"Er bringt gutes Brot"

Karl-Wilhelm Weeber im Gespräch mit Katrin Heise · 21.09.2009
Auch im alten Rom wurde Wahlkampf betrieben um Beamtenposten. Allerdings gab es keine Parteien, sondern einen reinen Persönlichkeitswahlkampf. Der Kandidat musste vor allem seine Nachbarn als Fürsprecher hinter sich wissen, sagt der Historiker Karl-Wilhelm Weeber.
Katrin Heise: "Helvius Sabinus wird die Stadtkasse schonen", mit diesem Versprechen wurden vor 2000 Jahren im alten Rom die Wähler um ihre Stimme gebeten. Gewählt wurden die Beamten des Römischen Reiches, die Quaestoren, die Aedilen, die Volkstribune. Man könnte von einer Aristokratie, einer Adelsherrschaft mit demokratischen Elementen sprechen. Die Wahlkampfparolen im alten Rom, die untersuchte Karl-Wilhelm Weeber, Professor für alte Geschichte, von ihm stammt das Buch "Wahlkampf im alten Rom", Herr Weeber, ich grüße Sie!

Karl-Wilhelm Weeber: Schönen guten Morgen!

Heise: Wie sah denn dieser Wahlkampf vor 2000 Jahren aus, wer warb da für sich?

Weeber: Es waren Einzelkandidaten, die antraten, die keine Parteien hinter sich hatten. Das ist zunächst mal der wesentliche Unterschied zum modernen Wahlkampf. Auf der anderen Seite kann man sagen, was Sie in Ihrer Anmoderation schon betonten, Händeschütteln gehörte dazu, das heißt, es war ein ganz starker Persönlichkeitswahlkampf mit den entsprechenden, wir würden heute vielleicht sagen, populistischen Elementen.

Heise: Sie sagten, es gab keine Parteien, aber gab es auch keine politischen Lager? Machte da jeder für sich seine Sache?

Weeber: Es gab schon Lager, wenn wir jetzt ins republikanische Rom schauen, also in der Zeit vor der Kaiserschaft des Augustus, da gibt es die Optimaten und die Popularen, die könnte man als Lager bezeichnen. Aber es ist ein großer Unterschied zu den politischen Parteien. Man wusste, welchem Lager - sozusagen eher dem etwas fortschrittlicheren oder dem eher etwas konservativen - ein Kandidat angehörte, das war aber im Grunde schon alles, was man im Wahlkampf über politische Programmatik erfuhr.

Heise: Und war das sowohl in der Stadt Rom so, als auch auf dem Land, oder unterschied sich das ein bisschen?

Weeber: Es unterschied sich dann in Rom, als die Kaiserzeit anbrach und im Prinzip die Wahlen mehr oder minder außer Kraft gesetzt wurden, weil im Grunde der Kaiser bestimmte und im kleinen Kreis das bestimmt wurde, wer Ämter bekleidete. In den ungefähr 2000 Landstädten des Römischen Reiches herrschte kommunale Selbstverwaltung, und dort kam es wirklich dann auch in der Kaiserzeit noch zu einem sehr, sehr lebendigen und authentischen Wahlkampf.

Heise: Haben die so richtig politische Programme, Inhalte gehabt?

Weeber: Das kann man in der Schärfe nicht behaupten. Sie haben zwar vorhin in der Anmoderation auch noch mal gesagt, also, der wird die Stadtkasse schonen. Das ist in der Tat ein inhaltliches Programm, das wir kennen. Das Zweite - dann ist es aber auch mit dem Inhalt schon zu Ende -, da wird von einem gesagt: "Bonum panem fert", er bringt gutes Brot, und das soll so etwas wie Wirtschaftskompetenz offensichtlich zum Ausdruck bringen.

Heise: Wo haben Sie das eigentlich gefunden, diese Wahlkampfparolen, ja, diese Programme im kleinen Sinne?

Weeber: Das Tolle ist, wenn Sie nach Pompeji kommen, kann jeder diese Wahlkampfparolen lesen. Sie sind mit großen Lettern, manchmal bis zu 60 Zentimetern Größe, auf die Wände gepinselt worden, und zwar besonders dort, wo Hauptverkehrsstraßen waren, wo viele Leute unterwegs waren, wo Ladenstraßen waren. Es sind knapp 3000 von diesen sogenannten tituli picti, also gemalten Inschriften, die man bis heute entdeckt hat in Pompeji.

Heise: In Ihrem Buch haben Sie viele dieser Parolen zusammengefasst, ich habe jetzt mal eine rausgesucht, die ich auch sehr lustig finde. "Ballspieler - wählt Aulus Vettius Firmus zum Ädil", das heißt, da waren eigentlich eine ganze Menge Leute beschäftigt, die da irgendwie die Wände vollpinselten und Werbung für ihren Lieblingskandidaten machten?

Weeber: So ist es. Ganz wichtig: Pompeji hatte ja vielleicht so 20.000, 25.000 Einwohner, dass ist also das, was man in der Wissenschaft noch eine face-to-face-society nennt, also eine Gesicht-zu-Gesicht-Gesellschaft. Man traf einander, man kannte einander, man ging über die Straßen und sah sich an, für wen Reklame gemacht wurde.

Und da ist es ganz wichtig, dass eben bestimmte Gruppen, die dem Kandidaten nahestehen und die authentisch über seine Vorzüge Auskunft geben können, für ihn Wahlkampf machen, also insbesondere die Nachbarn. Das ist eine ganz wichtige Gruppe. Wenn sich also so eine nachbarschaftliche Wahlinitiative bildete, dann hieß das: Das ist einer von uns, der ist gewissermaßen sozialverträglich, das ist nicht nur ein vir bonus, ein tüchtiger Mann, wie wir ihn jetzt sozusagen als Politiker vorschlagen, sondern der hat sich im Alltag auch bei uns im Viertel bewährt.

Heise: Das heißt, der ist ganz abgehoben, der weiß nicht mehr, was der Alltag ist: diesen Vorwurf, den gab es damals noch nicht?

Weeber: Überhaupt nicht, im Gegenteil. Der Wahlkampf - sowohl im republikanischen Rom als auch in den kaiserzeitlichen Landstädten, ging ganz klar dahin, dass man sich sehr, sehr deutlich unter das Volk mischte. Ganz wichtig war es, mit einer großen Anhängerschaft auf dem Forum beispielsweise zu erscheinen.

Und wir haben heute ja noch den Begriff des Kadidaten. Das kommt von der auffallenden Kleidung römischer Amtsbewerber, die trugen nämlich die turga candida, die schneeweiße Turga, und das heißt, die fielen schon einfach durch ihre Kleidung auf. Und je mehr man umgeben war, also von Anhängern, von Freunden, je mehr für einen politische Schwergewichte gewissermaßen auch Reklame machten, indem sie sich zusammen zeigten mit einem, umso mehr Würde ging davon aus, und das ist für römische Wähler ein ganz wichtiger Gesichtspunkt.

Heise: Die Würde, Wahlkampf im alten Rom, unser Thema im Radiofeuilleton mit dem Altphilologen und Historiker Karl-Wilhelm Weeber. Herr Weeber, es gab ja auch so eine Art Wahlkampfhandbuch, von Quintus nämlich, dem jüngeren Bruder des berühmten Redners und Politikers Cicero. Was empfiehlt der denn?

Weeber: Im Grunde das, was unsere Kandidaten, wie wir das im Moment erleben, in diesem Wahlkampf besonders tun, nämlich auf Persönlichkeit abstellen, auf Image abstellen und auf keinen Fall konkrete Aussagen zum Wahlprogramm zu tun. Quintus sagt ganz deutlich - wenn er denn der Urheber ist, ganz sicher ist das nicht -, man soll ruhig allen alles in Aussicht stellen, vage bleiben und sich nicht politisch, inhaltlich festlegen. Und gewissermaßen klare Aussagen, klare Ansagen zu tätigen, sei eine Todsünde im Wahlkampf.

Der geht so weit, dass er im Grunde für gnadenlosen Opportunismus plädiert und sagt, du musst dir alle zu Freunden machen, du darfst niemanden verprellen, und sagt an einer Stelle, das eine zeichnet den anständigen Menschen aus, das andere aber den guten Wahlkämpfer.

Heise: Uiuiui. Wurden die Gewählten denn später an ihren Versprechungen gemessen? Ich meine, da hatten sie dann ja viele von getätigt.

Weeber: Ja, sie haben in der Tat meistens gegenüber Einzelpersonen Versprechen gemacht und natürlich wurde das abgerufen. Aber auch darauf geht Quintus ein und sagt, nun ja, wenn du das Versprechen dann nicht erfüllen kannst, wird er sehr zornig sein, dem du das gemacht hast, auf der anderen Seite ist es besser, er ist hinterher zornig, als in dem Moment, wo er dich darum bittest und du es ihm direkt abschlägst.

Heise: Jetzt sagt man ja bei uns immer, wenn die Wählerinteressen am Ende dann, ja, enttäuscht werden beziehungsweise man eigentlich gar nicht weiß, was man da wählt, dann würde das zu um sich greifendem, politischem Desinteresse führen. Das könnte man dann ja schon im alten Rom irgendwie verorten. Jetzt gibt es doch dieses Wort von dem Dichter Juvenal, Brot und Spiele - ist das so ein Ausdruck für um sich greifendes, politisches Desinteresse?

Weeber: Teils, teils. Ich muss bei dem Wort immer darauf hinweisen, es stammt ja von einem Satiriker, das heißt, das ist natürlich ein wahrer Kern, der wird aber satirisch überspitzt und wir würden ja auch das, was Bruno Jonas und andere im Kabarett sagten, nicht sozusagen als Ausdruck von Wirklichkeit interpretieren heute. Er bringt etwas auf den Punkt, das heißt, ich mache dem Wahlvolk Versprechen, ich mache Wohltaten, die stelle ich nicht nur in Aussicht, sondern die muss ich auch erfüllen, zum Teil in Rom schon während des Wahlkampfes, da tobte dann ein riesiger Streit darum, ob das, wenn also etwa ein Kandidat üppige Spiele veranstaltete mit mehreren Dutzend oder sogar Hunderten Gladiatoren, ob das noch ambitio, legitimer Wahlkampf, sei, oder ambitus, das ist die Wahlerschleichung.

Die anderen sagten natürlich, du hast es übertrieben, und das ist im Grunde eine Entmündigung des Volkes. Man muss aber auch darauf hinweisen, dass solche Wohltaten durchaus eine Verpflichtung der Elite darstellten, übrigens auch eben in Pompeji, und dieselben Kolonnen, die diese Wahlkampfparolen auf die Wände aufbrachten, haben dann für Gladiatorenkämpfe, die eben von dem XY ausgerichtet wurden, auch eben in solchen Dipinti Reklame gemacht.

Heise: Und da kam das Geld dann sozusagen auch wieder rein. Vielen Dank, Professor Karl-Wilhelm Weeber, er hat ein kleines Büchlein über den Wahlkampf im alten Rom geschrieben. Herr Weeber, vielen Dank für dieses Gespräch!

Weeber: Ja, bitte schön!