Episodenfilm "Wild Tales"

Explosion der Wut

Romina (Erica Rivas) und Ariel (Diego Gentile) machen gute Miene zum bösen Spiel in einer Szene des Kinofilms "Wild Tales".
Romina (Erica Rivas) und Ariel (Diego Gentile) machen gute Miene zum bösen Spiel in einer Szene des Kinofilms "Wild Tales". © picture alliance / dpa / Prokino Filmverleih
Von Victoria Eglau · 03.01.2015
Bei dem Episodenfilm "Wild Tales" des Argentiniers Damián Szifron hilft es, das Entsetzen wegzulachen: Die Grenzen zwischen Schrecken und Komik sind hier fließend. Vergleiche mit Quentin Tarantino, den Coen-Brüdern und Pedro Almodóvar drängen sich auf.
Eine einsame Landstraße irgendwo in Argentinien, zwei Männer in ihren Autos. Als die Schrottkarre den Luxusschlitten am Überholen hindert, wird der Schnösel am Steuer ausfallend.
"Fahr rüber, du Pfeife. Was ist los mit dir, Mann?"
Was relativ harmlos beginnt, spitzt sich langsam zu.
"Dämlicher Bauer! Arschloch!"
Dem Präludium aus Beleidigungen, bösen Blicken und Stinkefingern folgt ein epischer Kampf am Rande der Landstraße - Auge um Auge, Zahn um Zahn. Die beiden Autofahrer aus unterschiedlichen sozialen Schichten metzeln sich gegenseitig nieder, das Publikum hält den Atem an. Die finale Szene ist so grauslich, dass die einen betroffen schweigen, die anderen hysterisch lachen.
Sex mit dem Koch inklusive
In den wilden Geschichten, die der Argentinier Damián Szifron in seinem Film "Wild Tales – jeder dreht mal durch" erzählt, ist die Grenze zwischen Schrecken und Komik durchlässig. Inhaltlich hängen die sechs Episoden nicht zusammen – Regisseur Szifron erklärt, was sie eint:
"Die Geschichten kamen mir nach und nach in den Sinn, aber es gab zunächst keinen roten Faden. Dann entdeckte ich, dass alle Protagonisten die Sehnsucht nach Befreiung verband. Der sehr menschliche Wunsch, sich gegen Übergriffe zu wehren, man selbst zu sein, sich nicht zu verstellen und den eigenen Gefühlen und Impulsen freien Lauf zu lassen."
"Wie heißt das Mädchen mit den langen Haaren?"
"Welches?"
"Deine Arbeitskollegin."
Ein rauschendes Hochzeitsfest in Buenos Aires. Als die eifersüchtige Braut während der Feier entdeckt, dass ihr frisch Angetrauter sie betrogen hat, gibt es kein Halten mehr. Halb wahnsinnig reißt sie die Festgesellschaft in einen wilden Strudel – Sex mit dem Koch und tätliche Angriffe auf die Nebenbuhlerin inklusive.
Am Ende ist es wie nach einer Naturkatastrophe. Überall Scherben, Sanitäter verarzten Angehörige und die Braut irrt mit wildem Blick über das Schlachtfeld, in das sich der Ballsaal verwandelt hat.
"Mein Film feiert in jeder Einstellung und in jeder Entscheidung seiner Akteure die unbegrenzten Möglichkeiten des Kinos. Die Protagonisten leben all das aus, wovon wir im Alltag nur fantasieren, was wir unterdrücken und nicht in die Tat umsetzen."
Ricardo Darín als entnervter Sprengmeister
Damián Szifrons "Wild Tales", im Originaltitel "Relatos Salvajes", war in Argentinien einer der meistgesehenen Streifen aller Zeiten. Es ist der zweite Spielfilm des talentierten, 39-jährigen Regisseurs, und die Créme de la Créme der argentinischen Schauspielkunst bevölkert die wilden Geschichten – darunter der auch international bekannte Ricardo Darín.
Er verkörpert einen entnervten Sprengmeister, der nach wiederholter Erniedrigung durch den städtischen Abschlepp-Dienst dessen Dienstfahrzeuge in die Luft jagt.
"Wessen Gewalttätigkeit?!! Also, ich beschreibe nur die Realität, wo ist da Gewalt, eh?"
"Ich glaube, der Film ist so ein Publikumserfolg, weil er die Frage des Menschen und seiner Grenzen berührt. In uns allen schlummern doch, jenseits dieser Grenzen, Gewalt und Verrücktheit."
... erklärt die argentinische Psychoanalytikerin Gabriela Insua:
"Das ist ein universelles Thema, aber Wild Tales ist auch ein sehr argentinischer Film. Viele Argentinier sind nervös und gereizt, wegen der verbreiteten Unsicherheit und wirtschaftlicher Probleme. Ein großer Regisseur wirft universelle Fragen auf, doch er bildet auch die eigene Gesellschaft ab. Ich denke, Damián Szifron tut das."
Jede Episode ist ein kleines Meisterwerk
Ur-argentinische Themen wie Klassenunterschiede und Korruption kommen in "Wild Tales" vor, aber man muss zweifellos kein Argentinier sein, um von dem Werk in Bann geschlagen zu werden. Jede Episode ist von der Struktur und der schauspielerischen Leistung her ein kleines Meisterwerk. Hitchcock und Gruselgeschichten hätten ihn beeinflusst, sagt Damían Szifron.
Seinen Film verfolgt man atemlos – zwischendurch hilft es, das Entsetzen wegzulachen. Vergleiche mit Quentin Tarantino, den Coen-Brüdern und Pedro Almodóvar drängen sich auf. Der Spanier ist Ko-Produzent von "Wild Tales".
"Es ist ein Film voll von fürchterlich schwarzem Humor - so muss Humor sein. Nicht nur die Wutausbrüche, die Katharsis der Protagonisten, haben mir gefallen, ich war auch begeistert vom Drehbuch. Es ist sehr selten, ein so wundervolles Drehbuch zu bekommen."