Erbschaft

Feudales Relikt und gehütetes Privileg

Wohlstand ohne jede eigene Anstrengung: Erben ist schön für die Erben, aber der Rest der Gesellschaft hat nichts davon.
Wohlstand ohne jede eigene Anstrengung: Erben ist schön für den Erben, aber der Rest der Gesellschaft hat nichts davon. © dpa / picture alliance / Jens Kalaene
Von Lorenz Rollhäuser · 15.06.2015
In Deutschland ist das Vermögen ungleich verteilt. Pro Jahr werden 200 bis 300 Milliarden Euro vererbt. So wird die soziale Ungerechtigkeit von einer Generation zur nächsten weitergereicht. Ein Blick auf die Geschichte des Erbrechts und ein Plädoyer dafür, Reichtum gerechter zu verteilen.
Eins mal gleich vorweg: Erben und Vererben von Vermögen mag ja ein nachvollziehbares Anliegen sein. Moralisch halte ich es für ausgesprochen fragwürdig und argumentativ kaum vertretbar. Erben ist ein Relikt aus feudaler Zeit mit schwerwiegenden Folgen für die Gesellschaft, die sich immer deutlicher zeigen.
"Erbrecht ist Unrecht"
Sie halten das für übertrieben, wenn nicht für groben Unfug? Dann dürfen Sie sich zur großen Mehrheit der Deutschen zählen, zu jenen 84 Prozent, die nach einer Umfrage aus dem Jahr 2007 folgender Aussage zustimmen:
Es ist gerecht, dass Eltern ihr Vermögen an ihre Kinder weitergeben, auch wenn das heißt, dass die Kinder reicher Eltern im Leben bessere Chancen haben.
Damit befürworten Sie ein Gesellschaftsmodell, das bedeutende Teile der Bevölkerung ausgrenzt und an den Rand schiebt, und Sie befürworten es sehenden Auges, nicht anders als knapp die Hälfte der Befragten, die durchaus erkennt, was die Folgen des Erbens sind:
Wer heute aus einem armen Elternhaus kommt, hat keine Chancen, zu Reichtum und Wohlstand zu kommen.
Wahrscheinlich finden Sie, wie die meisten Deutschen, dass Eigentum der Familie gehöre. Damit jedoch vergessen Sie, dass das Eigentum nicht in der Familie, sondern in der Gesellschaft erworben oder erarbeitet wurde, d. h. seine Aneignung setzt staatliche, organisatorische und auch materielle Infrastruktur voraus. Eigentum hat also zumindest einen Doppelcharakter: es ist so gesellschaftlich wie privat.
Gerade heute liegt das auf der Hand, denn die Erbenwelle, die zur Zeit auf geschätzte 200 bis 300 Milliarden Euro pro Jahr anschwillt, beruht darauf, dass hierzulande seit 70 Jahre Frieden herrscht. Und den hat kein noch so Reicher allein geschaffen.
Ein feudales Relikt
"Das Erbrecht oder die Vermögensvererbung ist ja eine Form der Privilegierung von einigen, die qua Geburt stattfindet."
Der Soziologe Jens Beckert ist Spezialist für die Geschichte des Erbrechts und Leiter des Kölner Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung.
"Und die Aufklärung hat sich genau gewandt gegen Privilegien, die nicht mit Leistung der Gesellschaftsmitglieder zusammenhängen, sondern die eben auf Grund von Geburtsprivilegien entstehen. Und in diesem Zusammenhang wurde auch immer wieder die Vermögensvererbung als Teil von feudaler Gesellschaftsordnung und von Standesprivilegien diskutiert.
Und heute kann man diese Formulierung von Vermögensvererbung als feudales Relikt manchmal auch wieder hören, im Zusammenhang mit der Diskussion um eine Erbengesellschaft, also dass hier gerade wieder eine Art von Privilegierung stattfindet, die man in Analogie zu feudalen oder aristokratischen Privilegierungssystemen sehen kann."
Seit die Kapitalismusanalyse des Franzosen Thomas Piketty auf der ganzen Welt diskutiert wird, ist auch das Erbrecht wieder in der Diskussion. Sein Befund, dass die Einkommen aus Vermögen weit stärker steigen als die Einkommen aus Arbeit, impliziert nämlich, dass wir uns zu einer Erbengesellschaft hin entwickeln. In der geben allein diejenigen den Ton an, die auf Vermögen zurückgreifen können, Vermögen, die sich ohne ihr Zutun immer weiter vermehren. Und die anderen - gucken in die Röhre.
"Wir haben hier offensichtlich 'ne Situation, wo Leute einerseits relativ vermögend sind..."
Der Soziologe Steffen Mau.
"... wo dieses Vermögen aber deutlich ungleicher verteilt ist als die Einkommen, doppelt so ungleich, und wo offensichtlich über Vermögensübertragung immer mehr so etwas stattfindet, was wir Soziologen die Refeudalisierung sozialer Ungleichheit nennen, nämlich 'ne stärkere Verhärtung oder Verholzung der Sozialstruktur vor allem am oberen und unteren Ende.
Und um das zu vermeiden ist 'n Zugriff auf Vermögenstransfer über Erbschaften ganz ganz entscheidend, ich glaube, dass es den meisten Erben, die davon betroffen wären, nicht besonders weh tun würde, es gibt allerdings sehr große Vorbehalte in der Bevölkerung gegen 'ne Erhöhung der Erbschaftssteuer, das muss man dazu sagen..."
Spitzenreiter in Ungleichheit
Das ist ne Aufforderung. An alle. Weil die Verhältnisse dramatisch sind. Das wissen auch die meisten. Aber es passiert nix. Und ich frage mich nur, warum nichts passiert.
Die Erkenntnis, dass sich immer mehr Vermögen in immer weniger Händen konzentriert, braucht ja keinen Piketty. Sie lässt sich seit Jahren schon den Armuts- und Reichtumsberichten der Bundesregierung ebenso entnehmen wie den Veröffentlichungen der Bundeszentrale für politische Bildung. Oder den Studien des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, an dem Markus Grabka arbeitet:
"Wenn man über Vermögensverteilung in Deutschland spricht, ist für mich sicher einer der Indikatoren, die man als erstes heranziehen kann, der sogenannte Gini-Koeffizient, das ist ein Standardmaß zur Messung von Ungleichheit, und der hat die guten oder sehr angenehmen Eigenschaften, dass er auf den Wertebereich 0 – 1 normiert ist, d. h. 0 heißt alle Personen halten das gleiche Vermögen, 1 heißt eine Person hält das gesamte Vermögen ganz alleine, und Deutschland ist eben gekennzeichnet, zumindest im europäischen Vergleich, als eines der Länder mit der höchsten gemessenen Vermögensungleichheit. Wir weisen derzeit mit unseren Daten einen Gini-Koeffizienten von 0,78 aus."
Damit sind wir Spitze in Europa. Und darauf können wir gar nicht stolz sein. Um so weniger, als diese Erkenntnisse nur auf Stichproben beruhen, mit denen die wirklich Reichen kaum erfasst werden. Und selbst wenn sie erfasst würden: alle Angaben zum eigenen Vermögen sind freiwillig und daher nicht nachprüfbar. In Deutschland gibt es nämlich keine bundesweite Erfassung der Vermögen. Und selbst wenn es sie gäbe, blieben dabei all jene großen Vermögen außen vor, die längst über Steueroasen wie Österreich, die Schweiz oder die Cayman Inseln verwaltet werden. Also ist auch der folgende Befund zwar dramatisch, aber immer noch stark untertrieben:

Also wenn man eine grobe Daumenregel verwenden möchte, so ist es so, dass in Deutschland die reichsten 10 % in etwa mehr als 60% des gesamten Nettovermögens zur Verfügung haben. Nimmt man die untere Hälfte, also 50 Prozent der Bevölkerung, die halten weniger als fünf Prozent des gesamten Vermögens.
Gehütete Privilegien
Die Tatsachen sind sattsam bekannt. Umso erstaunlicher ist, wie wenig in Deutschland über Privilegien gesprochen wird. Ein Grund mag sein, dass Privilegien in der Regel nur von denen wahrgenommen werden, die keine haben. Hinzu kommt, dass die Unterprivilegierten im Politik- und Medienbetrieb, der den öffentlichen Diskurs bestimmt, kaum repräsentiert sind. Ein anderer Grund mag das schlechte Gewissen der Privilegierten sein. Doch seit die Mittelschicht unter Druck gerät, ist es mit dem schlechten Gewissen nicht mehr weit her.

"Das ist wirklich erstaunlich, wie eine Schicht, die an sich kein Vermögen hat, und seit Jahren erlebt, dass die Reallöhne sinken, wie die sich einbilden kann, dass sie eigentlich zur Elite gehört."
Ulrike Herrmann ist Wirtschaftsredakteurin der Tageszeitung taz.
"Und ich glaube eben, dass da drei Mechanismen am Werk sind: der erste Mechanismus ist vielleicht der wichtigste: die Unterschicht wird vehement abgelehnt. Nicht, also die Mittelschicht ist ja meistens angestellt, verdient ja auch nicht schlecht, und die denken sich dann: okay, ich bin kein Langzeitarbeitsloser, ich hab es irgendwie geschafft, und dann stellen sie sich vor, weil ich Leistungsträger bin, bin ich auch Teil der Elite. Das is natürlich 'n kompletter Unfug, aber da greift dann eben Mechanismus zwei, nämlich dass man über die Reichen so wenig weiß, Milliarden, Millionen verschwinden aus der Statistik, und weil man eben nichts weiß über die Reichen, kann sich die Mittelschicht dann auch vorstellen, sie sei auch irgendwie reich."
Wie die Oberschicht hängt auch die Mittelschicht an ihren Privilegien, seien sie auch im Vergleich noch so mager. Dass es vielleicht mal an der Zeit wäre, die öffentlichen Haushalte zu sanieren, will ihr nicht in den Sinn.
Dabei könnte alles ganz einfach sein, denn Geld genug ist vorhanden. Wenn die privaten Haushalte in Deutschland zwischen 7 und 10 Billionen Euro besitzen, der Staat dagegen mit etwa zwei Billionen verschuldet ist, müsste man nur ein wenig umverteilen. Aber dagegen sperren sich selbst jene, die dabei nichts abgeben müssten.
Die Folgen dieses falschen Bewusstseins sind allerdings gravierend. Im Bildungsbereich bedeutet es nämlich, dass die schlechte Ausstattung der Schulen und Hochschulen nur jene kompensieren können, die über gutes Einkommen oder Vermögen verfügen. Die anderen müssen sehen, wo sie bleiben. Die Teilung in Wohlhabende und Arme beginnt im Kindesalter.
Dabei geht Privilegierung selbstverständlich weit über Einkommensvorteile und Vermögensvererbung hinaus, denn Kindern aus bürgerlichem Elternhaus stehen von vornherein alle Karrieremöglichkeiten offen, weil ihnen der Weg durch das Bildungssystem inklusive Abitur und Studium bereits geebnet ist. Und mit größter Selbstverständlichkeit erlernen diese Kinder von klein auf auch den Habitus, der für den gesellschaftlichen Erfolg mindestens so bedeutend ist wie der Schul- oder Studienabschluss.
Damit stehen ihnen die Türen für eine Tätigkeit ihrer Wahl offen, eine Tätigkeit, die womöglich nicht nur ihrer Neigung entspricht, sondern auch gesellschaftlich angesehen und zudem gut dotiert ist. Und schließlich kommt, wenn der berufliche Erfolg im Leben längst gefestigt ist, noch das Erbe obendrauf. Dieses Erbe fällt somit genau den Menschen zu, die es am wenigsten brauchen.
Und diese Menschen treten dann in der Gesellschaft entsprechend selbstbewusst auf. Sie nutzen ihre Privilegien und kaufen, um ihr Vermögen zu sichern, Eigentumswohnungen in den gefragten Wohnlagen, aus denen so die Unterprivilegierten vertrieben werden.
Geschichte des Erbrechts
Wir waren schon mal weiter. Zumindest in Gedanken. Denn mit der Abschaffung der Feudalherrschaft 1789 geriet auch das Erbrecht in die politische Diskussion. So wurde von Mirabeau und anderen damals angeführt, dass das Eigentumsrecht mit dem Tod des Eigentümers erlische und sein Eigentum daher an die Gemeinschaft zurückfalle. Woher nimmt sich ein Mensch das Recht, über seinen Tod hinaus zu bestimmen, was mit seinem Eigentum geschieht? Ebenso gut lässt sich geltend machen, dass das Eigentum mit dem Ableben des Eigentümers herrenlos wird. Oder, wie es Thomas Jefferson formulierte:
"Die Erde gehört den Lebenden. Den Toten kommt weder Macht noch Recht an ihr zu."
"Das ist 'ne Position, die findet man in den USA."
Der Soziologe Jens Beckert.
"... aber auch in dem sozialliberalen Diskurs in Frankreich, etwa bei Emile Durkheim. Die dahinterstehende Idee ist immer, dass durch den Eingriff in die Vermögensvererbung für jede Generation wieder gleiche Ausgangschancen geschaffen werden."
Die deutschen Sozialisten waren in der Frage staatlicher Eingriffe ins Erbrecht erstaunlich zurückhaltend. Marx und Engels forderten zwar 1848 im Kommunistischen Manifest die Abschaffung des Erbrechts, ganz in der Tradition der Frühsozialisten. Wenig später jedoch rückte Karl Marx von dieser Forderung ab, weil sie zum einen gegen großen Widerstand durchzusetzen wäre und sich zum andern das Problem durch die Vergesellschaftung der Produktionsmittel sowieso erledige.
"Das ist auch dann die Position geworden der Sozialdemokraten. Die Sozialdemokraten waren nie die, die gesagt haben, wir brauchen eine besonders hohe Erbschaftssteuer, oder wir müssen unbedingt die Vermögen nivellieren in jeder Generation."
Ungerechtigkeit durch Besteuerung lindern
Spätestens mit der Einführung einer staatlichen Altersabsicherung war die Besteuerung von Erbschaften auf der Tagesordnung. Nun konnte das Erbrecht nämlich nicht mehr als Daseinsfürsorge für den Notfall gerechtfertigt werden, sondern es wurde als das erkannt, was es wesentlich ist: ein Privileg, das soziale Ungleichheit durch Weitergabe von Generation zu Generation zementiert. Und diese Ungerechtigkeit sollte durch Besteuerung wenigstens gelindert werden.
"Die moderne Erbschaftsbesteuerung, was eine progressive Erbschaftsbesteuerung ist, das ist in Deutschland so wie in ganz vielen anderen westlichen Ländern um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert eingeführt worden. In Frankreich wurde 1901 die Erbschaftssteuer eingeführt, in Deutschland 1906, und in den USA 1916."
Jens Beckert fand jedoch in der amerikanischen Diskussion überraschende Unterschiede zur europäischen Auffassung:
"Erbschaften sind problematisch im amerikanischen Selbstverständnis, weil es zu ungleichen Startchancen der Gesellschaftsmitglieder führt. 'N zweiter Hintergrund in Amerika ist die Befürchtung, dass die Vermögenszusammenballung über Generationen durch Erbschaften zu einer Gefährdung der Demokratie führen würden. Dass hier Machtzentren sich zusammenballen, die den demokratischen Prozess unterminieren.
Und daraus ergeben sich dann Forderungen nach hoher Besteuerung von Erbschaften, und überraschenderweise sind das Forderungen, die immer wieder auch von den besonders Wohlhabenden, Vermögenden in Amerika geäußert werden, besonders bekanntes Beispiel ist Andrew Carnegie, der den berühmten Satz gesagt hat: Wer reich stirbt, stirbt in Schande, und gefordert hat, dass die Vermögenden das Vermögen wieder an die Gesellschaft zurückgeben, so dass es dann für gemeinnützige Zwecke verwendet werden kann."
Mit der wirtschaftlichen Depression im letzten Jahrhundert, die den Staat seiner Einnahmen beraubte, fanden solche Gedanken in den USA neue Nahrung. In den 1930er-Jahren hatte die "Share Our Wealth"-Bewegung sieben Millionen Mitglieder und setzte Präsident Roosevelt so unter Druck, dass er die Nachlasssteuern für Vermögen von mehr als 10 Millionen Dollar auf 60 % anheben ließ. 1940 wurde dieser Steuersatz noch mal auf 77 Prozent angehoben, und dieser Steuersatz galt bis ins Jahr 1976. Auch wenn wir uns das heutzutage kaum noch vorstellen können.
Sound
Steuerflucht und Stiftersinn
500.000 Euro Freibetrag für Ehepartner, 400.000 für jedes Kind, 200.000 noch die Enkel – Deutschland ist fast paradiesisch, wenn es ums Erben geht. Und denjenigen, die über wirklich große Vermögen verfügen, steht ein Heer von Spezialisten zur Seite, das ihnen gänzlich steuerbefreites Vererben ermöglicht:
"Manche Menschen sind natürlich so reich, dass selbst wenn alle Freibeträge ausgeschöpft sind, immer noch Steuern zu zahlen sind."
Markus Roscher-Meinel berät als Anwalt in Erbschaftsfragen:
"Wenn das auch noch verhindert werden soll, dann lässt sich darüber nachdenken, Vermögen in einen Betrieb mit einzubringen, also Grundstücke kann man zu Betriebsvermögen deklarieren, und übertragen, was weitestgehend steuerfrei ist, man kann, wenn das Vermögen wirklich entsetzlich groß ist, auch Stiftungen gründen. Stiftungen in Deutschland sind im Augenblick sehr, sehr steuergünstig in Erbverfahren, noch günstiger sind Stiftungen teilweise im Ausland, hier bietet sich Österreich an als Hauptstiftungsland Nr. 1..."
Der rechtliche Aufwand hält sich in Grenzen, denn es ist alles vorbereitet:
"Das ist für eine Kanzlei, die mit Erbrecht beschäftigt ist, kein sonderlich großes Problem. Sie haben dann auch Partner im Ausland, in Österreich zum Beispiel, Österreich ist auch sozial nicht so schlimm, wie wenn man hört Cayman Island, das hat immer so 'n Anruch, aber Österrreich, das ist die nette Alpenrepublik nebenan, wo man Ski läuft und 'ne Sachertorte isst, und deutsch spricht man da auch noch, es ist alles sehr, sehr praktisch, und der Begriff Steuerflüchtling ist im Zusammenhang mit Österreich nicht so sozial verwerflich."
Anwalt Roscher-Meinel allerdings rät zur Eile, denn günstiger wird es nicht mehr:
"Die Mehrheiten im deutschen Bundestag sind im Augenblick noch recht konservativ, ich denke mal, dass CDU und SPD relativ ähnliche Positionen haben. Aber der öffentliche Druck könnte natürlich durch veränderte Mehrheitsverhältnisse stärker werden, und auch durch sozialen Druck stärker werden, und deswegen haben bestimmte Anwaltskanzleien momentan einen recht hohen Zulauf. Weil Eile besteht und man nicht weiß, wie's kommt und man lieber nach den jetzigen Regeln eben die Erbfolge klären sollte."
Sie können auch ernsthaft stiften. Und am Ende ein gutes Gefühl. Weil Sie nicht der Habgier gefolgt sind; und weil Sie verstanden haben, dass eine Welt, in der jeder einzig und allein an sich denkt, weder lebenswert noch auf Dauer lebensfähig ist.
Also nichts gegen Stiftungen. Stiften ist gesellschaftlich wichtig, nur: es kann keine Besteuerung ersetzen. Denn nur eine Besteuerung kann ernsthafte Umverteilungsprozesse bewirken. Und die brauchen wir. Auch wenn uns immer das Gegenteil eingetrichtert wird:
"Die Idee ist ja immer: Gott, die Reichen werden besteuert, das ist das Ende des Kapitalismus..."
Ulrike Herrmann, Wirtschaftsredakteurin der taz.
"... und Sozialismus oder sonst was bricht dann aus, aber so war das bisher historisch gesehen nie, sondern man kann eben genau sehen, dass immer in dem Moment, wo die Reichen stärker besteuert wurden, auch das Wachstum losgelegt hat. Das ist eigentlich ziemlich simpel zu erklären: es ist ja dann so, die Reichen würden mit ihrem Geld nichts machen, sondern es eigentlich auf 'm Konto liegen lassen oder damit sinnlos an den Finanzmärkten spekulieren, während wenn der Staat das Geld hat, er das natürlich für sinnvolle Dinge ausgibt, und sei es eben für Aufgaben, die jetzt auch schon wieder unterfinanziert sind wie beispielsweise Bildung oder Pflege, wenn man aber mehr Lehrer einstellt oder mehr Pflegekräfte, ist ja klar, die geben das Geld wieder aus, und auf diese Weise wird dann die Wirtschaft angekurbelt, indem man das Geld von den Reichen nach unten umverteilt.
Und das Ende war dann jedes Mal, jedenfalls historisch gesehen, dass die Reichen eigentlich gar nicht ärmer waren, sondern eigentlich auch profitiert haben, und die schlausten unter den Reichen wissen das ja genau, z. B. der amerikanische Milliardär Warren Buffett der schreibt ja immer ganz verzweifelte Briefe an die New York Times, wo er dann wieder vorrechnet, dass seine Sekretärin relativ zu ihrem Einkommen viel mehr Steuern zahlt als er, und was das denn für 'n Unsinn sei."
Erben im Hier und Jetzt
Seit Mitte der 1970er Jahre haben in den westlichen Gesellschaften all jene an Einfluss gewonnen, die die Erbschaftssteuern am liebsten ganz abschaffen wollen. Gleichwohl beträgt in den USA der Steuersatz auf Nachlässe von mehr als fünf Millionen Dollar noch heute 40%. Auch in Großbritannien fallen für Kinder Steuern in dieser Höhe an, allerdings bereits ab ca. 360.000 €. Noch viel niedriger liegen die Freibeträge in Frankreich: 100.000 € für Kinder und ein Spitzensteuersatz von 45 Prozent bei Vermögen von mehr als 1,8 Millionen Euro. Andere Länder dagegen haben die Erbschaftssteuer komplett abgeschafft. Österreich zum Beispiel.
In Deutschland gab es seit den 1960er Jahren keine größeren Grundsatzdebatten um die Erbschaftssteuer. Einer Erhöhung bei großen Einkommen auf Wunsch der SPD zu Anfang der 70er-Jahre folgte eine Verringerung durch die Kohl-Regierung im Jahr 1996. Mit der letzten Reform des Jahres 2009 wurden die Freibeträge massiv erhöht. Festgelegt sind nun Steuersätze von maximal 30 Prozent, die allerdings erst ab einem Vermögen von 26 Millionen anfallen. Betriebe gleich welcher Größe hingegen können, werden sie mindestens zehn Jahre weitergeführt, völlig steuerfrei vererbt werden. Ob das so bleibt, entscheidet demnächst das Bundesverfassungsgericht.
So belaufen sich die jährlichen Einnahmen aus der Erbschaftssteuer trotz Erbschaftswelle derzeit auf kaum 5 Milliarden Euro. Das entspricht gerade mal etwa zwei Prozent des vererbten Vermögens. Dass Einkommen durch Arbeit dagegen mit bis zu 45% und Kapitaleinkommen mit immerhin noch 25 Prozent besteuert werden, erzeugt eine Schieflage, für die sich schwerlich überzeugende Gründe finden.

Bedrohungsszenarien
"Wir ham ja auch eine riesige Erbenwelle, also Billionen, die die nächsten zehn Jahre vererbt werden..."
Sahra Wagenknecht ist finanzpolitische Sprecherin der Linken:
"... aber diese Billionen kommen zum übergroßen Teil bei weniger als ein Prozent der Bevölkerung an."
Doch die Menschen sind seltsam. Sie handeln gegen ihre eigenen Interessen. Vor allem die Mittelschicht ist ein eigentümliches Ding. Sie identifiziert sich mit den Reichen in der Hoffnung, eines Tages selbst mal dazuzugehören.
"Ganz viele Leute in der Mittelschicht denken, holla, vielleicht hab ich auch mal 'ne Million. Also die scheinen alle zu denken, das sie irgendwann im Lotto gewinnen."
Und so fallen sie darauf rein, wenn Stimmung gegen eine deutliche Nachlassbesteuerung für Reiche gemacht wird. Der beste Trick hierfür ist, der Mittelschicht einzureden, dass sie das erste Opfer dieser Besteuerung sein wird. Wie gut das funktioniert, haben die Grünen bei der letzten Bundestagswahl zu spüren bekommen. Ihre Vorschläge für Steuererhöhungen haben reihenweise Leute verschreckt, die davon gar nicht betroffen gewesen wären.
Die zweite Strategie der Steuergegner besteht darin, den Staat zu diskreditieren:
"Es wird immer der Eindruck erweckt, als würden vom Staat eigentlich nur faule Sozialschmarotzer profitieren, nicht? Es gibt wirklich viele Leute ungelogen, die denken, die gesamten Staatsausgaben würden entweder bei Hartz4 landen, oder aber bei den Rentnern."

Der dritte Trick ist, mögliche Probleme bei der Vererbung von Betriebsvermögen gegen jegliche Besteuerung auch von Privatvermögen ins Feld zu führen:

"Wir müssen am Ende aufpassen, dass die Erbschaftssteuer nicht Arbeitsplätze vernichtet, das ist im unternehmerischen Bereich ein ernsthaftes Problem, Familienunternehmen können nicht einfach in Stücke geschnitten werden, und dieses Problem ist nicht leicht zu lösen."
Volker Wissing. Er ist finanzpolitischer Sprecher der FDP.
"Die Frage ist doch: Wovon profitiert die Gesellschaft mehr? Von Betrieben, die im Erbfall einmal besteuert werden und danach nicht weiterexistieren, oder von Betrieben, die dauerhaft Ertragssteuern abliefern, um unseren Sozialstaat zu finanzieren. Das ist die eigentliche Gerechtigkeitsfrage, die nicht diskutiert wird."
Ob das die eigentliche Gerechtigkeitsfrage ist, lässt sich natürlich bezweifeln. Immerhin machen Betriebserbschaften nur 5% aller Erbfälle aus. Außerdem gab es schon zu Zeiten, als sie noch besteuert wurden, großzügige Sonderregelungen. Das vierte Argument gegen jede Erhöhung von Erbschaftssteuern ist die Steuerflucht, die dann angeblich sofort einsetzt. Doch daran lässt sich durchaus zweifeln:
"Also vermögensbezogene Steuern sind in Großbritannien oder auch Belgien viel, viel höher, auch in Frankreich höher als in Deutschland. Und ich wüsste nicht, ob in diesen Ländern jetzt die Kapitalflucht deutlich höher ist, von daher sich immer nur von der Androhung der Abwanderung abschrecken zu lassen würde eigentlich heißen, dass die Politik kapituliert, und dann müsste man sagen, alle Steuerbelastungen, alle Zumutungen gegenüber großen Investoren, Kapitaleignern, müsste man eigentlich auf Null fahren."
Alternativen
Es gibt eine Menge gute Ideen, wie Erbschaften zu besteuern wären. Eines der ältesten Modelle dafür war der sogenannte Rignano-Plan, der in den 1920er Jahren in Großbritannien und den USA breit diskutiert wurde.
Angesichts der schwerwiegenden sozialen Folgen einer Akkumulation von Vermögen über mehrere Generationen hinweg hatte sich der italienische Philosoph Eugenio Rignano ein interessantes Modell überlegt: wenn ich erbe, zahle ich auf den Teil des Erbes, den meine Eltern erarbeitet haben, 30 Prozent Steuern. 60 Prozent Steuern werden für den Teil des Vermögens fällig, den schon meine Großeltern erarbeitet haben, und der Anteil, der von den Urgroßeltern stammt, wird zu 100 Prozent vom Staat konfisziert. D. h. je weiter ich zeitlich und damit auch emotional vom Erblasser entfernt bin, desto weniger bleibt mir von seinem Erbe. Auf diese Weise würde die Akkumulation von Milliardenvermögen verhindert, wie wir sie in Deutschland bei den Albrechts, den Quandts, den Schaefflers und Klattens finden. Um solch dynastischer Vermögensballung einen Riegel vorzuschieben, favorisiert Sahra Wagenknecht von der Linkspartei ein einfaches Modell:
"Mich hat vor allem ein Konzept angesprochen, wie es Alexander Rüstow, also einer der Vertreter des deutschen Ordoliberalismus entwickelt hat, dass das, was man im Leben ernsthaft erarbeiten kann, dass man das vererben können darf, aber alles darüber Hinausgehende mit einem Grenzsteuersatz von 100 Prozent belegt wird. Das wäre dann unter heutigen Bedingungen, sagen wir, dass man bis 1 Million vererben darf und alles darüber Hinausgehende nicht mehr. Weil ich finde schon 1 Million zu erben ist ein riesiger Startvorteil, und ich finde nicht, das es darüber hinausgehende Erbschaften geben sollte, weil das jeden Anspruch, das eine Gesellschaft darauf basiert, was der Einzelne tut, wie er sich einbringt, was er leistet, völlig konterkariert, wenn es derart riesige Erbschaften gibt."
Geiz ist nicht geil!
Der Soziologe Steffen Mau dagegen hat eine andere Idee:
"Ich hab' mal so was vorgeschlagen wie einen Lebenschancen-Kredit, Kredit verstehe ich nicht im Sinne von „Man muss es mal zurückzahlen", sondern im Sinne von „Man hat etwas gut bei der Gesellschaft", zu finanzieren aus einer erhöhten Erbschaftssteuer. Wenn Sie sich vorstellen, es gibt ungefähr 14 Millionen Menschen zwischen ein und 19 Jahren und Sie würden für jede dieser Personen 1000 Euro auf ein Konto zahlen, dann wären das ungefähr 14 Milliarden, was man dafür bräuchte, und man würde das auch verzinsen lassen, dann hätte jeder, der dann vielleicht 25 ist ungefähr 35.000 Euro auf so einem Guthabenkonto, und meine Vorstellung ist im Sinne eines Anrechtes oder eines Ziehungsrechtes, dass er das einsetzen kann für die eigene Weiterbildung jenseits der Primärausbildung, vielleicht für die Abdeckung spezieller Risiken, wenn jemand z. B. 'n Unfall hat oder 'ne chronische Krankheit und auch zur Gewinnung von Zeitsouveränität, beispielsweise zur Pflege von Angehörigen, und das sollte allen universell zur Verfügung stehen und eben zu finanzieren aus 'ner relativ gering nur zu erhöhenden Erbschaftssteuer."
Jens Beckert wiederum hat etwas anderes im Sinn, und auch er folgt damit einer einleuchtenden Logik: Wenn das Erbe "unverdientes Vermögen" ist, kann man insbesondere große Vermögen im Erbfall ebenso besteuern wie andere Einkommen auch. Das wären zur Zeit maximal 45 Prozent. Damit wäre gewährleistet, dass der größere Teil des Erbes in der Familie bleibt, andererseits jedoch auch die Gesellschaft daran partizipiert. Damit ließe sich die weitere Entwicklung zu einer Erbengesellschaft zumindest bremsen.
Also: es gibt viele gute Ideen. Und keine Angst: keiner will an ihr Häuschen. Oder an das ihrer Oma. Aber die Angst um das Häuschen darf eben auch kein Vorwand sein, der wachsenden Ungleichheit bei der Vermögensverteilung weiter zuzugucken. Die nämlich tut uns allen nicht gut.
Was ich damit sagen will: Steuern Sie! Sorgen Sie dafür, dass die Erbschaftssteuern steigen! Und: Zahlen Sie selbst Erbschaftssteuern, so weit Sie über Eigentum verfügen! Denken Sie nicht nur an sich und ihre Familie! Geben Sie etwas zurück an die Gemeinschaft, die Ihnen dieses Vermögen ermöglicht hat! Auch wenn es weh tut. Denn eins ist sicher: Geiz ist nicht geil!