Erbgutveränderung bei Lebensmitteln

Wenn Frankenstein in der Küche werkelt

Champignons
Sehen gut aus - aber sind diese Champignons wirklich genießbar? © imago/Westend61
Von Udo Pollmer · 12.08.2016
Gentechnik war gestern, jetzt kommt CRISPR/Cas, ein Verfahren, bei dem nicht Fremd-DNA eingesetzt wird, sondern die vorhandene DNA einfach umgeschrieben wird. Gerade wurden in den USA solche Champignons zugelassen. Kennzeichnen muss man das auch nicht mehr - und das ist erst der Anfang, orakelt Udo Pollmer.
Das US-Agrarministerium hat einen genveränderten Champignon genehmigt: Er bekommt keine Druckstellen mehr, wird langsamer braun und landet deshalb nicht so schnell im Abfall. Die Sache wäre nicht der Rede wert, wenn die Behörde nicht entschieden hätte, eine Deklaration sei verzichtbar. Denn hier sei keine Fremd-DNA zum Einsatz gekommen. Es ist etwas ganz Neues: ein Lebensmittel, dessen Erbgut mit dem sogenannten CRISPR/Cas-Verfahren umgeschrieben wurde. Man nutzt dabei ein Prinzip, mit dem sich Bakterien gefährliche Viren vom Leibe halten. Mit speziellen Gen-Scheren zerschnibbeln sie das Erbgut der Angreifer – und mit diesen Scheren wurde auch das Genom des Pilzes zurechtgestutzt.
Mit CRISPR/Cas wurde es möglich, schnell und präzise die DNA vieler Lebewesen zu verändern, Teile aus ihrem Erbgut zu entfernen, neu zusammenzusetzen, oder neue künstliche Gensequenzen einzufügen. Damit lassen sich Gene nach Belieben neu schreiben, fast so elegant wie mit einem Schreibprogramm. Dies hat in innerhalb von drei Jahren nicht nur die Gentechnik revolutioniert, sondern die gesamte Biologie umgekrempelt.

Die Versprechen machen skeptisch

Während es früher Debatten über die Risiken einer Transplantation von Schweineherzklappen gab, weil auf diesem Wege Retroviren übertragen werden könnten, die sich in der Schweine-DNA verbergen, wurden mit CRISPR Dutzende dieser Retroviren kurzerhand aus dem Genom entfernt. Die Viren sind übrigens nahe Verwandte des AIDS-Virus. Mit dieser Technik, so wird uns in Aussicht gestellt, sei es endlich möglich, zahllose unheilbare Krankheiten wirksam zu bekämpfen. Wer wollte da nein sagen?
Doch die Versprechen machen auch skeptisch. Zum Beispiel wenn Berichte über Frettchen auftauchen, denen an einer Shanghaier Universität per CRISPR ein besonders kleines Hirn spendiert wurde. Die Sache kam nur heraus, weil das Tier nun als Modell für das Zika-Virus getestet wird, das kleine Gehirne bei Neugeborenen bewirkt. Was hatten die Forscher ursprünglich mit den Frettchen vor?
In China züchten Forscher Beagles mit doppelt so viel Muskelmasse – die offiziell helfen sollen, Muskelschwund beim Menschen zu behandeln. Eine Nutzung zur Fleischproduktion ist naheliegender oder auch ein Einsatz der Hunde bei der Polizei. Vielleicht wecken die Muskeln ja auch Begehrlichkeiten bei Sportfunktionären? Das allermeiste, das in den unzähligen Labors dieser Welt zügig und kostengünstig entwickelt wird, entzieht sich unserer Kenntnis.
Schon beginnt der Glanz von CRISPR/Cas zu verblassen. Ein neuer RNA-basierter Weg namens C2c2 wurde gefunden, der noch mehr Möglichkeiten bietet. Doch auch der ist wohl bald überholt. Chinesische Forscher haben beim Durchforsten amerikanischer Gen-Datenbanken ein besseres System identifiziert, fachsprachlich als Argonauten bezeichnet – in der griechischen Mythologie eine Schiffspartie, die auszog, um das Goldene Vlies zu klauen. Die Gen-Argonauten sind schneller, präziser und können mehr Gen-Kunststückchen.

Sogar die Bio-Branche ist interessiert

Teile der Biobranche schielen auf das Verfahren – der Chef der Schweizer Biolandbau-Forschung Urs Niggli ist überzeugt, dass es damit möglich sei, resistente, ertragreiche Sorten zu erzeugen, nach denen die Biobauern händeringend suchen – und das Ganze ohne die verpönte Gentechnik. Dann könnten sie auf problematische Pflanzenschutzmittel wie Kupfer verzichten.
Vertreter der Öko-Szene forderten daraufhin für Niggli einen Maulkorb. Sie haben offenbar nicht verstanden, dass sich diese neue Technologie ohne viel Federlesens überall praktizieren lässt – zur Not auch in einer nordkoreanischen Waschküche. Niemand kann das kontrollieren, niemand die Manipulation am Lebensmittel zuverlässig nachweisen.
Die Zeit der transgenen Produkte neigt sich dem Ende zu. In die neue Technologie investieren neben vielen kleinen Start-ups auch Unternehmen wie Google oder die Bill-Gates-Stiftung. Was damit am Ende des Tages wirklich getrieben wird, ist nicht mehr eine Frage der Forschung, sondern der Macht. Unsere Lebensmittel sind da nur ein Nebenkriegsschauplatz.
Mahlzeit!
Anm.: CRISPR/Cas ist die Abkürzung für: Clustered Regularly Interspaced Short Palindromic Repeats; Cas bezeichnet eine Endonuclease, die "CRISPR-associated" ist.
Literatur:
Specter M: How the DNA Revolution is changing Us. National Geographic 2016, August-Ausgabe
Waltz E: Gene-edited CRISPR mushroom escapes US regulation. Nature 2016; 532: 293
Turan J: A glimpse into how China is utilizing CRISPR for genome editing. Synbiobeta 15. Juni 2016
Paal G: Das schlechte Image der Gentechnik. SWR2 – Online, Stand 24. Juni 2016
Abudayyeh OO et al: C2c2 is a single-component programmable RNA-guided RNA-targeting CRISPR effector. Science. 2016 Jun 2. pii: aaf5573. [Epub ahead of print]
Gao F et al: DNA-guided genome editing using the Natronobacterium gregoryi Argonaute. Nature Biotechnology 2016; doi: 10.1038/nbt.3547 [Epub ahead of print].
Maurin J, Niggli U: CRISPR hat großes Potenzial. TAZ vom 6. April 2016
Callaway E: Second Chinese team reports gene editing in human embryos. Nature News 8. April 2016
Pollmer U: CRISPR/Cas9-Technik. Deutschlandradio Kultur, Kolumne Mahlzeit vom 8. Januar 2016