"Er ist einfach mit einer unfassbaren Neugier ausgestattet"

Alexander Soyez im Gespräch mit Christine Watty · 20.01.2013
Dustin Hoffmans "Quartett" startet kommende Woche in den deutschen Kinos - ein Film über in die Jahre gekommene Opernsänger und Musiker. Alexander Soyez erlebte beim Interview die jugendliche Begeisterung eines 75-jährigen Debütanten im Regiefach.
Christine Watty: Christian Berndt über "Quartett", das Regiedebut von Dustin Hoffman. Und es scheint, als sei eine der Botschaften des Filmes – nämlich: Es ist nie zu spät, noch mal neu anzufangen – auch zu verstehen als Lebensauffassung des Regisseurs selbst, der sich mit Mitte 70 noch mal auf die andere Seite der Kamera wagte. Unser Kollege Alexander Soyez hat Dustin Hoffman vor kurzem in London, einem der Wohnsitze Hoffmans, getroffen. Hallo, Herr Soyez!

Alexander Soyez: Hallo, Frau Watty!

Watty: Dustin Hoffman gehört ja zu den ganz großen Legenden Hollywoods. Wie läuft denn so ein Treffen mit ihm ab, ist das sehr förmlich, womöglich sogar verkrampft, oder eher eine entspannte Angelegenheit?

Soyez: Also London, ganz normale Interviewsituation, ein Luxushotel, man kommt rein, und dann steht er da und strahlt einen wirklich freundlichst an. Freundlich – anders kann man das wirklich nicht beschreiben. Er ist zuvorkommend, er steht auf, er ist höflich, er begrüßt einen, er guckt einem in die Augen, er bietet einem etwas an – in diesem Fall war es mal Obst, früher einmal, da hat er uns ein bisschen länger warten lassen, und dann hat er uns einen Whiskey bestellen wollen, unbedingt, geradezu aufgedrängt. Also es ist eine ganz tolle, ganz schöne Situation. Und im Interview selber ist es dann so, dass er nicht einfach nur die Fragen beantwortet oder seinen PR-Kram loswerden will und sagen will, wie toll ist mein Film, wie toll bin ich, sondern das hat er einfach auch gar nicht mehr nötig, dafür ist er wirklich viel zu alt. Er erzählt dann lieber Geschichten, das machte er eigentlich schon immer:

Dustin Hoffman: "Woher mein Interesse für Oper stammt? Ich gebe ihnen da schon mal die Antwort, bevor sie die Frage stellen. Als ich in New York anfing, Schauspiel zu studieren, traf ich Robert Duvall. Jedenfalls teilten wir uns eine Wohnung, und weil wir kein Geld hatten, brauchten wir weitere Mitbewohner. Sein Bruder William war angehender Opernsänger und zog bei uns ein, und er brachte noch zwei weitere Opernsänger mit. Wir hatten also eine WG, die hauptsächlich aus Opernsängern bestand. Ich war fasziniert von dieser Kunstform, auch wenn ich wenig darüber wusste. Und die erste Oper, die ich damals hörte, war mit Dietrich Fischer-Dieskau. Mein Gott, was für ein Erlebnis. Das war vor 55 Jahren."

Watty: Sie hörten Dustin Hoffman, der Mann, der den Reportern die Fragen vorwegnimmt. Das ist schon eine ganz schön lange Zeit, wenn er sagt, dass er vor 55 Jahren die erste Oper erlebt hat, hat er denn inzwischen was dazugelernt über die Oper in diesen fünf Jahrzehnten, die schon vergangen sind?

Soyez: Ich weiß gar nicht, ob er wirklich viel dazugelernt hat. Er selber jedenfalls sagt mehrmals im Interview, dass er das nicht getan hat. Er war natürlich ganz oft in der Oper immer eingeladen, aber als Kenner würde er sich selbst nicht bezeichnen, und er wirkt auch nicht gerade wie ein Kenner. Er hat gesagt, dass er diese Dummy-Reihe gelesen hat, um sich auf Quartett vorzubereiten – "Oper für Dummies" heißt das, gibt es auch in Amerika, da heißt es natürlich dann "Dummies" [englisch ausgesprochen]. Er kannte nicht mal Dame Gwyneth Jones, die ja jetzt in seinem Film mitspielt: ausgemachte Opernlegende, die auch heute noch singt, und die jetzt auch in Berlin ist zur Premiere von "Quartett" in der Deutschen Oper. Und er musste sie erst googeln und bei Youtube Filmchen von ihr angucken. Und das hat er ihr aber auch gesagt, er hat da überhaupt gar keine Berührungsängste und auch gar keine Scheu zu sagen, dass er eben kein großer Kenner ist.

Im Film geht es ja auch gar nicht so sehr um die Oper als solche, es geht so um die Liebe zur Kunst, um die Begeisterung für Kunst, und das kann Hoffman natürlich super nachvollziehen. Er brennt, er hat schon immer gebrannt für seine Kunst, und vor ein paar Jahren habe ich ihn ja schon mal getroffen, da hat er gesagt, er langweilt sich nie, er ist begeistert sogar in solchen Interviews, er ist einfach mit einer unfassbaren Neugier ausgestattet.

Watty: Was würden Sie sagen, diese kindliche Neugier und Begeisterung, von der Sie sprechen, ist die es auch, die ihn zum Regisseur gemacht hat? Ich meine, man kennt ihn bisher ja eigentlich nur als Schauspieler?

Soyez: Klar ist diese Begeisterung etwas, was man als Regisseur auf jeden Fall mitbringen muss, und das war sicherlich auch der Grund, was ihn jetzt endlich dazu getrieben hat. Er hat das ja schon öfter mal versucht oder er hat schon öfter mal mit dem Gedanken gespielt. Er war ja nie nur Schauspieler, hat schon früh in seiner Karriere immer versucht, auch Projekte zu beeinflussen, er hat immer sehr, sehr eng mit den Regisseuren gearbeitet, er hat bei "Rain Man" beispielsweise … da hat er drei Jahre lang, glaube ich, daran gearbeitet, dass der Film überhaupt zustande kommt, und es gab drei Regisseure, und dann endlich kam Barry Levinson an Bord, und der hat es dann richtig gemacht. Und bei "Stunde der Bewährung", da hat er tatsächlich schon mal versucht, Regie zu führen, da war er eine Woche, anderthalb Wochen dabei, und dann irgendwann hat er einfach aufgegeben und hat es an seinen Freund abgegeben:

Hoffman: "Als ich in meinen Zwanzigern war, habe ich mich schwer verbrannt. Das war in der Zeit, als ich Schauspiel studierte. Die Verbrennungen waren heftig und überall am Körper: an meinen Beinen, meinen Armen und auf meiner Brust. Ich bin aber nicht ins Krankenhaus gegangen, weil ich mitten in den Proben für ein Stück am Broadway stand und das war meine große Chance – ich war vorher noch nie am Broadway aufgetreten. Jedenfalls kam es nach sechs Tagen zu einer Wundinfektion, und ich wurde mit 41 Grad Fieber ins Krankenhaus gebracht, wo sie mit einer schmerzhaften Therapie begannen. Ich musste das verbrannte und angeheilte Gewebe einreißen, wenn ich mich später wieder uneingeschränkt und schmerzfrei bewegen wollte. Und das war so schmerzhaft, dass ich dachte: Was soll es, dann gehe ich eben nicht mehr auf die Bühne und werde Regisseur. In diesem Moment habe ich gemerkt, dass ich kein Schauspieler sein muss, solange ich zumindest Teil dieses künstlerischen Universums sein darf."

Watty: Dustin Hoffman, der sich gerade einen neuen Teil des künstlerischen Universums erschlossen hat, indem er sein Regiedebut "Quartett" vorlegte. Wir sprechen im "Radiofeuilleton" im Deutschlandradio Kultur mit Alexander Soyez, der Hoffman getroffen hat. Wie zufrieden ist er denn jetzt mit seiner ersten ausführlichen Regiearbeit, und hat es ihm vor allem Spaß gemacht?

Soyez: Spaß gemacht hat es ihm auf jeden Fall. Ich glaube, das sieht man auch ohne Zweifel schon sofort auf der Leinwand, und das kann man sich eigentlich auch gut vorstellen, wenn man nur die Geschichte liest. Es gibt gute Dialoge, die schon auf der Theaterbühne erprobt wurden, es ist ja auch ein Theaterstück. Man hat wunderbare, tolle englische Schauspieler, also Dame Maggie Smith und den Komiker Billy Connolly. Dann quartiert man sich in einem hübschen englischen Landsitz ein, der wunderbar gelegen ist, und dann dreht man ein paar Wochen mit diesen tollen, tollen Leuten, die natürlich auch wunderbare Geschichten erlebt haben, und natürlich auch wunderbar Geschichten erzählen können.

Wenn man sich das vorstellt, natürlich, da sind ganz viele alte Künstler, und, weiß ich nicht, Hunderte Jahre von Lebenserfahrung und Anekdoten, das muss einfach wunderbar sein, und aus dem, was die Leute sich beim Mittagessen erzählen, kann man wahrscheinlich noch zehn oder 20 andere Filme machen, denke ich. Er hat sich natürlich auch keinen schwierigen Regiefilm ausgesucht, sondern einen eindeutigen Schauspielerfilm. Es ging einfach nur darum: Kann er aus den Schauspielern das herausholen, was diese Schauspieler eben leisten können? Und wer könnte das besser als Dustin Hoffman, der ja nun am meisten Erfahrung damit hat:

Hoffman: "Die Arbeit mit den Schauspielern war kinderleicht. Gute Schauspieler wollen einfach nur ihre Freiheit. Sie wollen gemeinschaftlich an einem Film arbeiten und sie wollen die Möglichkeit haben, etwas auszuprobieren und auch mal etwas falsch machen zu dürfen. Den Kostümdesignern, den Ausstattern und allen anderen gibt man vorher die Zeit zu experimentieren, aber wenn dann die Schauspieler an den Set kommen, herrscht oft eine fürchterliche Ungeduld und die Erwartung, dass man die Szenen auf Anhieb richtig hinbekommt. Das ist das Schlimmste, was ein Regisseur einem Schauspieler antun kann.

Ich denke, man muss Schauspielern die Zeit geben, sich aufzuwärmen, denn egal, wie lange man vorher über eine Szene nachgedacht hat, wenn die Klappe fällt, ist das trotzdem noch immer eine sehr beängstigende Situation, und Hunderte Leute können dir dabei zuschauen, wie du vielleicht scheiterst. Weil ich das wusste, habe ich dafür gesorgt, dass das bei mir nicht der Fall ist. Ein Filmset sollte meiner Ansicht nach immer ein sehr angenehmer, sicherer und lustiger Ort sein, und auf keinen Fall sollte es ein Ort sein, wo irgendein Typ immer nur laut 'Ruhe!' schreit und den Schauspielern die Luft zum Atmen nimmt. Es sollte Spaß machen."

Watty: "Quartett" ist ein Film über in die Jahre gekommene Opernsänger und Musiker. Reden wir doch mal kurz über das Alter dieses Regiedebütanten, also Dustin Hoffman, der ist ja selber 75 Jahre alt, hat damit natürlich das Rentenalter längst überschritten. Wie geht er damit um, also macht er sich Gedanken über das Alter? Ist es vielleicht auch sozusagen so eine persönliche Reflexion, die man dann in dem Film wiedertrifft, oder würden Sie sagen, er wirkt sowieso als Person gar nicht besonders alt?

Soyez: Also als Person wirkt er gar nicht alt. Natürlich sieht man ihm die Falten an, man sieht ihm an, dass er weniger Haare hat, aber das Lächeln ist immer noch das Gleiche, so dieses Jungenhafte, dieses Strahlende, und auch so seine Bewegungen, seine Begeisterung, die macht ihn wirklich immer noch fast jugendlich, kindlich auf so eine gewisse Art und Weise. Also klar ist auf jeden Fall, das Alter sieht man ihm nicht an, aber er hat sich in seinem Leben immer damit auseinandergesetzt:

Hoffman: "Ich bin seit 32 Jahren verheiratet, wir sind seit 35 Jahren zusammen. Ich bin 17 Jahre älter als meine Frau. Als ich 40 wurde, jammerte ich über mein Alter und sie sagte: Seitdem ich dich kenne, hast du jeden Tag darüber geredet, wie alt du bist, wie alt du wohl werden wirst. Und sie hatte natürlich recht, ich habe mir immer zu viele Gedanken darüber gemacht. Und das Spiel, dass ich immer mit mir selbst gespielt habe, war ganz einfach: Solange ich mein Alter verdoppeln konnte und dann immer noch am Leben sein konnte, war alles in Ordnung. 45? Klar kann ich 90 werden! 50? Warum sollte ich nicht 100 Jahre alt werden! Darüber habe ich auch mit dem Vater meiner Frau damals gesprochen und er sagte, ich sollte endlich akzeptieren, dass ich alt bin, obwohl ich mich gerade mal mittelalt fand. Irgendwann hatte er das wohl oft genug gehört, das mit dem doppelten Alter – jedenfalls sagte er dann auf einmal zu mir: Okay, du bist jetzt 54. Wie viele 108-Jährige kennst du?

Watty: Wie viele 108-Jährige kennst du? Eine Frage, auf die wahrscheinlich auch Dustin Hoffman um eine Antwort verlegen war. Alexander Soyez hat ihn zum Interview getroffen, vielen Dank für das Gespräch!

Soyez: Vielen Dank, dass ich da sein durfte!

Watty: Ja, und Hoffmans Regiedebut "Quartett", das hat heute, am Sonntag, seine Deutschlandpremiere, und am kommenden Donnerstag startet der Film dann ganz regulär in den Kinos.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema