"Er hat einen ungebrochenen Kampfgeist"

Moderation: Joachim Scholl · 26.05.2011
Michail Chodorkowski, Russlands prominentester Häftling, hat ein Buch geschrieben - die "Briefe aus dem Gefängnis". Sein Sohn Pavel spricht im Interview über die politischen Anliegen seines Vaters und die Willkür der russischen Justiz.
Joachim Scholl: Zuerst war er einer der cleveren Oligarchen, die nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion ein Vermögen scheffelten, dann wurde er zum Wohltäter und sozialen Menschen. Als er sich jedoch in die Politik einmischte, den allmächtigen Wladimir Putin herausforderte, war 2003 Schluss mit dem Milliardenimperium des Michail Chodorkowski. Zweimal verurteilt für Vergehen, die er nach Meinung aller unabhängigen Beobachter niemals hätte begehen können, wird Russlands berühmtester Häftling mindestens bis 2016 eingesperrt bleiben. Wir haben jetzt Besuch von seinem Sohn, Pavel Chodorkowski. Er ist 25 Jahre alt, lebt in New York und ist jetzt nach Berlin gekommen, um ein Buch seines Vaters zu präsentieren: "Briefe aus dem Gefängnis". Herr Chodorkowski, willkommen im Deutschlandradio Kultur! Welcome!

Pavel Chodorkowski: Vielen Dank!

Scholl: Seit fast acht Jahren ist ihr Vater in Haft, seine Berufung gegen das zweite Urteil im letzten Dezember wurde jetzt abgelehnt, wenn auch die Haftzeit um ein Jahr verkürzt wurde. Wie geht es Ihrem Vater?

Chodorkowski: Vorgestern bei der Berufungsanhörung hatte ich zum ersten mal Gelegenheit, eine direkte Fernsehübertragung zu sehen, habe meinen Vater da quasi live sehen können, und ich muss sagen, er hat einen ungebrochenen Kampfgeist, also er ist sehr lebhaft und lebendig, und ich zitiere ihn wörtlich, er sagte: "All diese Dummheiten können mir nichts anhaben!"

Scholl: Wie halten Sie Kontakt zu ihm, ist das überhaupt möglich gewesen in den letzten Jahren?

Chodorkowski: Das ist natürlich sehr schwierig, Kontakt zu halten, weil ich bin seit 2003 nicht in Russland gewesen, wir können auch nicht miteinander telefonieren, wir können also Kontakt nur über Briefe halten, wir schreiben uns eben seit siebeneinhalb Jahren.

Scholl: Was schreibt er Ihnen?

Chodorkowski: Fangen wir vielleicht lieber damit an, was ich ihm schreibe, weil er hat ja nicht allzu viel neues zu berichten von sich. Und ich schreibe ihm, wie es mir geht, was ich mache, von meiner Arbeit in den Vereinigten Staaten, von meiner Familie – ich habe jetzt eine Tochter, seine erste Enkeltochter –, schreibe, wie es der geht, und er antwortet mir, dass er sich sehr freut, dass ich jetzt eine eigene Familie habe, dass meine Arbeit gut läuft, und dass er sehr hofft, seine Enkeltochter bald sehen zu können.

Scholl: Wie ist das für Sie, Pavel Chodorkowski, in den USA als Sohn des prominentesten Häftlings und einstmals reichsten Mannes Russlands – wie ist die Resonanz auf diesen Fall, spricht man Sie in Ihrer Umgebung auf diesen ... ja, auch Justizskandal an? Wie ist das überhaupt in den USA, was würden Sie sagen?

Chodorkowski: Als ich damals anfing, dort zu studieren, 2003, da war der Name Chodorkowski in den USA eigentlich überhaupt nicht geläufig. Den kannte niemand, sodass mich daraufhin auch niemand angesprochen hat, dass ich der Sohn von Chodorkowski bin. Das hat sich natürlich nach dem ersten Urteil 2005 geändert, Gott sei Dank, der Kampf um die gesellschaftliche Meinung, die ja sehr wichtig ist, um die Öffentlichkeit zu mobilisieren, damit ist es dann in den USA auch besser geworden. Inzwischen ist der Name Chodorkowski dort auch bekannt. Ich habe großes Glück gehabt, weil ich wurde bisher eigentlich nie negativ darauf angesprochen, dass ich sein Sohn bin. Ich mache ja auch etwas völlig anderes, und ich bin sehr froh, dass das inzwischen auch dort im Bewusstsein der Öffentlichkeit ist.

Scholl: Für die Weltöffentlichkeit ist der Fall Ihres Vaters ein Justizskandal, eine politische Abrechnung mit einem unbequemen Kritiker. Ausländische Regierungen, der europäische Menschengerichtshof in Den Haag haben seine Verurteilung kritisiert. Aus Russland selbst hört man kaum öffentliche lautere Proteste. Ist den Russen Ihr Vater anscheinend egal?

Chodorkowski: Dafür gibt es zwei Gründe. Zum einen ist die Zivilgesellschaft in Russland noch sehr wenig entwickelt – das ist ja eines der Hauptanliegen meines Vaters gewesen, wofür er sich eingesetzt hat, wofür er gekämpft hat und noch immer kämpft. Und zum zweiten ist es auch so, dass natürlich öffentliche Proteste in Russland sehr streng bestraft werden. Und es wundert in Russland auch niemanden, dass ein Gericht korrupt ist, dass Entscheidungen im Vorhinein getroffen werden. Das ist für alle nichts außergewöhnliches und nichts, was besonderen Protest hervorruft oder einen besonderen Aufschrei, weil daran ist man gewöhnt.

Scholl: Ist ihr Vater eigentlich noch reich, Herr Chodorkowski? In seinem Buch schreibt er, dass von seinem Vermögen bald nichts mehr da sein werde. Nimmt ihm das der russische Staat, die Regierung auch noch weg?

Chodorkowski: Natürlich unternimmt der russische Staat immer mal wieder Schritte in diese Richtung und versucht ihm das, was ihm geblieben ist, noch abzunehmen. Geblieben ist ihm natürlich nicht das Unternehmen, da hat der russische Staat es geschafft, das ist ja völlig weg. Was er jetzt noch besitzt, sind die Dividenden aus den Erlösen von seinen Jukos-Aktien, und auch da versucht der Staat immer mal wieder, die Hand drauf zu legen und ihm das wegzunehmen. Bisher allerdings noch nicht ganz erfolgreich.

Scholl: Der Fall des Michail Chodorkowski. Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit seinem Sohn Pavel Chodorkowski. Er ist in Deutschland, um ein Buch seines Vaters zu präsentieren. Was für einen Menschen lernen wir nun aus diesen Briefen aus dem Gefängnis, den Aufsätzen, Reflexionen kennen, Herr Chodorkowski?

Chodorkowski: Als ich den ersten Brief gelesen habe aus dem Gefängnis, muss ich sagen, war ich ziemlich erstaunt – erstaunt deshalb, weil mein Vater in sehr kurzer Zeit von einem Manager, vorwiegend Krisenmanager, der immer nur so ein paar Schritte im Voraus gedacht hat, plötzlich zu einem sozialen Denker geworden ist, zu jemandem, der nicht nur ein paar Schritte im Voraus plant, sondern Jahre, wenn nicht Jahrzehnte im Voraus überlegt, wie die Entwicklung Russlands, der Wirtschaft, des Landes weitergehen könnte. Das hat mich sehr erstaunt. Und so lernen wir ihn hier in diesem Buch kennen.

Scholl: Es gibt einen Briefwechsel mit der bekannten russischen Schriftstellerin Ludmilla Ulizkaja in diesem Band – für diesen Briefwechsel hat man Ihrem Vater sogar einen russischen Literaturpreis verliehen. Jetzt ergreifen die russischen Intellektuellen auch Partei für ihn. Wie wichtig ist das?

Chodorkowski: Das ist ihm natürlich außerordentlich wichtig, weil er kann ja jetzt eigentlich nichts weiter tun in der Gefängniszelle sitzend, als wenn er sich einmischen will, und das will er unbedingt! Er will unbedingt etwas für die Entwicklung des Landes tun. Natürlich hat er zwei Anliegen: Das erste ist natürlich, wieder freizukommen, seine Unschuld vor Gericht zu beweisen, auch wenn das so gut wie irreal ist, nach allem, was wir jetzt erlebt haben.

Aber das zweite Anliegen, das ihm sehr wichtig ist, ist eben, sich in die Gesellschaft einzumischen, darüber nachzudenken, wie sich die Gesellschaft in Russland weiter entwickeln soll, und da ist die Auseinandersetzung mit so bekannten Autoren, wie Ludmilla Ulizkaja es ist, ganz wichtig, weil das ist der Kreis von Menschen, mit denen er eine Debatte darüber führen will, über die weiteren Wege der Gesellschaft in Russland.

Scholl: Wenn man das Buch liest, Herr Chodorkowski, hat man ein bisschen Angst, dass Ihr Vater eigentlich mit diesem Buch, mit diesem Text, mit diesem Brief, mit diesen Essays auch wieder Kopf und Kragen riskiert. Er greift darin die Mächtigen Russlands wirklich an als demokratischer Patriot. Das sind sehr scharfe Formulierungen zum Teil – riskiert er damit nicht, dass seine Gegner sich wieder etwas ausdenken, um ihn auch über 2016 in Haft zu halten?

Chodorkowski: Ich glaube, es ist das Ziel dieser Regierung, namentlich Putins, des Ministerpräsidenten, meinen Vater so lange wie möglich im Gefängnis zu lassen – möglichst ewig. Und für dieses Ziel ist man sicherlich bereit, auch noch sich verschiedene andere Dinge einfallen zu lassen.

Scholl: Sie, Pavel Chodorkowski, setzen sich vehement für Ihren Vater ein, Sie haben die EU beispielsweise aufgefordert, die Konten der Richter und Ermittler einzufrieren und ihnen die Einreise zu verweigern. Haben Sie auf diese Forderung schon eine Reaktion erhalten?

Chodorkowski: Also, es gab die Initiative dieses (…)-Papiers, das als Gesetzesentwurf in den Vereinigten Staaten inzwischen auch weiterentwickelt wird, wie weit es da in der Europäischen Union steht, weiß ich nicht genau. Ich glaube, da ist es ein bisschen eingefroren, diese ganze Sache. Es ist nicht meine persönliche Initiative, aber ich glaube, in Amerika ist es inzwischen soweit, dass dieser Gesetzesentwurf weiter ausgearbeitet wird und kurz vor der Abstimmung steht.

Scholl: Alle kritisieren das Urteil, bislang scheint konkret noch wenig dagegen getan zu werden. Was glauben Sie, Herr Chodorkowski, würde Ihrem Vater am meisten helfen? Was könnte das Ausland wirklich effektiv tun?

Chodorkowski: Zum einen wäre das ganz elementar, dass jeder vernünftig denkende und gesetzestreue Rechtsstaat erklärt, dass dieses Urteil rechtswidrig ist. Weil das ist eine Grundlage in Verhältnis nicht nur zwischen Menschen, sondern auch zwischen Staaten. Und jeder Staat, der mit Russland zu tun haben will und ein Rechtsstaat ist, müsste das ganz elementar erklären, dass dieses Urteil einfach rechtswidrig ist. Und zum anderen solche Maßnahmen wie einfrieren von Konten, Einreiseverbot, das würde die Beteiligten am Prozess sicherlich sehr empfindlich treffen, und das wäre auch ganz notwendig – eine solche Maßnahme –, um zu zeigen, dass es eben nicht geht, dass man Menschenrechtsverletzungen und Korruption in großem Ausmaße, wie sie hier bei diesem Prozess auch stattgefunden hat, einfach durchgehen lässt, dass diese Leute, die das gemacht haben, dann einfach nach Amerika oder nach Europa reisen können und dort ganz in Ruhe ihr Geld ausgeben. Solche Maßnahmen wären mit Sicherheit sehr, sehr wirksam und notwendig.

Scholl: Wann glauben Sie, werden Sie Ihren Vater wiedersehen, Herr Chodorkowski?

Chodorkowski: Ich sehe zwei Möglichkeiten: Entweder Russland kehrt auf den Weg der demokratischen Entwicklung zurück, dann würde mein Vater auf ganz natürlichem Wege demnächst freikommen. Die zweite Möglichkeit ist, dass es den Machthabern in Russland – dass es für die irgendwie von Vorteil wäre, ihn rauszulassen. Einen anderen Weg sehe ich nicht, weil auf die Justiz zu hoffen, das hat ja jetzt dieses Berufungsverfahren gezeigt, das hat in Russland keinen Sinn.

Scholl: Pavel Chodorkowski, ich danke Ihnen für Ihren Besuch! Und das Buch von Michail Chodorkowski, "Briefe aus dem Gefängnis", erscheint am kommenden Montag im Knaus-Verlag mit 288 Seiten zum Preis von 19 Euro 99. Und das Gespräch mit Pavel Chodorkowski hat Ganna-Maria Braungardt für uns übersetzt. Und wir haben dieses Gespräch gestern aufgezeichnet. Heute haben die USA offiziell gegen die neuerliche Verurteilung von Michail Chodorkowski protestiert.

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