Entzug der Intendanz "ist eine politische Entscheidung"

Moderation: Katrin Heise · 05.07.2013
Fünf Jahre lang leitete Robert Alföldi das Nationaltheater in Budapest - mit Erfolg. Dennoch wurde sein Vertrag von Ungarns rechter Regierung unter Viktor Orbán nicht verlängert. Der Entschluss sei politisch motiviert, sagt Alföldi. Ihm werde vorgeworfen, er betreibe Verrat am Ungarntum.
Katrin Heise: Dass der Wechsel auf dem Intendantenposten am Theater seit Monaten für Gesprächsstoff sorgte, dass sämtliche Vorstellungen an diesem Theater ausverkauft, gar überfüllt waren, dass dann die letzte Vorstellung beziehungsweise die Verabschiedung des einen von Tausenden von Menschen auf Videoleinwänden verfolgt wurde - das zeigt nicht nur größte Sympathie für den scheidenden Intendanten und seine Leistung, das hat, weil es in Ungarn geschieht, auch eine politische Aussage.

Der, der da verabschiedet wurde, ist Róbert Alföldi. Sein Vertrag wurde am Budapester Nationaltheater nicht verlängert, und da liegt der Gedanke nahe, dass die rechtsnationale Regierung Viktor Orbáns sich einen unliebsamen Kritiker vom Hals schaffen wollte. Ich freue mich sehr, dass ich die Gelegenheit hatte, mit Róbert Alföldi zu sprechen! Ein nicht verlängerter Vertrag ist im Kulturleben ja eigentlich eine Normalität, ich fragte ihn deshalb, ob er sich aber politisch ausgebootet fühlte?

Róbert Alföldi: Natürlich ist es auch so, dass mein Vertrag nicht verlängert worden ist, ich habe mich aber neu beworben. Und diese Kommission, die darüber entschieden hat, wer mein Nachfolger wird, hat eben nicht wirklich demokratisch entschieden, sondern es war praktisch schon eine ausgemachte Sache, wer mein Nachfolger werden wird. Und ich habe 30 verschiedene Inszenierungen gemacht in meiner Zeit, die wirklich ausverkauft waren und die sich mit gesellschaftlichen Fragen beschäftigt haben, nicht nur mit politischen. Natürlich hatte das eine politische Dimension, aber in der über 100 Jahre alten Geschichte des ungarischen Nationaltheaters ist es noch nie passiert, dass alle 30 Inszenierungen, wie gesagt, ausverkauft worden sind, alle abgesetzt worden sind, nachdem man mich abgesetzt hatte. Und um Ihre Frage kurz zu beantworten: Ja, es ist eine politische Entscheidung.

Und wenn ich das vielleicht noch kurz hinzufügen darf: Wir haben unglaublich erfolgreich gearbeitet hier, nicht nur in den vergangenen sechs Monaten, sondern in den gesamten vier Jahren. Die meisten Vorstellungen waren ausverkauft, wir waren sehr, sehr populär, und das Interessante ist: Über die Hälfte unseres Publikums war unter 25 Jahre alt! Es hat hier in den letzten Monaten wirklich so eine Stimmung von Freiheit geherrscht, das ist etwas ganz Besonderes gewesen!

Heise: Sie waren ja auch angetreten, Theater zu machen eben gerade – was Sie dann ja offenbar auch geschafft haben – nicht für Minderheiten, sondern es ist Ihnen gelungen, und das war auch Ihr Anspruch, Massen ins Theater zu ziehen, also damit dann ja auch durchaus konservative Wähler ins Theater zu ziehen. Wie haben Sie das eigentlich geschafft, diese Integration?

Alföldi: Das Wichtigste war wirklich, dass wir jenseits sämtlichen politischen Drucks, den man versucht hat auf uns auszuüben, uns ganz aktuelle Fragen gestellt haben, ganz zeitgenössische Fragen auch in unserer Arbeit, auch in den Inszenierungen. Da ging es in erster Linie nicht darum, eine politische Aussage zu machen, sondern einfach unsere Arbeit zu machen und der ungarischen Gesellschaft aber einen Spiegel vorzuhalten. Und wir leben jetzt in dieser wirklich absurden Situation, dass Ungarn wirklich zweigeteilt ist, die Bürger zweigeteilt sind. Ich bin aber der Meinung, man muss sich eben mit seiner Geschichte auseinandersetzen, man muss sich mit seinen Fehlern auseinandersetzen, das, was falsch gelaufen ist, auch woran man gescheitert ist. Und man soll sich nicht nur auf den Schmerz fokussieren.

Wir haben wirklich versucht, hier ein lügenfreies Theater zu machen, Probleme aufzugreifen. Und das halte ich auch für absolut notwendig, dass man der Gesellschaft diesen Spiegel vorhält. Und natürlich, diese Fragen bewegen alle, natürlich auch die rechtskonservativen Wähler, nicht nur irgendwelche liberalen Wähler, das geht ja alle an. Und wir haben natürlich keinesfalls versucht, ein Theater zu machen, was irgendeine Parteizugehörigkeit in den Vordergrund stellt, das war natürlich keinesfalls unsere Absicht.

Heise: Man hatte sich ja auch, nachdem man Sie eben nicht weiterbeschäftigen wollte, man hatte sich ja wohl auch bemüht, Ihnen ein anderes Theater anzubieten. Aus organisatorischen Gründen, wie man ja gehört hat, kam das nicht zustande. Also hatten Sie doch durchaus auch Fans, sage ich mal, und vor allem auch Unterstützer auf konservativer Seite, oder?

Alföldi: Also, es ist natürlich so, dass diese Politiker, wenn sie praktisch privat da waren, ganz anders mit mir geredet haben, als wenn sie in offizieller Funktion über meine Theaterarbeit gesprochen haben. Und es stimmt, es gab gewisse Absichten, eventuell einen anderen Theaterposten, zum Beispiel beim Uj Szinház, beim Neuen Theater zu geben. Aber ich halte das für Augenauswischerei, das war nicht wirklich gewollt, das war vielleicht die Idee eines einzelnen Politikers hier und da, aber einen wirklichen Willen hat es da nicht gegeben.

Heise: Wie hat sich denn – Sie haben davon gesprochen, von dem Druck, der auf Ihre Arbeit ausgeübt wurde –, wie hat sich das tatsächlich ja dargestellt? Sind Sie richtig zensiert worden, gab es Spielverbote, gab es Anweisungen von oben? Man liest und hört ja doch so einiges in Richtung Zensur aus Ungarn!

Alföldi: Nein. Also, es hat wirklich überhaupt keine Zensur gegeben, das ist ganz wichtig, dass ich das betone. Allerdings war ich mehrere Male, oder waren meine Inszenierungen mehrere Male wirklich ein Thema im ungarischen Parlament in den vergangenen anderthalb Jahren. Man hat mich dort immer wieder an den Pranger gestellt, mir wurden diverse Dinge vorgeworfen, ich sei für das Ungarntum ein Verräter, ich würde nur perverse Dinge darstellen auf dem Theater, meine Stücke seien viel zu pessimistisch, meine Inszenierungen. Und da hat es immer wieder in den letzten anderthalb Jahren, vor allen Dingen von sehr rechtsgerichteten Politikern, Angriffe auf mich gegeben.

Was man getan hat, ist, man hat dem Theater etwa die Hälfte der Subventionen entzogen, das hat man versucht, und es ist immer wieder kritisiert worden, ich würde mich der westlichen Dekadenz verschreiben und diese Inszenierungen würden überhaupt nicht das Ungarntum in den Vordergrund rücken und auch die positiven Entwicklungen im Ungarntum, sondern ich sei einfach zu pessimistisch.

Heise: Wenn man so was erlebt, Herr Alföldi, wo auch das ganze Theater in Gefahr zu geraten scheint, also finanzieller Art, stellt sich da so was ein wie eine Schere im Kopf, haben Sie so was bei sich festgestellt, dass Sie da schon bestimmte Sachen dann nicht mehr machen wollten oder vorsichtiger geworden sind?

Alföldi: Nein, also überhaupt nicht! Weil ich habe ja auch so viel Unterstützung erfahren auf der anderen Seite, vom Publikum, was wirklich mitgemacht hat bei unseren Inszenierungen, dass mich das überhaupt davon abgehalten hat, auch nur einen Gedanken an Selbstzensur zu verschwenden. Ganz im Gegenteil, es hat mich darin bestärkt, meinen Weg eigentlich weiterzugehen, versuchen, auf diesem Weg etwas zu erreichen!

Und wenn ich das noch hinzufügen darf: Es konnte ja nun auch wirklich nichts Schlimmeres mehr passieren. Ich habe auch wirklich keine Angst mehr gehabt, was hätte noch Schlimmeres geschehen können? Und dann kommt noch hinzu, ich bin 1967 geboren, ich kann schon sagen, dass ich hauptsächlich in der Freiheit aufgewachsen bin, und in meiner Genetik gibt es keinen Code für Selbstzensur, damit bin ich einfach nicht ausgestattet. Ich sage immer das, was ich denke, das, was ich fühle, so funktioniere ich. Und ich lebe eigentlich auch in einem Land, wo das bisher immer möglich war!

Heise: Im Deutschlandradio Kultur hören Sie Róbert Alföldi, der gerade abgelöste Intendant des Budapester Nationaltheaters, der, wie er sagt, gesellschaftliche Fragen in den Vordergrund seines Tuns, seines Theaterplans gesetzt hat. Herr Alföldi, lesen, hören die Menschen eigentlich inzwischen, die Ungarn vor allem, auch zwischen den Zeilen, ist das schon notwendig? Sodass zum Beispiel ein "Mephisto" Ihrer Abschlussvorstellung, obwohl vielleicht gar nicht von Ihnen so geplant, plötzlich zur Parabel auf Ungarn wird, oder dass ein Satz aus Tschechows "Drei Schwestern" – "Der Herbst ist vorbei, jetzt kommt der Winter." –, dass so ein Satz den Zuschauern inzwischen Schauer über den Rücken jagt, weil sie ihre eigene Situation beschrieben sehen?

Alföldi: Das ist sehr interessant, dass Sie hier die Inszenierung der "Drei Schwestern" erwähnen, weil wir haben dieses Stück drei Jahre lang gespielt und ich bin in dieser Inszenierung übrigens, die von einem anderen Regisseur stammt, spiele ich als Schauspieler mit, ich spiele den Werschinin, der ja eigentlich das Schöne im Leben versucht, immer zu suchen. Und ehrlich gesagt, innerhalb dieser drei Jahre, wo wir dieses Stück gespielt haben, hat sich die Bedeutung der Worte wirklich auch verändert. Sie haben eine ganz andere Bedeutung erlangt innerhalb dieser drei Jahre, und das ist schon ein sehr interessantes Phänomen.

Heise: Ist es vielleicht auf der anderen Seite auch so, dass von konservativer Seite geforderte Inhalte, also das Ungarn-Spezifische, das Volkstümliche, dass das das Publikum eigentlich nicht wirklich interessiert, sondern eigentlich nur gefordert ist, gewünscht ist, um da so eine, ja, so ein Gefühl anzutriggern, dass man also tatsächlich da nur das einsetzen will, um politische Ziele durchzusetzen?

Alföldi: Ich glaube, was die Zuschauer interessiert, ist eine Wahrhaftigkeit. Und wenn diese Wahrhaftigkeit gegeben ist, dann kann da auch eine konservative Grundhaltung dahinterstehen, auch etwas Folkloristisches. Wichtig ist, dass es wahr wirkt. Und das wollen die Zuschauer sehen. Die Zuschauer wollen keine Propaganda sehen, jedenfalls die normalen Theaterzuschauer. Ich rede jetzt nicht von den Zuschauern, die sozusagen aus politischen Gründen ins Theater gehen.

Heise: Wie sehen Sie Ihre eigene Zukunft? Haben Sie eine Möglichkeit, weiter in Ungarn zu arbeiten? Aus dem Ausland gab es ja doch relativ viele Angebote für Sie!

Alföldi: Es gab auch aus Ungarn sehr, sehr viele Angebote, was mich sehr gefreut hat. Das werde ich jetzt alles sorgfältig auswählen. Ich habe Angebote aus Deutschland, aus Österreich, aus Island, aber eben auch viele aus Budapest, was, ich glaube, ein sehr, sehr gutes Zeichen ist. Ich werde mich jetzt also auf eine Wanderschaft begeben als Regisseur!

Heise: Das sagt Róbert Alföldi, ehemaliger Intendant des Budapester Nationaltheaters. Er sprach hier von seinen Erfahrungen der Theaterarbeit in Ungarn unter dem rechtskonservativen Viktor Orbán. Bei der Übersetzung half uns Jörg Taschmann!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.


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