"Er hat es sehr gut gemacht"

John Kornblum im Gespräch mit Gabi Wuttke · 13.01.2011
Der ehemalige US-Botschafter in Deutschland, John Kornblum, lobt den Präsidenten für sein besonnenes Verhalten nach dem Attentat von Tucson. Er rechnet mit einer eher gemäßigten Politik der Republikaner, da die Stimmung sich gedreht habe.
Gabi Wuttke: Um 6 Uhr 50 begrüße ich im Deutschlandradio Kultur John Kornblum, den ehemaligen Botschafter der USA in Deutschland. Schönen guten Morgen!

John Kornblum: Guten Morgen!

Wuttke: Hat Barack Obama in seiner Rede dem Anlass angemessen gesprochen, hat er Ihren Ansprüchen genügt?

Kornblum: Ja, ich glaube, er hat eine gute Rede gehalten, er hat hauptsächlich natürlich über das Thema Versöhnung und Zusammenkommen gesprochen, aber er hat auch die tiefen Klüfte, die es jetzt in der Gesellschaft gibt, angesprochen, und hat auch sehr sozusagen über die Dinge gesprochen und er hat gesagt, wir müssen zusammenkommen. Das ist eine Rede … das ist ein Anlass, bei dem er seine Stärken ausspielt. Er ist sehr gut in solchen Reden.

Wuttke: War die Ansage klar genug, was die öffentliche Debatte über diese Nachlade-Rhetorik von Sarah Palin betrifft?

Kornblum: Na ja, das kann man nicht sagen. Ich weiß es nicht. Ich bin eher etwas zurückhaltend in der Erwartung, dass die Lage sich auf einmal ändert. Die Debatte geht zu lange und die Klüfte sind zu tief, dass eine Rede von einem Präsidenten das sehr ändern kann, aber mindestens hat er die richtigen Töne gefunden.

Wuttke: Sie haben gerade schon gesagt, Barack Obama ist ein großer Rhetoriker. Hat er auch emotional das bieten können, was ja viele Amerikaner von ihm erwarten, nämlich, dass er das Land zumindest ein bisschen hält, wenn es auch unmöglich ist zu diesem Zeitpunkt, das Land mit seinen Konflikten auszusöhnen?

Kornblum: Es scheint so zu sein. Ich habe viele Kommentare heute morgen in den Zeitungen gelesen, und die meisten meinten, dass er wirklich diesen Anlass benutzt hat, etwas sehr Versöhnendes zu sagen. Und seine Talente sind eher in diese Richtung. Wir haben gesehen, dass, wenn es um harte Politik geht, seine Rhetorik nicht immer die beste ist, aber für sowas ist er gerade geschaffen.

Wuttke: Das heißt, dass es innenpolitisch nicht gerade leicht für ihn ist, hat auch damit zu tun, dass er vor allen Dingen ein Mann des Wortes ist?

Kornblum: Das ist teilweise der Fall, das meinen mindestens die Beobachter in Washington. Er ist ein Mann des Wortes, der sehr gute, breite Themen beschreiben kann, aber wenn es darauf geht, die harte Politik zu machen, ist er etwas zurückhaltender.

Wuttke: Bill Clinton war 1995 nach dem Anschlag in Oklahoma City kämpferisch aufgetreten, kämpferischer als Barack Obama heute. Er appellierte an den bürgerlichen Widerstand gegen Hass und Gewalt, etwas Ähnliches hat der amtierende US-Präsident ja jetzt auch gefordert. Damals war das politische Klima für Clinton vergiftet, und er konnte innenpolitisch punkten. Erwarten Sie das jetzt auch?

Kornblum: Nein, das Klima war aber doch etwas anders zu Clintons Zeiten. Hauptsächlich, weil Clinton mitten in einem großen wirtschaftlichen Aufschwung gesprochen hatte. Er hatte die Kongresswahlen verloren, noch schlechter verloren als Obama, aber zur gleichen Zeit hatte er ein sehr starkes wirtschaftliches Wachstum hinter sich, und die Stimmung im Land war nicht so negativ und nicht so vergiftet. Ich glaube, Obama hat eher den richtigen Ton angeschlagen, indem er nicht so kämpferisch war - dass er eher gesagt hat, das ist eine Zeit, wo wir unsere Unterschiede vergessen sollten und richtig zusammenkommen können. Ob das für ihn innenpolitisch positiv sein wird, werden wir sehen. Ich würde es andersherum sagen: Für die Republikaner ist dieser Vorfall wirklich ein Rückschlag, nicht nur wegen der Rhetorik, sondern es hat sozusagen die Luft aus ihrem Programm genommen. Jetzt können sie nicht mehr so aggressiv im Kongress ihre Ziele angehen wie vorher.

Wuttke: Und das, obwohl ja das Motiv des Täters eigentlich noch gar nicht bekannt ist?

Kornblum: Ja, es ist nicht bekannt, es wird nie bekannt werden, weil der Täter wirklich ein gestörter junger Mann ist. Aber man kann sagen, dass das Klima, das in Arizona seit fünf Jahren geherrscht hat, gerade etwas maßgeschneidert war für solche Leute, die verwirrt sind und etwas unstabil geworden sind. Und deshalb: Für die Republikaner ist … man wird nie wissen, warum der junge Mann so gehandelt hat, aber die Stimmung hat sich jetzt mindestens kurzfristig gegen die Republikaner gedreht.

Wuttke: Das heißt, es wird Barack Obama nicht nachhängen, dass er erst mal nur mit einer kurzen Schweigeminute auf das Attentat reagiert hat, um dann fünf Tage später diese Rede zu halten?

Kornblum: Nein, nein. Niemand hat was darüber gesagt. Ich glaube, seine erste Reaktion war wirklich sehr angemessen, und er ist jetzt, würde ich sagen, zur gegebenen Zeit nach Tucson gefahren und hat da eine sehr gute Rede gehalten. Wie gesagt, es ist nicht ein Zeitpunkt, wo man große Änderungen erwarten kann oder sogar aus Obamas Sicht Wunder erwarten kann. Aber er hat das getan, was er tun sollte, und ich glaube, er hat es gut gemacht und es wird für ihn ein Vorteil sein.

Wuttke: Eines, Herr Kornblum, müssen Sie uns noch verraten: Eine solche Emotionalität, wie wir sie zu Beginn unseres Gesprächs gehört haben in dieser Trauerrede, ist für einen deutschen Politiker eigentlich nicht vorstellbar und auch für uns Deutsche von einem Politiker nicht vorstellbar. Wie wichtig ist das für die Amerikaner, dieser gefühlvolle Moment, der sich ja so steigert, dass man meinen könnte, Barack Obama hätte in einer Kirche gestanden?

Kornblum: Na ja, für die amerikanische Politik und eigentlich für die amerikanische Gesellschaft sind solche Emotionen die Grundlage des öffentlichen Lebens. Wir sind ein Land, das auf der Basis von Visionen und Emotionen aufgebaut worden ist, und wir haben natürlich nicht alle Tragödien gehabt, die es in Europa gegeben hat. Daher können wir mit unseren Gefühlen etwas offener umgehen.

Wuttke: Vielen Dank, der ehemalige Botschafter der Vereinigten Staaten von Amerika in Deutschland, John Kornblum, im Interview von Deutschlandradio Kultur nach der Trauerrede von Präsident Obama in Arizona.
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