Erdbebenforschung

Katastrophengefahr aus dem Mittelmeer

Küstenlandschaft auf Sizilien
Küstenlandschaft auf Sizilien © Imago
Von Marko Pauli  · 18.12.2014
Fast 90.000 Menschen starben 1908 beim Erdbeben von Messina in Süditalien. Und die Region bleibt gefährdet. Denn im Mittelmeer treffen sich zwei Kontinentalplatten. Ozeanforscher aus Kiel haben nun den Meeresboden erkundet - und dabei wertvolle Daten gesammelt.
Auf hoher See vor Sizilien. Tief unter dem Forschungsschiff Meteor passiert es irgendwo, zwei Kontinentalplatten treffen aufeinander, genauer gesagt schiebt sich die afrikanische unter die eurasische Platte, mit einer Geschwindigkeit von rund zwei Zentimetern pro Jahr.
"Nicht genau bekannt ist, wo und wie genau diese Plattengrenze verläuft. Aber genau an dieser Plattengrenze entstehen solche starken Erdbeben. Um diese Erdbeben besser verstehen zu können, muss man möglichst genau wissen, an welchen Orten die entstehen."
Um das herauszufinden, war Heidrun Kopp, Professorin für Geophysik beim Geomar Helmholtz Zentrum für Ozeanforschung, kürzlich mit einem internationalen Forscherteam 24 Tage im Seegebiet vor Sizilien unterwegs. Per Kran wurden vom Forschungsschiff aus zunächst Ozeanbodenseismometer ins Wasser gelassen, die wie zwei Taucherflaschen aussehenden seismischen Rekorder sanken frei hinab bis auf den Meeresboden, in bis zu 3500 Meter Tiefe.
Mit Airguns wird die Beschaffenheit des Meeresbodens vermessen
Dann kamen sogenannte Airguns zum Einsatz, sie erzeugen Luft-Explosionen unter Wasser. Wegen des Lärms sind Beobachter mit an Bord, die spätestens 45 Minuten vor dem Einsatz die Wasseroberfläche nach Meeressäugetieren absuchen. Wenn keine Tiere zum Luftholen an die Wasseroberfläche kommen, wird angenommen, dass keine in der Nähe sind, und dann wird’s laut, auch an Bord, wie die Doktorandin Margit Wieprich erfahren hat, die zum ersten Mal bei so einer Expedition dabei war.
"Ja, in der Tat, das hört man und spürt man auf dem Schiff, diese Explosion, die da ausgelassen wird alle 60 Sekunden, das ist laut."
Die durch die Airguns verursachten akustischen Wellen dringen tief in die Erde ein, wo sie an verschiedenen Gesteinsschichten unterschiedlich abgelenkt und reflektiert werden.
"Und die Wellen laufen dann an die Erdoberfläche, an den Meeresboden, wieder zurück, dort stehen dann unsere Messinstrumente, registrieren die Ausbreitung dieser Wellen und daraus können wir dann zurückrechnen, wie der Untergrund aufgebaut ist, d.h. wir sehen die Schichtgrenzen, den Übergang von der Erdkruste zum Erdmantel zum Beispiel, wir sehen die Plattengrenzen zwischen Afrika und Europa, und wir sehen auch aktive Störungszonen mittels dieser Methode, bis in Tiefen von etwa 20, 30 Kilometern, teilweise auch da drüber hinaus."
Die wichtigsten offenen Fragen konnten also sofort beantwortet werden: Nun ist ganz genau bekannt, wo die Plattengrenze verläuft, aber auch, wo sich aktive und damit potenziell gefährliche Bruchzonen im Gestein befinden. Doch die Seismometer haben noch mehr Daten gesammelt, die unter anderem Margit Wieprich für ihre Doktorarbeit auswerten wird.
"Das dauert länger, das ist die Aufgabe, die ich in den nächsten drei Jahren vor mir habe."
Warn-SMS aufs Handy, Lautsprecher am Strand
Die gewonnenen Daten können in ein schon länger geplantes Mittelmeer-Tsunami-Frühwarnsystem fließen, aber auch in eine Tsunami-Modellierung, mit der vorhergesagt werden kann, wie und vor allem wie schnell sich eine Tsunamiwelle vom Entstehungsort eines Erdbebens ausbreitet und welche Wellenhöhe an der Küste zu erwarten ist. Wann das nächste Erdbeben zu erwartet ist, kann allerdings nicht gesagt werden.
"Wir können keine Vorhersage tätigen. Was wir machen können, und dazu dienen auch die Daten, die wir jetzt gewonnen haben, ist einzugrenzen, in welchen Bereichen wir Erdbeben zu erwarten haben."
Ein erhöhtes Risiko für die Bevölkerung in Sizilien sei immer gegeben – wie auch an allen möglichen anderen Orten im Mittelmeerraum mit einer nicht zu unterschätzenden Spezifik:
"Wir haben hier im Mittelmeerraum die Problematik, dass die Störungszonen und die Erbebenherde sehr nah im Küstenbereich immer liegen. Wenn ein Tsunami dort entsteht, dann sind die Laufzeiten bis zum Strand sehr kurz, die Vorwarnzeiten auch relativ kurz und entsprechend detailliert muss das durchdacht werden."
Vor allem die Baustruktur an Land, aber auch der Informationsfluss seien im Ernstfall entscheidend.
"Zum Beispiel über eine SMS aufs Handy, Lautsprecher am Strand, Rettungswege aufzeigen - diese Sachen sind ja zum großen Teil schon umgesetzt dort."
Beim Tsunami im Indischen Ozean vor zehn Jahren war zu beobachten, wie wichtig es auch ist, dass die Menschen vor Ort die Anzeichen eines nahenden Tsunamis richtig zu lesen wissen.
"Wir hatten ja Berichte aus Thailand, dass das Wasser sich erstmal von der Küstenlinie, vom Strand zurückgezogen hat sehr weit, und viele Touristen, auch Einheimische, erstmal auf den dann freiliegenden Meeresboden gelaufen sind, Muscheln eingesammelt haben, weil sie sich der Gefahr gar nicht bewusst waren. Japanische Touristen haben anders reagiert, weil es für sie präsenter war, die wussten gleich, hier kommt etwas auf uns zu, das uns dazu bewegen sollte, ins Landesinnere zu flüchten."
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