"Er war ein blendender Diskutierer"

Moderation: Britta Bürger · 01.08.2012
Der Schriftsteller Gore Vidal sei ein Linksliberaler und ein weltläufig gebildeter Mann gewesen, erklärt die Literaturkritikerin Sigrid Löffler. Seine Meisterschaft habe sich in den Essays zu Politik, Kultur und Sex gezeigt. Er sei ein Demokrat und ein Gegner der Republikaner gewesen, so Löffler.
Britta Bürger: Der Schriftsteller Gore Vidal ist in der vergangenen Nacht im Alter von 86 Jahren gestorben. Mehr als 60 Jahre lang hat er die Politik, die Kritik und das Publikum in den USA provoziert, amüsiert, irritiert und fasziniert, die "Los Angeles Times" hat ihn mal als Störenfried des nationalen Gewissens bezeichnet. Jan Tussing mit Ein Nachruf auf Gore Vidal von Jan Tussing (MP3-Audio) einem Nachruf auf Gore Vidal.

Wir wollen das jetzt vertiefen und auf das Lebenswerk von Gore Vidal zurückblicken im Gespräch mit der Literaturkritikerin Sigrid Löffler. Ich grüße Sie, Frau Löffler!

Sigrid Löffler: Hallo!

Bürger: Welchen Stellenwert hat Gore Vidal in Ihrem persönlichen Leseleben?

Löffler: Ja, ich habe ihn sehr früh gelesen, "Julian", dieser historische Roman, hat mich damals sehr beeindruckt. Natürlich habe ich auch seine Skandalerfolge wahrgenommen, "The City and the Pillar" natürlich, vor allem aber 1968 "Myra Breckinridge", das war eine große und böse Satire auf Hollywood und auf die traditionellen Geschlechterrollen, die hier auf eine sehr polemische und auch provokante Art auf den Kopf gestellt werden.

Das war damals schon einigermaßen kühn und auch sehr amüsant. Seinen großen, sechsbändigen Romanzyklus über das amerikanische Imperium, also die amerikanische Weltherrschaft, die habe ich dann, ehrlich gesagt, aufgegeben, das waren viele Tausend Seiten.

Was ich immer gerne gelesen habe, waren seine Essays, und die finde ich eigentlich auch seine eigentliche Leistung, seine eigentliche Meisterschaft hat sich eigentlich in diesen Aufsätzen zu Politik und Kultur und Sex und Film und Literatur und Geschichte gezeigt. Denn da war er ein wirklich universal gebildeter, sehr streitlustiger, sehr angriffiger Mann, ein Essayist eigentlich von ganz großem Glanz.

Bürger: Es wird ja immer wieder beschrieben, er hätte so eine Art Hassliebe zu Amerika gehabt. Worin bestand denn der Hass und worin die Liebe?

Löffler: Ja, man muss bedenken, dass Gore Vidal jahrzehntelang, ich glaube, fast 40 Jahre lang im Ausland gelebt hat, in Italien. Er hatte diese spektakuläre Villa da in Ravello, an der Küste von Amalfi, er hatte den Blick eines mehrfachen Außenseiters auf die USA, wiewohl er ja sozusagen aus dem Zentrum des politischen Establishments Amerikas abgestammt hat.

Er hat ... Als Außenseiter war er natürlich, also, ein Homosexueller ist zunächst schon mal ein Außenseiter in der amerikanischen Wahrnehmung. Er war ein europäisch gebildeter Mann, ein fundierter Kenner der spät-, vor allem der spätrömischen Geschichte. Daher hat er natürlich auch die Parallelen gesehen zum amerikanischen Imperium.

Er war ein Linksliberaler, ein urbaner, ein weltläufig gebildeter linksliberaler Mann. Natürlich war er ein geborener Feind des amerikanischen Provinzialismus, auch der Bigotterie der Provinzamerikaner. Er war ein Demokrat und daher natürlich ein Gegner der Republikaner. Alles das hat ihn gleichzeitig zum Innen- und zum Außenkritiker gemacht, weil er diesen doppelten Blick gehabt hat. Eigentlich wie sehr viele große amerikanische Kritiker und Essayisten, denken Sie an Susan Sontag, denken Sie an Martha Gellhorn.

Bürger: Er hat auch zwei umfangreiche Memoirenbände vorgelegt, "Palimpsest" und "Point to Point Navigation" war der erste, ist auf Deutsch erschienen. Was für ein Selbstbild wird darin deutlich?

Löffler: Na ja, das Interessante ist natürlich, dass Gore Vidal praktisch mit allen Berühmtheiten seiner Zeit bekannt war, auch zum Teil sehr gut bekannt war. "Palimpsest" ist natürlich ein Roman, Biografie eigentlich, seine großen Memoiren, in denen er Name-Dropping der kühnsten Art betreibt. Er kannte praktisch alle Prominenten aus Kultur, aus Film, aus Politik und Literatur.

Die Linken haben sich bei ihm Rat geholt und das reicht von Eleanor Roosevelt bis zu Hillary Clinton. Und natürlich die Filmwelt, Martin Scorsese, aber auch Bruce Springsteen, Sie können nennen, wen Sie wollen. Selbstverständlich auch die berühmten homosexuellen Experts Amerikas von Tennessee Williams über Truman Capote bis zu Paul Bowles, die waren alle mit ihm persönlich bekannt, die ganze Filmwelt.

Also, alles das kommt natürlich in diesen Memoiren, "Palimpsest", auch deutlich hervor, auch mit einer gewissen Eitelkeit und Selbstgefälligkeit. Er hat sich da schon auch sehr selbst in Szene gesetzt. Andererseits hatte er immer einen sehr kritischen und sehr witzigen und ironischen Blick auf seine Zeitgenossen, das macht einfach auch die Memoiren so interessant und so unterhaltsam.

Bürger: In der vergangenen Nacht ist der amerikanische Schriftsteller Gore Vidal gestorben und wir würdigen ihn hier im Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit der Literaturkritikerin Sigrid Löffler.

Vidal hätte ja auch selbst gern aktiver noch Politik mit gestaltet, nicht nur als Kritiker, sondern eben auch als Protagonist, als entschiedener Linker der demokratischen Partei, Sie haben das schon angedeutet. Was gab es da für Versuche und woran sind die gescheitert?

Löffler: Ja, seine große Zeit war eigentlich die Zeit der Kennedys, als John Kennedy Präsident war. Er war ja auch mit den großen politischen Familien Amerikas verwandt, verschwägert über diverse Cousins, vor allem eben mit den Kennedys. Er war ein Redenschreiber John Kennedys und er war auch Mitglied des Council for the Arts, die der Präsident ja eingerichtet hat.

Er hat da in der Tat mehrfache Anläufe genommen, hat kandidiert für den Kongress, für den Senat, fürs Repräsentantenhaus, hat sich mehrfach beworben für die demokratische Partei, auch für die People's Party. Er hat das nie erreicht, aber er hat immer Achtungserfolge erzielt. Er wurde schon in seinen Kandidaturen stark beachtet.

Und dann hat er sich eben darauf beschränkt, sozusagen ein Amerika-Kritiker, politischer Kritiker Amerikas und politischer Kommentator zu sein, vor allem im Fernsehen. Er war ja dort nicht nur ein witziger Plauderer oder ein Selbstdarsteller und Showman, er hat da ja auch unglaubliche Streitgespräche mit den Rechten geführt, berühmt natürlich seine Streitgespräche mit William Buckley, dem Republikaner, dem rechten Republikaner. Und da hat er eigentlich wirklich brilliert.

Er war ein blendender Diskutierer, er war ein blendender Provokateur, ein Mann der vielseitigen Begabungen. Und einfach auch, weil er ein Homme de lettres war, ein Großintellektueller, hat er natürlich seine Gegner im Gespräch sehr oft auch niederreden können, weil er einfach gebildeter war als sie.

Bürger: Er war ein expliziter Bush-Kritiker. Wie aber hat er sich denn zu Barack Obama verhalten und auch die Präsidentschaft begleitet?

Löffler: Ja, er hat natürlich, aufgrund seines Alters hat natürlich sein Einfluss etwas abgenommen. Aber er hat, das Letzte, was ich wahrgenommen habe, waren sehr kluge Einsichten, Essays, die er geschrieben hat nach dem 11. September, "Bocksgesang. Antworten auf Fragen vor und nach dem 11. September", wo er in der Tat mit Bush sehr genau ins Gericht geht.

Er hat - das beginnt ja eigentlich schon früh -, er hat Kissinger einen Kriegsverbrecher genannt, er hat immer wieder den militärisch-industriellen Komplex in Amerika kritisiert, hat auch gefunden, dass die Universitäten immer mehr abhängig wurden von den Forschungsmitteln des Verteidigungsministeriums.

Er sagte, die waren eigentlich eine Unterabteilung des Verteidigungsministeriums, er hat offen ausgesprochen, dass die Waffenfabrik in Amerika sich Abgeordnete kaufen. Also, alles das war zwar überspitzt formuliert, sehr zugespitzt, sehr schrill, auch sehr grell, aber im Grunde hat er mit vielen seiner Einsichten recht gehabt.

Bürger: Als was wird er bleiben? Als Schriftsteller oder als politischer Schriftsteller?

Löffler: Ich denke, in erster Linie als Essayist. Seine Essays sind in der Tat seine brillanteste Begabung gewesen. Von seinen Romanen würde ich eigentlich am ehesten sagen, dass dieser historische Roman "Julian" bleiben wird, das ist dieser römische Kaiser, der letzte heidnische Kaiser, der noch mal versucht hat, das Christentum zurückzudrängen und die Ideale der klassischen Antike wieder zu beschwören.

Es geht natürlich darum, auch gegen den Terror der Heterosexualität und gegen die Unterdrückung der Sinnlichkeit durch das Christentum, das wollte Gore Vidal hier anprangern. Und natürlich sind immer die Aktualitäten, die Parallelen der Assoziationen zum amerikanischen Weltreich da, das er genau aus diesen Gründen auch immer kritisiert hat.

Bürger: Die Literaturkritikerin Sigrid Löffler zum Tod des amerikanischen Schriftstellers Gore Vidal. Haben Sie vielen Dank, Frau Löffler!

Löffler: Danke!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Sigrid Löffler
Sigrid Löffler© AP
Die Brüder Kennedy: John F., Robert und Ted (v.l.n.r.) in Hyannis Port
Die Brüder Kennedy: John F., Robert und Ted (v.l.n.r.) in Hyannis Port© AP
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