichtkranken ist es so, dass sie irgendwas haben, was sie daran hindert, so zu sein, wie sie gerne sein wollen. Und das kennt ja jeder aus seinem eigenen Leben. Und das ist das, was mich interessiert hat, und das Tourette war eigentlich immer nur ein Symbol dafür.

Meyer: Aber natürlich ein extremes Symbol, was man als Schauspieler auch erst mal verkörpern können muss. Wie haben Sie sich das denn angeeignet?

Fitz: Ich hatte ja lange, lange Zeit, mich psychisch darauf vorzubereiten, als ich das Buch geschrieben habe, und habe das natürlich immer so vor mir hergeschoben. Es war ja auch ganz unsicher, ob dieser Film jemals gemacht wird, also ...

Meyer: Vielleicht müssen wir zwischendurch mal erklären, was Tourette eigentlich ist, für alle die es nicht wissen: Da leidet man an plötzlichen Zuckungen, Schreianfällen und kann das nicht kontrollieren, so ungefähr.

Fitz: Ja, so ungefähr. Also, es gibt sehr, sehr unterschiedliche Ausprägungen und man hat also Ticks, entweder motorische oder vokale Ticks. Und das kommt also quasi wie ein Niesen, man kann das teilweise unterdrücken, aber nicht wirklich, irgendwann bahnt sich das seinen Weg.

Also, wie gesagt, psychisch hatte ich lange Zeit, mich darauf vorzubereiten und habe das natürlich da vor mir hergeschoben und als es dann konkret wurde, dann ist es halt, wie es immer ist im Leben, war relativ wenig Zeit dafür da und ich konnte gar nicht irgendwie aufgeregt sein oder nervös sein, sondern ich musste innerhalb von vier Tagen irgendwas liefern für so ein Casting, wo dann natürlich auch die Produzentin, die Vio Jäger, gesagt hat, Florian, zeig das mal, wir müssen sehen, ob das überhaupt funktioniert, wie wir uns das vorstellen.

Und ich bin natürlich wahnsinnig ins Schwitzen gekommen und habe gesagt, das schaffe ich nicht, und habe versucht, mir also aus den ganzen Filmen und so, die ich mir angeschaut habe, so ein Sträußchen zurechtzulegen und habe das dann richtig orchestriert in den Text, wo ich was mache. Und das war ganz grauenhaft. Und ich hatte meinen Durchbruch eigentlich erst, als ich entdeckt habe, dass man selber so Impulse hat und denen eigentlich nachgehen kann und muss. Also so ein bisschen wie ein Kind sein, weil Kinder machen manchmal so Nonsens-Sachen. Und wenn man den Weg weitergeht und das verstärkt, dann findet man doch einige Impulse.

Meyer: Ihre Figur, der Vincent, der erklärt einmal, was das eigentlich ist, Tourette, nämlich seiner magersüchtigen Freundin. Und der Satz, den er da sagt, ist: "Ich habe einen Clown im Kopf, der mir immer zwischen die Synapsen scheißt". Das trifft vielleicht auch ganz gut den Tonfall dieses Films, den Sie da geschrieben haben. Man muss ja da als Autor eine ziemlich schmale Grenze treffen. Also Sie haben auch gesagt, er sollte komisch sein, der Film, er ist auch komisch, aber gleichzeitig darf er sich natürlich nicht wirklich lustig machen über Behinderte oder Humor auf Kosten der Behinderten betreiben. Wie schwer war das, diese schmale Grenze zu treffen?

Fitz: Na ja, ich habe mich zweier Tricks bedient, um das zu machen. Also das Erste ist ein Trick, das Zweite ist kein Trick. Der erste Trick ist, dass drei aufeinandertreffen, die eine eigene Störung haben und natürlich dadurch befreit sind und sehr ungeduldig mit den anderen umgehen können. Und das bietet sehr viel Zunder für Komik und Leid natürlich auf der anderen Seite. Und die andere Sache war einfach, das immer ernst zu nehmen. Also wenn du so was spielst, dann kann vielleicht der Zuschauer drüber lachen, aber mir als Figur geht es ja in dem Moment einfach dreckig. Und das ist eben der Unterschied. Also lustig ist es ja nur, wenn ich, wenn mir wirklich das Wasser bis zum Hals steht. Und deswegen berührt es halt vielleicht auch.

Meyer: Als Sie dann auf Geldsuche waren, ich weiß nicht, wie Sie selbst da drin verwickelt waren –, aber als das losging, dass man Geldgeber auftreiben muss für eben eine Geschichte über eine Magersüchtige, einen Zwangsneurotiker, einen Tourette-Mann ... Wenn man da zum ersten Mal dasteht mit so einer Geschichte, ich kann mir vorstellen, nicht alle haben gleich Hurra geschrien, das ist der Film, auf den wir warten, oder doch?

Fitz: Ja, es war so eine Schwierigkeit. Ich habe das in der Drehbuchwerkstatt in München geschrieben, und dann hat man, was sehr, sehr schön ist, man hat so eine Plattform, wo man das dann vor sehr vielen Produzenten dann vorstellen kann, die Stoffe, hat aber natürlich das Problem, den Stoff in drei Sätzen zusammenfassen zu müssen. Und als ich dann immer versucht habe, diese Geschichte – ja, die Mutter war Alkoholikerin und Vincent war sein Lebtag allein und hat Tourette und das klang alles wirklich nach ganz, ganz grauem Drama.

Und deswegen habe ich da irgendwie einen Befreiungsschlag gemacht und habe eher so wie Sie jetzt versucht, den Spirit von dem Film irgendwie einzufangen. Und dann waren die Leute natürlich, haben sie plötzlich aufgehorcht und kamen und haben das Buch gelesen. Und alle, die das Buch gelesen haben, waren natürlich dann auch angemacht, weil es genau das eben ist. Es hat eine Härte und es tut auch weh, aber es ist halt eben emotional und witzig.

Meyer: Haben Sie denn jetzt Erfahrungen gemacht, jetzt, wo der Film läuft, so erfolgreich läuft, was die Zuschauer trifft an diesem Film? Haben Sie da mit Leuten gesprochen, haben Sie das was Interessantes gehört?

Fitz: Ich glaube, das ist wieder das. Was ich gelernt habe, ist, dass ich nur von mir selber ausgehen kann. Also wenn ich ... Das habe ich beim Schauspielen gelernt, das hat mir meine Schauspiellehrerin damals beigebracht. Sie hat gesagt, hör auf, ständig dir Masken anzuziehen und das für großes Schauspiel zu halten, sondern du kannst es nur mit deinem Blut spielen, mit deinem Humor und dann dich mit der Figur irgendwo treffen. Dadurch wird es spannend, sonst wären ja alle Figuren irgendwie gleich, also von der Theaterliteratur.

Und genauso geht es halt dann auch beim Schreiben. Ich kann nur das schreiben, was mir entspringt, und dann hoffen, dass andere Leute das dann auch verstehen und auch so sehen. Und ich glaube, da treffen dann die Geister aufeinander. Also das ist das, was ich gelernt habe, dass das, was ich lustig finde, auch vielleicht ein gewisser Anteil der Bevölkerung auch gut findet.

Meyer: Diese Geschichte geht Ihnen offenbar auch weiter nach, denn Sie engagieren sich seit diesem Jahr als Schirmherr für einen Interessenverband, einen gemeinnützigen Verband, Tic & Tourette Syndrom e.V. Was können Sie denn da tun für Leute, die an diesem Syndrom leiden?

Fitz: Also, die haben mich angesprochen natürlich danach, und ich habe denen gesagt, ich weiß nicht, ob ich eure Erwartungen erfüllen kann. Ich kann eigentlich nur das so vertreten, wie ich den Film vertreten habe und so wie ich dem Ganzen mich genähert habe mit dem Film. Und ich glaube, alle, die den Film gesehen haben – da waren ja sehr viele mit anderen Behinderungen auch drin –, haben gesagt, ja, vielen Dank, dass sich endlich mal jemand so dem nähert, nicht mit dieser auch falschen politischen Korrektheit, die ja auch eine Form von Diskriminierung ist, sondern wenn ein Kind gafft, weil jemand behindert ist, dann gafft das Kind halt, und irgendwann ist es darum wieder unspannend, dann hört es auch wieder auf zu gaffen. Also man muss da irgendwie ein bisschen das entkrampfen, wenn es geht.

Das tut ja dem mit der Behinderung ja auch nicht gut. Also jemand, der Tourette hat, den strengt es, glaube ich, am meisten an, dass er ständig sich erklären muss.
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