Episodenfilm von Roy Andersson

Kafkaesk und komisch

Jonathan (Holger Andersson, l.) und Sam (Nils Westblom) auf ihrer glücklosen Mission als Vertreter für Scherzartikel in einer Szene des Kinofilms "Eine Taube sitzt auf einem Zweig und denkt über das Leben nach".
Jonathan (Holger Andersson, l.) und Sam (Nils Westblom) auf ihrer glücklosen Mission als Vertreter für Scherzartikel in einer Szene des Kinofilms "Eine Taube sitzt auf einem Zweig und denkt über das Leben nach" © Neue Visionen Filmverleih
Von Wolfgang Martin Hamdorf · 29.12.2014
In Roy Anderssons "Eine Taube sitzt auf einem Zweig und denkt über das Leben nach" ziehen zwei Scherzartikelvertreter erfolglos von Tür zu Tür - und zeigen dem Kinozuschauer das Lächerliche der menschlichen Existenz auf. Der Film wurde in Venedig mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet.
"Seine Majestät der König wünscht ein Lied zu hören. Wird´s bald?!"
"Jawohl Herr Oberstleutnant!"
Ein seltsames Bild: Hoch zu Pferde reitet Karl XII. in einer modernen Bar am Stadtrand von Göteborg ein. Der junge Regent aus dem 18. Jahrhundert trinkt ein Glas Wasser, verliebt sich in einen jungen Kellner und nimmt ihn mit in den Krieg gegen die Russen.
Auch wenn er ein Drittel seines Reiches an die Russen verlor, sei Karl XII., auch der "letzte Wikinger" genannt, ein Idol für schwedische Rechtsradikale, erzählt Regisseur Roy Andersson.
Sein neuster Film "Eine Taube sitzt auf einem Zweig und denkt über das Leben nach" besteht aus 39 Episoden und in einigen von ihnen dringt die Vergangenheit in die Gegenwart ein. Der 71-Jährige ist immer auf der Suche nach neuen Wegen filmischen Erzählens:
"Schon vor einigen Jahren habe ich Abschied vom Realismus und Naturalismus genommen und versuche die menschliche Existenz abstrakter darzustellen und ich bringe sehr gerne die Vergangenheit in unsere Gegenwart, ich liebe diesen klassischen Anachronismus. Dass ich in eine Szene Karl XII. reingesetzt habe, hat viel mit unserem schwedischen Selbstbild zu tun. Ich will natürlich auch hinterfragen, warum dieser König heute noch von manchen für so wichtig gehalten wird, dass er ein Symbol für die Zukunft sein soll. Ich arbeite sehr gerne mit dieser Verschmelzung der Zeiten und werde das in meinen nächsten Filmen weiterentwickeln."
Mit einem Humor an der Grenze zur Verzweiflung
Wie in seinen vorhergegangenen Filmen wirkt die Handlung auch hier auf seltsame Weise entschleunigt, es geht ums Sterben und ums Weiterleben und die einzelnen Episoden entwickeln einen Humor an der Grenze der Verzweiflung, wenn etwa der Sohn der sterbenden Mutter die Tasche mit Schmuck und Geld zu entreißen versucht:
"Man darf in den Himmel keine Taschen mitnehmen Mama."
"Das darf man nun mal nicht, Mama."
"Man darf es nicht!"
"Im Himmel bekommst du ganz sicher neuen Schmuck. In den Himmel kommst du da bestimmt nicht rein!!!"
"Die erlauben dort keine Taschen verstehst du?!?!
Wie ein roter Faden zieht sich ein tragikomisches Duo durch viele der einzelnen Episoden: Sam und Jonathan sind zwei erfolglose Scherzartikelvertreter die von Tür zu Tür ziehen, um ihre Waren anzubieten:
"Und dann hätten wir dann noch den Klassiker. Der Lachsack kommt immer an! Der sorgt auf jeder privaten Feier oder auf Firmenfesten für gute Stimmung."
"Wir möchten den Menschen helfen, Spaß zu haben."
"Mhm."
Bilder, die an Otto Dix oder Edward Hopper erinnern
Der Lachsack, die Vampirzähne und die Gruselmaske bringen niemand mehr zum Lachen, aber Sam und Jonathan erleben mit stoischer Geduld ein eigenartiges Universum: Sie sind zufällig in der Bar, die Karl XII. in Beschlag nimmt und treffen in anderen Episoden auf zahlreiche weitere skurrile Gestalten: einen Ex-Kapitän, der sich ohne rechtes Können als Friseur versucht, eine Flamenco-Tänzerin, die ihrem Schüler nachstellt oder eine hinkende Wirtin, die sich den Schnaps von den mittellosen Soldaten und Matrosen durch einen Kuss bezahlen lässt.
In den Episoden spiegelt sich für den Regisseur auch das Lächerliche der menschlichen Existenz:
"Humor ist eine Frage des Wiedererkennens und das Wichtigste ist dabei, das du dich in der anderen Figur selbst wiedererkennst. Ja."
Jede der 39 Episoden wirkt wie ein freistehendes Gemälde, denn die Handlung wird immer von einer statischen Kamera in der Totale festgehalten. In von ausgewaschenen Grau und Brauntönen geprägten Hintergründen agieren eigenartige bleiche Menschen zurückhaltend und doch zwanghaft und oft fühlt man sich an Werke von Otto Dix oder Edward Hopper erinnert.
"Eine Taube sitzt auf einem Zweig und denkt über das Leben nach" beeindruckt durch eine ganz konsequente filmästhetische Umsetzung. Aber ebenso durch seinen ganz eigenen Humor, durch seine rätselhafte, ebenso kafkaeske, wie komische Erzählweise, die so wenig mit dem psychologischen Realismus und dem permanenten Erklärungsnotstand konventioneller Mainstream- oder Arthouse-Produktionen zu tun hat.
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