Erdöl und Erdgas

Im Zwiespalt

Das Wahrzeichen von Astana, der kasachischen Hauptstadt: der Bajterek-Turm
Das Wahrzeichen von Astana, der kasachischen Hauptstadt: der Bajterek-Turm © picture-alliance / dpa / Marius Becker
Von Vanja Budde und Edda Schlager · 27.08.2014
Auf kasachischem Boden liegen wertvolle Erdöl- und Erdgasvorkommen, an denen Russland aber auch China interessiert sind. Chinesische Firmen besitzen schon ein Drittel des kasachischen Öl- und Gassektors, was Russland mit Argwohn sieht. Um zwischen den beiden Großmächten nicht aufgerieben zu werden, strebt Kasachstan nach Europa.
In der Steppe rund um die Stadt Atyrau im Westen Kasachstans stehen sie zu hunderten und befördern quietschend das "Schwarze Gold" an die Oberfläche: Pferdekopfpumpen und fahrbare Bohrtürme wie dieser hier. 200 Meter am Tag dringt die Mannschaft in die Tiefe vor, erklärt Peter Krieger.
"Ein neues Bohrloch wird abgeteuft. Hier liegen die Förderhorizonte bei 1800 Metern, das heißt, die werden hier drei Wochen zu tun haben. Hier gehe ich mal von einer Fördermenge aus von 600 Barrel am Tag aus. 600 bis 800 Barrel am Tag. Die Bohrfirma heißt KazMunaiGasBurgylau, das ist praktisch die staatliche Drillfirma des staatlichen Gaskonzerns KazMuniaGas."
Der Bohrturm arbeite mit chinesischer Technik, erklärt Peter Krieger: Die sehe zwar aus wie amerikanische, sei aber anhand ausgelaufener Lizenzen nachgebaut worden und koste ein Drittel der Originale. Krieger ist gelernter Elektrotechniker aus Mecklenburg-Vorpommern. Seit mehr als 20 Jahren arbeitet er im neuntgrößten Land der Welt in der Zulieferindustrie für die Erdölförderung. Heute ist er deutscher Honorarkonsul, kennt alles und jeden an der Küste des Kaspischen Meeres. Hier liegen die großen Schätze an wertvollen Ressourcen, von denen auch ein Werbefilm der kasachischen Botschaft in Deutschland schwärmt:
"Mit seinen hohen Vorkommen an Erdöl und Erdgas gilt Kasachstan als eines der reichsten Länder der Welt. Experten schätzen die Erdölvorkommen auf rund neun Milliarden Barrel. In den neunziger Jahren wurden im Norden des Kaspischen Meeres und in der Steppe die größten Erdölreserven der letzten 30 Jahre gefunden."
China gibt Kredite und will Öl
Zum Export des Öls braucht es Pipelines – und die stammen noch aus Sowjetzeiten, gehören heute Gazprom und führen nach Russland. Doch es gibt einen neuen mächtigen Mitspieler:
"Der chinesische Staat, der als ersten Schritt dann immer Kreditlinien gewährt, die brauchen natürlich auch Sicherheiten. Und wonach die darben, das sind natürlich die Rohstoffe, die Kasachstan in einem riesigen Ausmaß besitzt."
Erzählt Peter Krieger auf der Fahrt durch die staubige Steppe in die boomende Erdölstadt Atyrau. Vor zehn Jahren lebten hier 150 000 Menschen. Heute sind es mehr als 200 000.
"Deswegen ist das ja eigentlich erst einmal ein gutes Verhältnis: Die einen brauchen das, was der andere hat. Und Kasachstan würde ohne die Kreditlinien, gerade in den letzten 15 Jahren, kaum eines der Großprojekte angeschoben haben können. Und für mich gehört sogar der Ausbau der Astana-Hauptstadt dazu."
Kashagan ist das teuerste Ölfeld der Welt
Nachdem Kasachstan 1991 unabhängig wurde, ließ Präsident Nursultan Nasarbajew die Hauptstadt von Almaty im Süden nach Astana im Norden verlegen. Die wird seitdem in Rekordzeit ausgebaut, mit chinesischen Baumaschinen und chinesischem Knowhow.
Das Kashagan-Ölfeld in der Nähe von Atyrau in Kasachstan.
Das Kashagan-Ölfeld in der Nähe von Atyrau in Kasachstan.© AFP / Pool / Leon Neal
Zuletzt hat sich Peking Ende 2013 in das gigantische Ölfeld Kashagan im Kaspischen Meer eingekauft. Kashagan ist wegen riesiger Milliarden Barrel-Reserven das derzeit wichtigste und zugleich teuerste Ölfeld der Welt: Offshore-Förderung ist technisch sehr anspruchsvoll – und in Kashagan löst seit Jahren ein Problem das nächste ab.
"Als vor zehn Jahren British Gas aus dem Kashagan-Konsortium ausscheiden wollte, hätten die liebend gerne an China verkauft, weil die mit Abstand den höchsten Preis geboten haben. Alle Konsortiumsmitglieder – ob‘s die Amerikaner waren, ExxonMobil oder die Franzosen oder die Shell-Leute oder die Italiener, Agip, die hatten alle etwas gegen die Chinesen, die wollten die nicht mit im Konsortium haben, nicht mit im Projekt. Letztes Jahr waren sowohl die Kasachen als auch die anderen, ausländischen Konsortiumsmitglieder froh, dass die Chinesen einsprangen. Nicht nur mit einer Kreditlinie, sondern als Shareholder."
Russland blickt argwöhnisch auf Chinas Engagement
China braucht das Öl und Gas aus Kasachstan und den zentralasiatischen Nachbarländern. Deshalb besitzen chinesische Firmen nicht nur 30 Prozent des kasachischen Öl- und Gassektors – manche munkeln, es seien bereits 40 Prozent - Peking baut auch für viele Milliarden Dollar eigene Pipelines von Kasachstan nach China. Ziel ist ein 4000 Kilometer langes Netzwerk von Öl- und Gasröhren– bis hin zur Ostküstenmetropole Shanghai. Peking spricht gern blumig von der "neuen Seidenstraße". Doch seine Einkaufstour verschiebt das geostrategische Machtgefüge in ganz Zentralasien - und in Kasachstan in Besonderem. Denn Russland blickt mit Argwohn auf Chinas Vordringen in diese Region, die Moskau traditionell als seinen Hinterhof ansieht.
In Atyrau überspannen mehrere Brücken den Fluss Ural, der sich schmutzigbraun durch die Erdölstadt wälzt. Atyrau liegt zur einen Hälfte in Europa, zur anderen in Asien. Hier wird sichtbar, warum Kasachstan sich als Scharnier zwischen beiden Kontinenten versteht. Die Grenze zum mächtigen Nachbarn Russland liegt nur 300 Kilometer weiter westlich, für kasachische Verhältnisse gleich vor der Haustür.
Entlang der Straße vom Flughafen ins Stadtzentrum von Atyrau wird eifrig gebaut: Hoher Besuch steht ins Haus: Demnächst wird Präsident Nasarbajew hier erwartet. In Begleitung eines wichtigen Gastes: Wladimir Putin reist aus Moskau an. Kasachstan ist für Russland nicht nur ein wichtiger Rohstofflieferant, sondern neben Weißrussland auch der bislang einzige Partner in der jüngst gegründeten Eurasischen Wirtschaftsunion. Lange waren Russland und Kasachstan natürlicher Partner: Man teilt die sowjetische Vergangenheit und eine 7600 Kilometer lange Grenze. Und Kasachstan hat mit 23 Prozent eine große russische Minderheit. Doch die Zeiten änderten sich gerade, sagt Dossym Satpayev. Der renommierte Politologe ist Direktor der NGO "Risk Assesment Group" in Almaty.
"Im post-sowjetischen Raum hat eine Periode neuer Einflusssphären begonnen. Russlands Hauptkonkurrent sind nicht mehr die USA, sondern China. Mit der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit wird Peking nicht nur seine Position in Zentralasien stärken, sondern auch in anderen Ländern, wie in der Ukraine. China investiert überall. Deshalb ist das russische Integrationsprojekt, die Eurasische Wirtschaftsunion, ein Versuch Moskaus, mit China mitzuhalten. Russland versucht ja nun auch, Kirgistan und Tadschikistan in das Projekt mit einzubeziehen."
Kasachstan profitiert von neuen chinesischen Leitungen
Der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit gehören die Volksrepublik China, Russland, Usbekistan, Kasachstan, Kirgistan und Tadschikistan an. Die SOZ vertritt damit rund ein Viertel der Weltbevölkerung und ist die größte Regionalorganisation der Welt. Kasachstan konnte lange sein Öl und Gas über alte, sowjetische Pipelines nur an Russland verkaufen. Die neuen chinesischen Leitungen verringern diese Abhängigkeit. Eine für Kasachstan willkommene Entwicklung – auch angesichts von Wladimir Putins Vorgehen auf der Krim und in der Ost-Ukraine.
"Russlands Politik ist die Politik eines Elefanten. Es tritt ungeschickt auf, saugt alle Ressourcen auf, trampelt alles nieder. China nicht. China schlängelt sich um alle Fallstricke herum, wie ein geschickter Drache. Obwohl es ein starkes Land ist, hat China sich schwebend und unauffällig eine starke Präsenz im post-sowjetischen Raum aufgebaut, ohne sich dabei viele Feinde zu machen. Ganz im Gegenteil: Es hat neue Partner gefunden."
Doch in Kasachstans Bevölkerung sind die Chinesen unbeliebt. Es sind uralte Ängste vor dem mächtigen Nachbarn im Osten: Schon im 18. Jahrhundert suchten die kasachischen Nomadenstämme aus Furcht vor China Schutz beim russischen Zarenreich. Heute werden schätzungsweise 80 Prozent aller Waren auf der Baracholka, einem riesigen Basar in Almaty, aus China geliefert: vor allem Kleidung und elektronische Geräte. Die Baracholka stehe mittlerweile unter der Kontrolle der Chinesen, erzählen zwei junge Händler hinter vorgehaltener Hand. Sie verkaufen gefälschte Marken-Navigationsgeräte - und Ihre Namen wollen sie vorsichtshalber nicht nennen. Wie man sich denn so verstehe? Der Händler antwortet vorsichtig auf diese Frage:
"Sie sind die Chefs, Wenn du die Ware hast, was glaubst du, wie man sich dir gegenüber verhält? Nein, hier behandelt sie niemand schlecht. Sie können hier frei arbeiten. Sie sind überall hier auf dem Markt. Aber man sieht sie eigentlich nicht. Sie sind eher die Händler im Hintergrund."
Verkäuferin: "Wir Kasachstaner werden ständig von China bedroht"
Die temperamentvolle Pelzverkäuferin Rosa ist da weniger zurückhaltend. Vielleicht, weil sie ihre Ware aus dem benachbarten Kirgistan bezieht, nicht aus China. Rosa ist ein Fan der Eurasischen Wirtschaftsunion.
"Das ist nicht die ehemalige Sowjetunion, aber so wird es sich besser leben lassen, weil wir uns gegenseitig helfen können. Ihr wisst doch, wie viel Kohle für Waffen ausgegeben wird! Wir Kasachstaner werden ständig von China bedroht. Falls es zu einem militärischen Angriff kommt, können wir nun immer Hilfe von den Russen und den Weißrussen bekommen. Die Chinesen werden es nicht wagen, aber es wäre nicht schlecht, wenn man unsere Streitkräfte an die Grenze stellen würde."
Der kasachische Präsident Nursultan Nasarbajew während einer Sitzung des Eurasischen Wirtschaftsrates in Astana am 29. Mai 2014.
Kasachstans Präsident Nursultan Nasarbajew © picture alliance / dpa / Sergey Guneev / RIA Novosti
Kasachstans Langzeitpräsident Nursultan Nasarbajew laviert seit Jahrzehnten vorsichtig zwischen Russland und China. Die schwierige Balance hat er bislang recht geschickt gehalten, das räumen sogar Nasarbajews Gegner ein. Der 74-jährige Autokrat sitzt nach wie vor fest im Sattel. Auch dank Bolat Sultanov: Der Chef des Kasachischen Instituts für Strategische Studien ist ein enger Berater des Präsidenten.
Multivektorpolitik nennt Sultanov den Balanceakt, mit dem Kasachstan sich um gute Beziehungen zu Russland und China, zu den USA und Europa bemüht. Es gebe keine andere Wahl, meint der Think-Tank-Chef, der früher als kasachischer Botschafter in Bonn diente: Im Süden Kasachstans lägen mit Iran und Afghanistan schließlich wenig Vertrauen erweckende Nachbarn. Bärtige Islamisten und Drogenhändler, wie Sultanov sich ausdrückt.
"Wir sind die Realisten. Wir sind die Pragmatiker. Und darum haben wir Pipelines nach China gebaut und transportieren also nach (Sic!) drei Gaspipelines und einer Erdölpipeline unsere energetischen Reserven nach Osten."
Deutschland zeigt wenig Interesse
Eingeklemmt zwischen dem russischen Elefanten und dem chinesischen Drachen sieht Sultanov den Westen als Türspalt in eine weniger abhängige Zukunft Kasachstans. Doch leider interessiere sich Deutschland als Lokomotive der EU nicht für Zentralasien, klagt er.
"Bitte stoßt uns nicht. Wenn Sie uns weiter stoßen, dann gehen wir in die Umarmung von China. Bitte machen Sie das nicht. Wir möchten das nicht. Wir streben nach Europa. Natürlich werden wir mit China weitere Beziehungen, also das sind unsere Nachbarn. Aber bitte, wenn also unsere deutschen Partner uns verstehen werden, ja? Also wir streben in die Euroasiatische Union und die Zukunft der Euroasiatischen Union in die Verbindung mit Eurounion."
Nasarbajew-Berater: "Wir streben zu Europa"
Die Eurasische Union ist Putins Gegengewicht zur EU. Sollte sie nach Vorstellung Kasachstans demnach mit der Europäischen Union zusammen arbeiten? Zentralasien sich dem Westen zuwenden? Bolat Sultanov ist die Stimme seines Herrn, aus Sultanov spricht Nasarbajew.
"Das kann ich ganz offen sagen: Wir orientieren uns nach Westen. Unsere Gesichter sind asiatisch, aber wir streben zu Europa. Sie haben wahrscheinlich gemerkt: Wir sprechen über Euroasiatische Union, aber nicht Asiatische Union. Dann in 50 Jahren, ja, warum nicht, kann man über politische Union sprechen – Eurounion und Euroasiatische Union. Warum nicht? Ja, das ist heute utopisch. Heute ist das fantastisch, aber wir sollen weiter gucken."
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