Enwicklungshilfe gegen Flüchtlingsbewegungen

"Letzten Endes ist das Augenwischerei"

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Axel Dreher, Professor für Internationale Wirtschafts- und Entwicklungspolitik an der Universität Heidelberg © picture alliance / dpa
Axel Dreher im Gespräch mit Nana Brink · 11.09.2015
Mehr Entwicklungshilfe gleich weniger Flüchtlinge? Diese Rechnung geht nach Ansicht Axel Drehers nicht auf. So hätte die Flucht vieler Syrer mit geostrategischen Fehlern zu tun. "Das ist ja nichts, was man mit Entwicklungshilfe hätte bekämpfen können."
"Wir müssen die Bedingungen in den Herkunftsländern verbessern, damit die Menschen gar nicht erst fliehen wollen" - ein politischer Standardsatz in der aktuellen Debatte. Nach Ansicht des Entwicklungsökonomen Axel Dreher (Uni Heidelberg) taugt Entwicklungshilfe jedoch nur sehr bedingt dazu, Fluchtbewegungen zu verhindern.
"Letzten Endes ist das Augenwischerei", sagt Dreher. Dass so viele Flüchtlinge aus Syrien kommen, habe etwas mit "geostrategischen Fehlern" zu tun, auch mit der Politik der USA und anderer. "Das ist ja nichts, was man mit Entwicklungshilfe hätte bekämpfen können", so der Wirtschaftswissenschaftler. "Wenn man mehr Entwicklungshilfe gegeben hätte - an wen denn? An Assad?"
Letztlich geht es den Helfern vor allem darum, beim Helfen gesehen zu werden
Auch im Fall von politisch stabileren Ländern ist Dreher zufolge mit Entwicklungshilfe in ihrer derzeitigen Form wenig zu erreichen: Jedes Geberland finanziere viele kleine Projekte in den Empfängerländern, hinzu kämen hunderte von Nichtregierungsorganisationen. "Die trampeln sich da gegenseitig auf den Füßen rum, versuchen da alle, Projekte zu identifizieren, mit denen sie dann im Heimatland möglichst gut dastehen, die heimische Industrie fördern können, in den Medien gut dastehen." Letztlich gehe es darum, beim Helfen gesehen zu werden: "Es geht darum zu zeigen, Deutschland tut was."
Viel besser wäre es, Entwicklungshilfe über multilaterale Organisationen zu leisten oder zumindest bei Ländern mit "einigermaßen guter Regierungsführung" das Geld an die dortige Regierung zu geben und diese entscheiden zu lassen, was damit passiert, sagt Dreher. Nothilfe hingegen müsse in jedem Land geleistet werden, "weil sie Menschen in so einer Katastrophe nicht alleine lassen können".

Das Interview im Wortlaut:
Nana Brink: Die Kanzlerin hatte es angekündigt Anfang der Woche und sie findet Unterstützung in allen politischen Lagern: Es soll mehr Geld geben für die Länder, aus denen die Menschen derzeit nach Europa fliehen, um die Situation in ihrer Heimat zu verändern. Nun mag man das in Syrien derzeit für unmöglich halten, aber in vielen afrikanischen Ländern sieht das durchaus anders aus. Allein 8,8 Milliarden Euro an Entwicklungshilfe hat allein Deutschland 2014 aufgewendet und, wenn auch nicht in dieser Höhe, fließt doch seit 50 Jahren viel Geld in die Entwicklungshilfe. Angesichts der Flüchtlingsbewegung, die noch nie so groß war seit Ende des Zweiten Weltkrieges – 60 Millionen Menschen sind ja auf der Flucht – kann man sich schon fragen, was hat das gebracht. Axel Dreher ist Professor für internationale Wirtschafts- und Entwicklungspolitik an der Uni Heidelberg und einer der führenden deutschen Entwicklungsökonomen. Ich grüße Sie, guten Morgen!
Axel Dreher: Guten Morgen!
Brink: Sie haben kürzlich gesagt, es gibt mehr als 200 Studien zu dem Thema, aber robuste empirische Beweise dafür, dass Entwicklungshilfe das Wirtschaftswachstum nachhaltig fördert, die gibt es nicht. Also rausgeschmissenes Geld?
Dreher: Das kann man so nicht sagen. Sie brauchen hier genaue Daten über die Höhe der Entwicklungshilfe, wann die ausgezahlt wurden, in einem bestimmten Jahr, über die Höhe des BIP-Wachstums, über Armutsdaten und so weiter.
Entwicklungshilfe hat häufig ökonomische und politische Motive
Brink: Also das Bruttosozialprodukt.
Dreher: Genau. Und unter 30 Jahren können Sie da nicht viel machen. Der zweite Punkt, der hier wichtig ist, ist dieses ganze allgemeine Missverständnis, dass Entwicklungshilfe im Wesentlichen gegeben wird, um das Wirtschaftswachstum zu erhöhen. Das ist natürlich nicht der Fall. 20 bis 30 Prozent, die gehen an Katastrophenhilfe. Dann bleibt ein ordentlicher Teil der Entwicklungshilfe im Geberland, in unserem Fall bleibt viel davon in Deutschland, das geht an Experten in Deutschland, dafür dass sie Studien schreiben, es geht beispielsweise auch an Studenten. Aber das lässt auch außen vor, dass viele Motive ja kommerzielle und politische sind.
Brink: Wir diskutieren das ja jetzt vor dem Hintergrund auch der Flüchtlinge, die zu uns kommen. Ist dann denn Entwicklungshilfe – so wird ja immer argumentiert, man will die Ursachen in den Ländern bekämpfen, die Grundlagen dort verbessern –, ist dann Entwicklungshilfe kein geeigneter Weg eigentlich, um diese Fluchtursachen zu bekämpfen?
Dreher: Entwicklungshilfe könnte vielleicht ein geeigneter Weg sein, aber letzten Endes ist das Augenwischerei. Jetzt schauen wir uns doch mal an, was hier passiert: Ein großer Teil der Flüchtlinge, die kommen aus Syrien – das hat was mit geostrategischen Fehlern zu tun, auch Politik der USA und andere. Das ist ja nichts, was man mit Entwicklungshilfe hätte bekämpfen können. Wenn man mehr Entwicklungshilfe gegeben hätte, an wen denn, an Assad?
Die Helfer trampeln sich gegenseitig auf den Füßen herum
Aber schauen Sie sich mal an, was in Ländern mit einigermaßen funktionierenden Regierungssystemen in den einzelnen Sektoren passiert: Der Bildungssektor, Gesundheitssektor, da haben Sie 20, 30 verschiedene offizielle Geber, dazu kommen hunderte von Nichtregierungsorganisationen, die trampeln sich da gegenseitig auf den Füßen rum, versuchen da alle, Projekte zu identifizieren, mit denen sie dann im Heimatland möglichst gut dastehen, die heimische Industrie fördern können, in den Medien gut dastehen. Es ist doch überhaupt nicht einzusehen, warum jedes Geberland viele kleine Projekte in den Empfängerländern finanzieren muss. Warum kann man das nicht über multilaterale Organisationen machen? Aber ...
Brink: Dazu müsste es aber einen politischen – Entschuldigung –, dazu müsste es einen politischen Willen geben, nicht? Den kann ich nicht erkennen.
Dreher: Genau, den gibt es nicht und den gibt es deswegen nicht, weil es im Wesentlichen darum geht, hier gesehen zu werden beim Helfen. Es geht darum, zu zeigen, Deutschland tut was, Dankbarkeit zu erzeugen, politisch auf der einen Seite, aber auch bei den Menschen eine gewisse Affinität zu Deutschland zu schaffen. Es geht natürlich auch darum, zu helfen – ich möchte hier nicht zu zynisch sein –, aber man will dabei gesehen werden. Viel besser wäre, statt dieser vielen kleinen Projekte zumindest in den Ländern mit einer einigermaßen guten Regierungsführung, das Geld an die Regierung zu geben und die Regierung entscheiden zu lassen, was damit passiert, statt über viele Mitarbeiter der deutschen Entwicklungsindustrie – ein bisschen böse ausgedrückt –, hier auch deutsche Interessen zu fördern.
Katastrophenhilfe muss unabhängig vom politischen System geleistet werden
Brink: Da würde der Entwicklungsminister Gerd Müller, der ja sehr Afrika-affin ist und das Land und den Kontinent oft bereist, wahrscheinlich jetzt irgendwie aufschreien und Ihnen lautstark widersprechen. Wenn ich das zusammenfasse, was Sie sagen – Konzentration, Vergabe an internationale Organisationen und auch Entwicklungshilfe knüpfen an Bedingungen in den Ländern?
Dreher: Bedingungen ja, aber keine detaillierten Bedingungen. Ich bin für sehr wenige Grundbedingungen, die dazu führen sollten, ob man überhaupt diese Art der Entwicklungshilfe bekommt. Ich würde zwei Arten von Entwicklungshilfe unterscheiden: Die eine, die auf Armutsreduktion und Wachstum abzielt, und die andere, die tatsächlich dazu dient, Katastrophenhilfe zu leisten. Ich glaube, das muss man in jedem Land tun, unabhängig vom politischen System, wo Sie Menschen in so einer Katastrophe nicht alleine lassen können.
Andererseits, der größere Teil der Hilfe, der darauf abzielt, Wachstum zu fördern, das funktioniert nur unter bestimmten Bedingungen. Wenn Sie sehr korrupte Regierungen haben, wenn Menschenrechte nicht geachtet werden, es kein Mindestmaß an Demokratie gibt, das wären Länder, denen würde ich keine Entwicklungshilfe in diesem Sinne geben, denn das hat natürlich auch Nebeneffekte. Es führt langfristig dazu, dass Diktatoren an der Macht gehalten werden, viele Diktatoren heute sind ja mit westlicher Hilfe gestützt worden – nicht nur, aber auch mit Entwicklungshilfe, mit Waffenverkäufen, mit politischer Unterstützung, noch zur Zeit des Kalten Krieges, aber auch darüber hinaus. Das wären Länder, die würde ich überhaupt nicht unterstützen.
Insofern: ja, eine Knüpfung an wenige Grundbedingungen, wie eben die Achtung der Demokratie und der Herrschaft des Gesetzes, dann würde ich aber die Regierungen selbst entscheiden lassen, wie sie diese Hilfen am besten einsetzen. Was noch wichtig wäre hier, ist, dass diese Hilfen über einen längeren Zeitraum fest zugesagt sind. Die Schwankungen von Jahr zu Jahr, das ist eins der großen Probleme, denen sich diese Länder ausgesetzt sehen, und noch dazu, wenn sie sich entwickeln, dann wird die Entwicklungshilfe in Zukunft reduziert. Das schafft negative Anreize. Da würde ich feste Zusagen geben über die nächsten 20 bis 30 Jahre und die dann, geknüpft an diese wenigen Bedingungen, langsam über diese 20 bis 30 Jahre reduzieren.
Brink: Axel Dreher, einer der führenden deutschen Entwicklungsökonomen. Vielen Dank, Herr Dreher, für das Gespräch!
Dreher: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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