"Er hat sich verstricken lassen"

Moderation: Dieter Kassel · 23.04.2008
In seinem Bestreben, ein unpolitischer Mensch zu sein, sei der Physiker und Nobelpreisträger Max Planck gerade während des Nationalsozialismus letztlich doch politisch wirksam gewesen, sagt Jürgen Renn, Direktor der Max-Planck-Gesellschaft. Als beispielsweise Albert Einstein gezwungen wurde, aus der Akademie der Wissenschaften auszutreten, habe Planck im Vorstand nichts dagegen unternommen.
Dieter Kassel: Einem gewissen Herrn Müller hat die Wissenschaft viel zu verdanken. Dieser Herr Müller war Mathematiklehrer an einem Gymnasium in München, und er war der Mathematiklehrer von Max Planck. Und diesen Herrn Planck hat Herr Müller nun wiederum so beeindruckt, dass der Mann, der eigentlich aus einer Familie von Theologen und Philologen stammte, sich für die Naturwissenschaft zu interessieren begann und schließlich Physiker wurde. Wie wir heute wissen, was das aus Sicht von Max Planck eine absolut angemessene Entscheidung. Er ist Physik-Nobelpreisträger später geworden und gilt bis heute als der Begründer der Quantenphysik, war ihm selber allerdings ein wenig unheimlich war. Heute, am 150. Geburtstag von Max Planck, wollen wir über ihn reden mit dem Direktor eines der Institute, der nach ihm benannten Gesellschaft, nämlich mit dem Direktor des Max-Planck-Institutes für Wissenschaftsgeschichte, Jürgen Renn. Schönen guten Tag, Herr Renn!

Jürgen Renn: Schönen guten Tag!

Kassel: Ich hab das angedeutet mit dem "ein wenig unheimlich". Max Planck hat selber gesagt, seine Theorie, das war damals noch so eine Strahlungsformel, heute wissen wir, das war die Begründung der Quantenphysik, seine Theorie sei eine ungeheure und für das Vorstellungsvermögen fast unerträgliche Zumutung. Warum hat ihn denn seine eigene Entdeckung so verunsichert?

Renn: Vor allem deswegen, weil er zunächst mal meinte, er würde einen Schlussstein auf das Gebäude der klassischen Physik setzen. Und er hat jahrelang an einem Problem gearbeitet, von dem er eher den Eindruck hatte, das sei sozusagen noch so ein letztes offenes Problem. Und wenn er das abschließen würde, würde er zur Einheit des Weltbildes der klassischen Physik beitragen. Und was er tatsächlich getan hat, ist, er hat dieses Gebäude zum Einsturz gebracht. Und dann kann man sich schon mal über die Konsequenzen wundern. Das hat er allerdings selber nicht sofort eingesehen, sondern das haben erst die Physiker in seiner Nachfolge, Albert Einstein insbesondere, ihm nahezulegen versucht mit ihren eigenen Forschungen. Er hat sich dagegen zunächst gesträubt, lange gesträubt, weil er die radikale Konsequenz, die Einstein zog aus seinen Forschungen, nämlich dass das Licht, die Strahlung insgesamt, in Energiepaketen gequantelt ist, weil er die zunächst mal lange nicht wahrhaben wollte. Denn die widerspricht direkt einem der Grundbausteine der klassischen Physik, nämlich der Maxwell’schen Elektrodynamik, die davon ausgeht, dass das Licht wie andere elektromagnetische Strahlen auch Welleneigenschaften besitzt, kontinuierliche Welleneigenschaften besitzt. Damit ist diese Planck’sche Quantelung der Energie überhaupt nicht verträglich. Und Planck hat viele Versuche gemacht, diese Quantelung irgendwo anders hin zu stecken, in die Materie, in die Wechselwirkung zwischen Materie und in Strahlen. Er hat aber auf diese Weise paradoxerweise eher dazu beigetragen, die revolutionären Konsequenzen seiner Strahlungsformel von 1900 nur umso deutlicher zu machen. Und schließlich hat er sie auch anerkennen müssen.

Kassel: Er hat, Sie haben es ja angedeutet, damals eigentlich, bis es dann 1900 zu der Vorstellung dieser Strahlungsformel kam, ja eigentlich in dem Zusammenhang an der Frage gearbeitet, wie ist das mit den Glühbirnen, wie ist es mit Licht. Denn das kam ja damals gerade neu auf, und man wollte von der Wissenschaft erklärt haben, wie kann man mit Beleuchtung am günstigsten umgehen. Das war eigentlich der simple Anlass?

Renn: Nun muss man sagen, dass Planck ein Theoretiker war. Die theoretische Physik war damals noch ein neues Gebiet, und es war eher ungewöhnlich, dass man sich sozusagen rein einem theoretischen Erkenntnisinteresse verschrieb. Und ich hab ja schon erläutert, dass Planck sozusagen in dieser Linie forschen wollte. Aber Sie haben auch recht, der Hintergrund war ein ganz praktisches Problem. Es gab damals im 19. Jahrhundert, im Zeitalter der Industrialisierung, auch eine große elektrotechnische Industrie, insbesondere auch hier in Deutschland, und die brauchte Standards für ihre Glühbirnen, für ihre Leuchtröhren. Und diese Standards wiederum konnte man nur setzen, wenn man Grundlagenforschung betrieb. Aber das war zunächst mal experimentelle Grundlagenforschung.

Kassel: Eine Ausstellung, die am Wochenende beginnt, am Freitag konkret, über Max Planck heißt ja auch "Revolutionär wider Willen". Und ich hab so ein bisschen den Eindruck, und Sie können ja sagen, ob dieser Eindruck falsch ist, dass dieses Nichtrevolutionäre, dass dieser Wunsch, dass eigentlich alles so ist, wie man sich das vorgestellt hat, und man kann nachweisen, es ist alles ganz genauso, das bezog sich bei ihm nicht nur auf die Wissenschaft, sondern auch auf seinen Lebensstil. Er war schon ein relativ konservativer Mensch.

Renn: Planck war ein sehr konservativer Mensch. Er sagte von sich selber, er sei immer dem Frieden zugeneigt und allen bedenklichen Abenteuern abgeneigt. Er hat ein sehr bildungsbürgerliches Leben in seiner Villa im Grunewald geführt mit Hausmusik und alles, was eben zum bürgerlichen Leben dazugehört. Er war auch bescheiden, pflichtbewusst, fleißig, sozusagen ein wirklich preußischer Bildungsbürger. Er wurde auch zu einem großen Wissenschaftsorganisator, aber nicht, weil er Ehrgeiz hätte, Macht auszuüben, sondern er hat einfach immer die Aufgaben, die man ihm aufgebürdet hat, auch wirklich angenommen, hat sie pflichtbewusst erfüllt. Und das stieß eben nur da an die Grenzen, wo es nicht mehr um die Wissenschaft ging, sondern wo es um große gesellschaftliche Umbrüche ging, den Beginn des Ersten Weltkrieges, den Zusammenbruch des Kaiserreichs, den Machtantritt der Nazis. Planck hat immer dort für Kontinuität gestanden und ist auch in manche schwierigen, politischen, moralischen Situationen geraten, weil er eigentlich immer sich selber als ein absolut unpolitischer konservativer Mensch verstanden hat und oft nicht gesehen hat, dass er dennoch sehr politisch wirksam geworden ist, gerade wegen seiner unpolitischen Haltung. Und er hat eigentlich auch in der Weimarer Republik, er hat diesen Wechsel des Systems vom Kaiserreich in eine Demokratie nie politisch bewusst nachvollzogen. Er ist eigentlich immer ein Anhänger des Kaiserreichs geblieben und hat selbst von den Nazis noch erhofft, dass sie bei allem Pöbelhaften, was sie haben, vielleicht noch so ein Stück von dem Guten, was das Kaiserreich hatte, zurückbringen würde.

Kassel: Er hat ja bis 1947 gelebt und hat Deutschland nie verlassen, anders als andere, die vor den Nazis zeitweilig oder für immer ins Exil gegangen sind. Was für ein Verhältnis hat er denn zu den Nationalsozialisten gehabt, auch in der späteren Zeit, dann im Zweiten Weltkrieg?

Renn: Nun, er war keineswegs ein Nazi. Er hat das Gewaltsame der Nazis sicher nicht gemocht. Man muss Plancks politische Haltung im Zusammenhang mit der engen Verbundenheit mit seinem Sohn Erwin sehen, der in den letzten Regierungen der Weimarer Republik Staatssekretär war und sicherlich seinerseits dazu beigetragen hat, dass demokratische Mechanismen der Weimarer Republik demontiert worden sind. Auch ein sehr konservativ denkender Mensch, der allerdings dann schließlich in den Kreis des 20. Juli geriet und von den Nazis hingerichtet worden ist. Aber Planck selbst hat auch den Machtantritt der Nazis so erlebt, das ist alles eine schreckliche Umbruchzeit, aus der aber möglicherweise Gutes entstehen kann. Und er hat versucht, die Institutionen der deutschen Wissenschaften, denen er vorstand, darunter die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, die Preußische Akademie der Wissenschaft, er hat für viele Institutionen gestanden, die hat er versucht, "unbeschadet" über diese Zeitenwende hinwegzubringen, hat sie dadurch aber de facto in den Dienst der Nationalsozialisten gestellt unter Preisgabe, muss man auch sagen, vieler Kollegen, die zur Emigration gezwungen wurden, die verfolgt worden sind. Er hat sich für Einzelne eingesetzt, aber er hat die Konsequenzen des Ganzen nicht gesehen und oder wollte sie nicht sehen.

Kassel: Bei den Kollegen, die Sie erwähnt haben, fällt einem natürlich ein Mann sofort ein, Albert Einstein, auch schon vorher. Aber später in dieser Zeit, was hatten die beiden für ein Verhältnis, Planck und Einstein?

Renn: Kein ganz einfaches Verhältnis. Einstein hat Planck verehrt als großen Wissenschaftler. Planck hat Einstein einmal als seine größte Entdeckung bezeichnet. Planck gehört zu den frühen Förderern von Einstein. Er hat die Bedeutung seiner Relativitätstheorie erkannt, Einstein war ja ein kleiner Patentamtsangestellter, als andere das noch nicht gesehen haben. Aber politisch hat er sich natürlich von dem Freigeist Einstein um Welten unterschieden. Und natürlich hat man auch in der Weimarer Republik ganz andere Ansichten gehabt. Als Einstein dann angegriffen wurde wegen seiner freiheitlichen Ansichten, auch weil er Jude war, hat Planck politischen Maßnahmen zum Schutze Einsteins eher zurückhaltend gegenübergestanden. Und als Einstein dann praktisch gezwungen wurde zum Austritt aus der Akademie, hat Planck das hingenommen, hat sich nicht hinter Einstein gestellt, ist weiter Vorstand der Akademie gewesen, ist im Urlaub in Sizilien gewesen, ist nicht zurückgekommen, hat die Dinge geschehen lassen, hat eine schreckliche Erklärung, in der die Akademie den Austritt Einsteins sogar begrüßt, im Grunde mitgetragen. Und Einstein konnte das alles nicht verstehen und hat gesagt, er kann nicht akzeptieren, selbst als Goi, als Nichtjude, wie man unter solchen Bedingungen Präsident einer Akademie bleiben kann und der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft.

Kassel: Wir reden im Deutschlandradio Kultur gerade mit dem Direktor des Max-Planck-Institutes für Wissenschaftsgeschichte über den Namensgeber dieser Wissenschaftsgesellschaft, zu der rund 80 Institute aktuell gehören mit über 12.000 Mitarbeitern. Nach dem, was Sie erzählt haben, warum heißt die Max-Planck-Gesellschaft, ich weiß, es ist böse, das an dieser Stelle zu fragen, aber warum heißt die Max-Planck-Gesellschaft Max-Planck-Gesellschaft? Sie könnte doch theoretisch auch Einstein-Gesellschaft heißen, oder man hätte sich … Es gab genügend berühmte deutsche Naturwissenschaftler in den Jahren vor ihrer Gründung.

Renn: Ja, das ist kein Zufall! Außerdem sollte man sich natürlich davor hüten, einfach nur Lichtgestalten und Dunkelmänner zu unterscheiden. Und Planck gehörte sicherlich keinen von beiden Kategorien an. Er steht für die Kontinuität. Er stand auch nach dem Zusammenbruch 1945 für Kontinuität. Er hat für eine Interimszeit die Präsidentschaft der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft übernommen. Die sollte vom alliierten Kontrollrat aufgelöst werden. Und eine der Möglichkeiten, sie zu retten, bestand darin, ihr einen anderen Namen zu geben. Der Name Kaiser-Wilhlem-Gesellschaft, die ja auch verstrickt war in die Gewaltherrschaft des Nationalsozialismus, war nicht mehr tragbar. Und da entstand die Idee, ihr den Namen Max-Planck-Gesellschaft zu geben, und das hat diese Gesellschaft gerettet gewissermaßen, hat das, was an ihr gut war, bewahrenswert war, gerettet, sicherlich unter Verdrängung der vielen Dinge, der schrecklichen Dinge, die dort auch geschehen sind. Aber Max Planck stand auch im internationalen Ansehen für den Typus eines Wissenschaftlers, der sich nicht politisch vereinnahmen ließ, der sozusagen aufrecht war. Obwohl er, wie ich schon erläutert habe, in seinen politischen Handlungen dieses zwar vielleicht als Selbstbildnis mit sich trug, aber de facto sich hat verstricken lassen. Deswegen, glaube ich, können wir mit diesem historischen Geschick leben als Max-Planck-Gesellschaft. Die Max-Planck-Gesellschaft hat ja auch ihre Vergangenheit als Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus sehr systematisch versucht aufzuarbeiten, transparent zu machen. Und Max Plancks Schicksal auch in dieser Zeitenwende steht eben für das Schicksal der frühen Bundesrepublik, in der es ja allenthalben Kontinuitäten unter den Eliten gegeben hat.

Kassel: Das war ein bisschen was über Max Planck. Es gibt in unserem Programm, und natürlich nicht nur da, in diesem Jahr, seinem 150. Geburtsjahr, viel mehr. Schon in einer guten halben Stunde erinnern wir im "Kalenderblatt" an Planck. Heute Abend, 19.30 Uhr, geht es um ihn auch in unserer Sendung "Zeitreisen". Und die Ausstellung "Max Planck – Revolutionär wider Willen", Sie dürfen mal raten, welche Forschungsgesellschaft übrigens hinter dieser Ausstellung steckt, man kann nicht drauf kommen, diese Ausstellung beginnt übermorgen im deutschen Technikmuseum in Berlin und wird dann noch bis zum 5. Oktober zu sehen sein. Das war bei uns der Direktor des Instituts für Wissenschaftsgeschichte Jürgen Renn. Herzlichen Dank fürs Kommen!

Renn: Ich danke Ihnen!
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