"Er ist ein dampfender Regieberserker"

Moderation: Holger Hettinger · 28.07.2009
Der Schauspieler Christoph Waltz arbeitet gern mit US-Regisseur Quentin Tarantino zusammen. Beim Dreh zu "Inglorious Basterds" sei er inspirierend und feinfühlig zugleich gewesen. So habe Tarantino Schlampigkeiten auf Deutsch entdeckt, obwohl er gar kein Deutsch spricht. Waltz erhielt für seine Rolle eines SS-Manns in Tarantinos "Inglorious Basterds" die goldene Schauspiel-Palme in Cannes.
Holger Hettinger: Christoph Waltz, der Totenkopf-SS-Mann Hans Landa, den Sie in "Inglorious Basterds" von Quentin Tarantino spielen, der hat so ganz viele Facetten. Das ist zum einen ein ganz polyglotter, vielsprachiger Charakter, das ist aber auch ein unerbittlicher Bluthund, wenn er sich in seine Sache verbeißt, zum Ende hin bekommt er so, ja, weltverbesserische, traumtänzerische Züge. Wie haben Sie sich dieser doch sehr komplexen Figur angenähert?

Christoph Waltz: Ganz anders als Sie, grundverschieden. Ich habe nämlich versucht, alle diese Urteile zu umgehen. Das ist nicht einfach, weil man halt so viele Meinungen hat.

Hettinger: So ein SS-Mann hat ja was im Gepäck.

Waltz: Ja, ja, und das ist genau das, was mich irritiert. Ich würde nie behaupten, dass ein SS-Mann nichts im Gepäck hat, aber was er im Gepäck hat, das möchte ich dann schon genauer herausfinden. Also: Ich versuche, meine Urteile an der Garderobe abzugeben und mich der Sache so zu nähern, wie ich finde, dass man sich der Sache überhaupt nähern sollte, und warum ich das finde, ist: Ich bin der Überzeugung, dass dieses Urteil, aus welcher Richtung auch immer es kommt, mit der ganzen Berechtigung, die es hat, unseren Zugang zu der Sache verstellt. Wir reden immer von Aufarbeitung, und mit dem Urteil entledigen wir uns dieser Aufarbeitung, wir entledigen uns der Aufgabe, uns mit der Sache wirklich zu befassen. Wir wissen von vornherein, was wir von der Sache zu halten haben, und warum sollten wir uns weiter mit einer Sache befassen, warum sollten wir uns das nahe - im wahren Sinne des Wortes -, nahe gehen lassen, wenn wir unser Urteil ja eh schon gefällt haben? So, jetzt wird das Urteil perpetuiert statt der Vorgang, uns mit dem Thema auseinanderzusetzen, und das ist das, was ich einerseits beklage, andererseits in diesen großen kommerziellen Erfolgen ... Eigentlich kriege ich Wutanfälle, weil die diese, wie sage ich, diese Entledigung der Sache noch dazu kommerzialisieren.

Hettinger: Als Quentin Tarantino hier in der Stadt war und den Film gedreht hat, in Babelsberg unter anderem, da war ein unglaublich mediales Gewitter hier zu verspüren - Tarantino in der Stadt - und das Bild, was so von ihm gezeichnet wurde in den Medien, ist das eines dampfenden Regieberserkers. Wie haben Sie ihn empfunden während der Dreharbeiten?

Waltz: Ja, stimmt absolut, er ist ein dampfender Regieberserker, und zwar ein nicht zu bremsender.

Hettinger: Ist das anstrengend als Schauspieler?

Waltz: Nein, nein, nein, weil er einen nie überfährt. Wenn er alles platt machen würde um sich herum, dann wäre das unerträglich. Der macht aber nichts platt, weil, der arbeitet durch Inspirieren, der ist, wenn man schon beim Dampf bleibt, wie diese unglaubliche Dampflokomotive, die zwischen Berlin und Hamburg fuhr und deren Geschwindigkeitsrekord erst durch den zweiten ICE gebrochen wurde. So eine Dampfmaschine ist der. Und da hängt so viel dran, und der zieht das mit.

Man muss halt darauf achten, dass man nicht entgleist, aber da ist er vorsichtig genug, denn ich habe noch einen anderen Aspekt kennengelernt und das war der Aspekt, der mir wichtig ist, diesen ganz, ganz rücksichtsvollen, ruhigen und 100 Prozent fokussierten und präzisen Beobachter, der Antennen hat, von denen man gar keinen Begriff hat, dass die existieren können. Er kann nur durch aufmerksames Zuhören in Sprachen inszenieren, die er gar nicht spricht. Der entdeckt Schlampigkeiten auf Deutsch, obwohl der gar kein Deutsch kann. Er sagt, ja, war das, wieso, wieso, das klang so ein bisschen ... Ja, genau, hat er erwischt, den Punkt ganz einfach. Der hat ein Sensorium, jetzt mal abgesehen von seinem Talent, ein Sensorium, das beispielhaft ist, und er wird schon dieses Sensorium auch irgendwie entwickelt haben. So ist es nicht: Er hat auch nicht alles geschenkt bekommen, viel, aber sicher nicht alles.

Hettinger: Es gab eine Drehbuchfassung, die im Internet kursiert ist, schon relativ früh, man wusste nicht genau, ist die jetzt echt oder ist sie nicht echt? Aber jedenfalls wurde klar, dass an diesem Skript ständig was geändert wurde, ständig neues Material hinzu, anderes weg. Wie war das, als Sie den fertigen Film gesehen haben? Hatte das noch was mit dem zu tun, was Sie gedreht hatten?

Waltz: Ich habe das nicht so erlebt, ehrlich gesagt, dass da immer was geändert wurde. Deswegen sage ich: Nicht alles hat er geschenkt bekommen, das ist nicht alles nur Musenkuss, da ist viel, und viele Musen küssen ihn und der lässt sich auch gerne von den Musen küssen, aber der weiß sehr genau, was er macht, und das ist nicht unabsichtlich. Das ist nicht zufällig, das folgt einem ganz, ganz genauen Plan.

Hettinger: Sie haben für die Rolle des Hans Landa in Cannes bei den Filmfestspielen die Palme bekommen für den besten Darsteller und haben in der Laudatio gesagt in Richtung Tarantino: Du hast mir meine Berufung zurückgegeben. Wie meinen Sie das?

Waltz: Die Sache mit der Berufung, ja, ich meine, wenn man es lange macht, man träumt davon, seine Grenze zu erreichen und dann irgendwie zu überschreiten. Und der Alltag bietet sehr selten diese Möglichkeiten, und die Berufung, also dieser Ruf erschallt ja von jenseits dieser Grenze sozusagen. Also, wenn man dann mit dem Alltag konfrontiert ist und man hat ja auch bestimmte Notwendigkeiten zu befriedigen, die Miete zahlen und einkaufen gehen und so, also, das muss ja irgendwie bewerkstelligt werden. Kompromisse sind unausweichlich einerseits.

Andererseits hat es auch ein bisschen was damit zu tun, dass man bei uns sich schon sehr so auf das Mittelfeld konzentriert und ein Ausscheren nicht so gerne sieht, was den großen Vorteil hat, dass auch ein Ausscheren nach unten eher selten vorkommt. Ich würde immer sagen: Bei uns ist es zwar mittelmäßig, aber dafür liegt dieser mittelmäßige Durchschnitt sehr, sehr hoch. Das ist jetzt, wie soll ich sagen, so in einer Gesellschaft als Ganzes eine durchaus wünschenswerte Situation.

Alles, was künstlerische Betätigung betrifft, wird aber schon eigentlich dadurch behindert. Und ich finde, wir sollten hierzulande doch mehr das Außergewöhnliche ... Ich meine jetzt nicht qualitativ nur das Gute, weil wer sagt das letzten Endes denn? Wir sollten aber uns, was Kunst betrifft, doch mehr dem Außergewöhnlichen zuwenden und da allerdings den Künstlern mehr Unterstützung zukommen lassen und größere Sicherheit bieten, dass das auch möglich ist. Es kann in Misserfolg, in kommerziellen Misserfolg resultieren, das muss man aber in Kauf nehmen, denn anders geht es nicht.