"Er ist ein politisch Verfolgter"

Günter Wallraff und Susanne Güsten im Gespräch mit Jürgen König · 26.08.2010
Der kritische Schriftsteller Dogan Akhanli ist deutscher Staatsbürger türkischer Herkunft. Bei einem Besuch in Istanbul wurde der Autor nun festgenommen. Der Enthüllungsjournalist Günter Wallraff ist mit Akhanli befreundet und hält den Vorgang für einen Racheakt der türkischen Justiz.
Jürgen König: Die türkische Regierung hat indirekt eine Mitschuld an der Ermordung des Journalisten Hrant Dink eingeräumt und Entschädigungszahlungen an die Familie angekündigt – ein durchaus erstaunlicher Schritt. Andererseits wurde jetzt bekannt, dass der Schriftsteller Dogan Akhanli, der sich immer wieder für die Menschenrechte, für einen offenen Umgang mit der Geschichte eingesetzt hat, Stichwort türkischer Völkermord an den Armeniern, dass er am 10. August bei seiner Einreise in Istanbul festgenommen wurde und jetzt in Haft sitzt – unter dem Vorwurf, 1989 am Raubüberfall auf eine Istanbuler Wechselstube beteiligt gewesen zu sein.

Die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen werden vom Kölner Verein Recherche International als "fragwürdigst" bezeichnen, und das passt nun gar nicht zu dem Hauch von Liberalität, der durch die zuvor genannte Meldung aufgekommen war. Darüber spreche ich gleich mit der Journalistin Susanne Güsten in Istanbul, zunächst am Telefon der Journalist und Schriftsteller Günter Wallraff. Er ist mit Dogan Akhanli befreundet. Herr Wallraff, ich grüße Sie!

Günter Wallraff: Hallo, guten Tag!

König: Dogan Akhanli floh 1991 vor der türkischen Militärregierung nach Köln, ist seit 2001 deutscher Staatsbürger. Sie sind mit ihm befreundet – porträtieren Sie ihn für uns, wer ist Dogan Akhanli?

Wallraff: Ja, es ist ein sehr engagierter Schriftsteller, der einerseits die nicht bewältigte Vergangenheit und dann auch Gegenwart in der Türkei, aber auch Deutschlands thematisiert, auch hier in Deutschland NS-Vergangenheiten mit berücksichtigt, aber in der Türkei vor allem auch in Romanen, die auch dort Auszeichnungen erhielten, auch in Deutsch ist ein Roman übersetzt, was den Genozid an den Armeniern thematisiert.

Und es ist ein Mensch, den ich als absolut friedliebend, sogar als Pazifisten kennen und schätzen gelernt habe. Und ich habe den Eindruck, dass diese Verhaftung jetzt eine Art Rachebedürfnis bestimmter Justizkreise ist. Er hatte vorher seine Reise auch angemeldet, er wollte ja seinen todkranken, 85-jährigen Vater noch mal sehen. Er hatte daraufhin keine Anhaltspunkte, er ist ja deutscher Staatsbürger inzwischen, obwohl die Türkei so tat, als wäre er noch Türke, obwohl sie ihn ausgebürgert haben, 1998.

Und von daher ist diese Verhaftung umso überraschender, zumal auch der damalige sogenannte Zeuge, der unter Folter ausgesagt hätte, anhand eines Fotos ihn erkannt zu haben, der hat das längst widerrufen, auch wiederholt widerrufen. Also selbst die jetzige Haftbegründung, da heißt es, es gäbe zwar keinerlei Indizien und auch keine Zeugen mehr, aber der Tatvorwurf sei ja so gravierend. Also damit können Sie jeden erst mal inhaftieren.

König: Sie haben gesagt, Herr Wallraff, seine Romane, seine Aufsätze, Interviews seien auch in der Türkei erschienen. Wie bekannt ist er dort? Will darauf hinaus: Kann es sein, dass der Regierung vielleicht seine Berühmtheit nicht schmeckt, sein Ansehen in der Türkei?

Wallraff: Ich glaube, das Thema, was er behandelt, das ist nun immer noch eine offene Wunde in der Türkei. Es wird nach wie vor geleugnet, es wird im Schulunterricht nicht berücksichtigt. Und ich glaube, dass er da sehr hartnäckig das thematisiert hat und auch in Vorträgen behandelt, und dass er darüber hinaus noch einen sehr hoch dotierten Preis in der Türkei bekommen hat von einem der angesehensten Literaturkritiker, sein Roman, ein Buch über das Erinnern und über die Verbrechen gegen die Menschlichkeit, wurde die Begründung des Literaturkritikers, türkisch, von "Hürriyet", der größten Zeitung, wurde er damit belobigt.

Also das alles zusammen, glaube ich, führt dazu, dass Hardliner – ja, gut, was heißt Hardliner, es ist ein großer Teil der türkischen Justiz, die diese Absichten verfolgt. Und er war jemand, der auch gegen die Militärdiktatur sich engagiert hat, damals schon drei Jahre, 1985, inhaftiert war mit seiner Frau und dem 16 Monate alten Sohn und im Beisein von Frau und Kind wurde er schwerst gefoltert. Also, er ist ein politisch Verfolgter, und in Deutschland hat er sich weiter kritisch engagiert, nicht nur in Hinsicht türkischer Menschenrechtsverletzungen, auch anderer.

König: Wobei ja das Vorgehen der türkischen Staatsanwaltschaft jetzt gerade den Fall Dogan Akhanli auch in die türkischen Medien wieder bringen dürfte?

Wallraff: Die haben geglaubt, die würden das sang- und klanglos, wie sie es mit vielen anderen machen, würden die das da erledigen, und sie haben nicht damit gerechnet, dass es jetzt doch hier auch in hiesigen Medien eine große Berücksichtigung gibt. Und ich habe gerade auch einen Staatssekretär aus dem Justizministerium damit vertraut gemacht, und ich glaube, dass es auch jetzt bei einer doch sehr engagierten Justizministerin, Frau Leutheusser-Schnarrenberger, Interventionen gibt. Die muss es auch geben, weil wenn die Türkei damit weiter so verfährt, dann ist ihr Bemühen, in die EU aufgenommen zu werden, doch eigentlich obsolet.

König: Vielen Dank! Der Journalist und Schriftsteller Günter Wallraff. Diesem Gespräch zugehört hat auch die Journalistin Susanne Güsten in Istanbul. Frau Güsten, seien auch Sie gegrüßt! Wie erklären Sie sich dieses Vorgehen der türkischen Staatsanwaltschaft gegen Dogan Akhanli?

Susanne Güsten: Nun, es ist hier ganz wichtig zu unterscheiden zwischen der Justiz und der Regierung in der Türkei, so wie es allgemein ganz wichtig ist, gerade in der Phase jetzt zu unterscheiden zwischen der Regierung auf der einen Seite, der gewählten Regierung, die für ihre Demokratiebestrebungen, für ihre Demokratisierungsprogramme angetreten ist, und dem alten, verkrusteten Staatsapparat, der eine Hinterlassenschaft dieser Militärjunta von 1980 ist.

Die Türkei lebt immer noch mit der Verfassung von 1980, die ihr Putschisten hinterlassen haben, und mit einem Staatsapparat von diesen Putschisten. Und Menschenrechtler hier in der Türkei bemerken für den Fall Dogan Akhanli, es sei schon ironisch, dass zwei Wochen vor einem Referendum, was die Regierung jetzt veranstaltet, zur Reformierung dieser undemokratischen Putschverfassung jetzt noch jemand verhaftet wird wegen Geschichten, die auf diese Putschphase zurückgehen.

Denn Akhanli hatte sich ja gegen die Putschisten engagiert, saß dafür im Gefängnis, und diese Vorwürfe sind eindeutig noch aus einer Putschphase, aus diesen 80er-Jahren, in der die Putschisten das Land mit eiserner Hand regiert haben. Es ist also ganz klar hier ein Kampf im Gange zwischen der Regierung, die das bestimmt jetzt nicht wollte, diese Verhaftung – das geht gegen alles, wofür die stehen und so –, und der Justiz, die sich ja ebenso wie die Beamten im Außenministerium das Militär mit beiden Beinen in den Boden stemmen und in die Demokratisierung hineingezerrt werden müssen mit Gewalt.

König: Ich hatte ja eingangs schon drauf hingewiesen, Ankara hat jetzt indirekt eine Mitschuld an der Ermordung des türkisch-armenischen Journalisten Hrant Dink im Januar 2007 eingeräumt, mit Entschädigungszahlungen will man auf seine Familie zugehen. Hatte diese Nachricht auch für Sie dieses Erstaunliche, das man hier empfindet, aus der Ferne betrachtet?

Güsten: Jein, denn dass die Regierung diese Haltung hat, (…) das ist ein drastischer Schritt gewesen. Denn was passiert ist, ist, dass ja Beamte im Außenministerium hatten eine Verteidigung am Menschenrechtsgerichtshof eingereicht für die Türkei und haben sich damit verteidigt für die Ermordung von Hrant Dink, dass er ja selber quasi gehetzt hat und selber Schuld sei. Als das bekannt geworden ist – übrigens durch die türkische Presse, die das enthüllt hat –, hat sich der Außenminister furchtbar öffentlich erschrocken, hat sich die Regierung sofort zusammengesetzt, hat der Präsident den Bruder von Hrant Dink zu sich gebeten, sie haben lange zusammen gesprochen, und die Regierung hat den drastischen Schritt gemacht zu sagen, nein, also wir müssen jetzt öffentlich sagen, dass wir dazu nicht stehen.

Also sie tun ihre eigenen Beamten quasi, die ihnen da in den Rücken gefallen sind, jetzt bloßstellen und sagen: Nein, dafür steht die Türkei nicht, wir müssen uns öffentlich davon distanzieren, wir entschuldigen uns dafür, wir gestehen ein, dass wir eine Mitschuld hatten, wir suchen eine Einigung mit der Familie.

König: Worin besteht eigentlich diese Mitschuld?

Güsten: Die Mitschuld besteht darin – und das hat auch der Präsident selber jetzt so gesagt –, dass sie ihn nicht genug geschützt haben, dass er, als er von Nationalisten angefeindet wurde, dass sie ihm nicht von sich aus in staatlichen Schutz gestellt haben. Die Beamten hatten argumentiert, er hätte halt staatlichen Schutz einfordern müssen, die Regierung geht jetzt so weit zu sagen, nein, wir hätten ihn schützen müssen, wir hätten ihn vorbeugend schützen müssen. Also auch das wieder ein Bestandteil von diesem Hin und Her, diesem Machtkampf zwischen einer Regierung, die das eine will, und einem alter Staatsapparat – die Beamten im Außenministerium, die Justiz und so weiter und so fort –, die auf was anderes, auf das Alte beharren.

König: Also ein Machtkampf zwischen liberalen und konservativen Kräften der Türkei, das alles im Vorfeld des Referendums, mit dem am 12. September, glaube ich, die rigide türkische Verfassung der Militärs von 1982 liberalisiert werden soll. Schildern Sie uns diesen Machtkampf etwas konkreter, was genau passiert da, was für ein Kampf auch wird da ausgetragen?

Güsten: Also es ist ein Kampf, der eigentlich quer durch die Gesellschaft ausgetragen wird, auf allen Feldern – wirtschaftlich, politisch, sogar kulturell. Im Moment geht es hoch her, ob die … gibt es einen kulturellen Kampf darum, ob die türkische Regierung überhaupt kulturell befähigt sei, das Land zu führen. Es ist wirklich ein Machtkampf zwischen den alten Eliten, den Kemalisten, die jahrzehntelang dieses Land geführt haben, und die dann quasi, was noch zugespitzt wurde, nach dem Putsch, als ihnen die Macht zu entgleiten drohte, haben sie noch mal also militärisch nachgefasst, und den Kräften, die eine europäische, eine demokratische Türkei wollen.

Es ist ja leider nicht durchzusetzen gewesen, was die meisten Kräfte hier fordern, bis hin zur Regierung – eine ganz neue Verfassung, von null auf, nach dem Modell des Grundgesetzes hatte es sich die Regierung so vorgestellt, aber die Kräfte des Beharrens sind hier noch eben sehr, sehr stark. Das Militär, also dieser Kampf wird seit ein, zwei Jahren ausgetragen, und die Regierung hatte jetzt erst in diesem Monat einen entscheidenden Sieg, politischen Sieg errungen, dass sie jetzt bestimmen darf, wer das Militär führt, dass das Militär das nicht mehr alleine bestimmt.

Ähnliches wird gerade über die Justiz ausgetragen. In dem Referendum soll es darum gehen, ob die Justiz sich quasi immer wieder selber erneuern und rekrutieren kann und dadurch alle Demokratisierungsgesetze verhindern, wie sie das in den letzten Jahren getan haben. Alle möglichen Gesetze, die die Regierung erlassen hat, die das Parlament verabschiedet hat zur Demokratisierung des Landes – zur Stärkung der Rechte der Christen im Land – werden sofort wieder von der kemalistischen Justiz kassiert. Das ist so ein Kreislauf, mit dem sich diese Elite damals einfach ein Monopol auf die Macht geschaffen hatte. Und da bemüht sich das Land jetzt seit etlichen Jahren rauszukommen. Das Referendum wird nur ein weiterer Schritt dahin sein.

König: Ein Machtkampf zwischen Regierung und Staatsapparat in der Türkei. Ein Gespräch dazu mit der Journalisten Susanne Güsten in Istanbul. Ich danke Ihnen!
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