Erfindung des Stethoskops

Mit den Ohren sehen

Ein Stethoskop hängt über einem Schreibtischstuhl in einer Hausarztpraxis.
Das Stethoskop wurde vom französischen Arzt René Laënnec erfunden. © dpa / picture alliance / Klaus Rose
Von Anne Preger · 13.09.2016
Neben dem weißen Kittel ist das Stethoskop das Statussymbol für Ärzte schlechthin: Es hilft ihnen, auffällige Herz- und Lungengeräusche im Körper eines Patienten zu diagnostizieren. Bereits vor 200 Jahren hat der französische Arzt René Laënnec ein solches Hörrohr entwickelt.
"Ich wurde im Jahre 1816 wegen einer jungen Person zu Rathe gezogen, bei der sich allgemeine Symptome einer Herzkrankheit zeigten."
Eine Herausforderung für den Pariser Arzt René Théophile Hyacinthe Laënnec. Denn die Person ist eine beleibte Frau. Bei einem beleibten Mann würde Laënnec zur Diagnose sein Ohr auf die Brust legen. Doch das verbittet sich.
"[Da] erinnerte ich mich an ein sehr bekanntes akustisches Phänomen: Wenn man das Ohr an das Ende eines Stabes anlegt, hört man ganz genau einen Nadelstich am anderen Ende."
Also improvisiert Laënnec bei diesem Hausbesuch - der seinem britischen Zeitgenossen Augustus Granville zufolge - am 13. September 1816 stattfand.
"Ich nahm einen Bogen Papier, rollte ihn fest zusammen, setzte das eine Ende auf den Brustbereich auf, legte das Ohr an das andere, und hörte zu meinem Erstaunen und zu meiner Freude die Herzschläge weit reiner und deutlicher, als ich sie jemals beim direkten Auflegen des Ohrs vernommen hatte."
Die Erfindung des "Brustschauers"
Laënnec ist begeistert und beginnt, ein Hörrohr zu entwickeln: 30 cm lang, aus Holz. Das Ende, das dem Patienten zugewandt ist, ist innen trichterförmig ausgehöhlt. Laënnec selbst gibt der Erfindung den Namen: Brustschauer - Stethoskop.
"Es verlängert eigentlich über den Sinn des Hörens in gewisser Weise das Auge so weit, dass man in den lebenden Patienten hineinschauen kann."
Das ist das Besondere, sagt Stefan Schulz. Er ist Kustos der Medizinhistorischen Sammlung der Ruhr-Uni Bochum. Vorher konnten Mediziner nur in den Brustkorb von Leichen hineinschauen. Laënnec wechselt jahrelang zwischen Seziertisch und Stethoskop hin und her. An seiner Arbeitsstätte, dem Neckerhospital in Paris, sucht Laënnec mit dem Stethoskop auffällige Herz- und Lungengeräusche. Die ordnet er nach dem Tod der Patienten krankhaften Veränderungen im Brustkorb zu. 1819 veröffentlicht Laënnec dann eine Abhandlung über die Diagnose von Lungen- und Herzkrankheiten mithilfe des Stethoskops. Das Gerät wird schnell Mode. Das stellt ein deutscher Arzt 1825 fest.
"Laënnecs Stethoskop findet man in Paris bei allen Messerschmieden und in anderen Kaufläden im Umkreis der medizinischen Hochschule. Das Stück wird für zwei Franken verkauft. Man hat es in zwei und in drei Theile zerlegbar. Die meisten practischen Aerzte zu Paris tragen es in der Tasche."
Hören kann man mit Holzstethoskopen nur auf einem Ohr. Die ersten Stereo-Stethoskope werden dann Mitte des 19. Jahrhunderts gebaut, mit Ohrstücken aus Blei. René Laënnec erlebt das nicht mehr. Er stirbt 1826 an einer Lungenkrankheit, wahrscheinlich Tuberkulose. Die lässt sich damals zwar dank Stethoskop besser diagnostizieren, aber eben nicht heilen.
In den vergangenen 200 Jahren hat sich Laënnecs Erfindung laufend weiterentwickelt. Der nächste Schritt waren Instrumente mit flexiblen Schläuchen, erzählt Stefan Schulz.
Bis heute nicht wegzudenken
"Die Schallübertragung zwischen Körper und Gerät, ist eben auch laufend verbessert worden. Zum Beispiel hat man jetzt Membranen, die auf die Haut dann aufgesetzt werden. Und die sind halt von der Übertragungsmöglichkeit her immer besser geworden. Man hat jetzt zum Beispiel auch Geräte, die tiefe Töne und helle Töne in verschiedenen Einstellungen besser übertragen können."
Heute können Ärzte zwischen analogen und elektronischen Stethoskopen wählen. Bei den elektronischen Modellen lassen sich Töne lauter abhören, aufzeichnen und Nebengeräusche wegfiltern. Ein kalifornisches Medizin Start-up-Unternehmen namens Eko bietet sogar ein Bauteil an, mit dem Ärzte ihr gewohntes analoges Stethoskop digital nachrüsten können. Aufnahmen von Herzgeräuschen schickt das Geräte direkt auf das Smartphone. Und Jason Bellet von Eko will noch einen Schritt weiter gehen.
"Bei uns arbeiten Experten an einem Programm, das Ärzte bei Entscheidungen unterstützt. So etwas wie ‚Shazam‘ - die App, die Musik hört und automatisch den Titel erkennt - aber eben für Herzschläge. Wir hoffen, in Zukunft legt ein Arzt das Stethoskop auf die Brust eines Patienten und es sagt: ‚Das ist dieses Geräusch, ein Hinweis auf jenes Leiden.' Da sind wir noch nicht. Aber in so eine Zukunft bewegen wir uns ."
Auch wenn einige Kardiologen das Stethoskop nicht mehr in ihrer Kitteltasche wollen und Herzen stattdessen lieber mit Ultraschall-Technologie untersuchen - reif für das Museum ist das Stethoskop auch nach 200 Jahren nicht.