Entwicklungspsychologie

Babys sind kleine Moralapostel

Ein kleines Kind spielt mit einer Rassel aus bunten Holzkugeln.
Kleinkinder sind hilfsbereit, trösten und teilen, aber nur mit Kindern und Erwachsenen, die sie kennen. © picture-alliance / dpa / Matheisl
Von Volkart Wildermuth  · 08.06.2015
Haben Babys einen Sinn für Moral? Ja, sagt der Entwicklungspsychologe Paul Bloom und stellt sich in seinem Buch "Jedes Kind kennt Gut und Böse" gegen die gängige Meinung, dass Babys moralisches Handeln nicht nachvollziehen können.
Blooms zahlreichen Versuche mit nur wenige Monate alten Versuchspersonen zeigen etwas anderes. Da müht sich zum Beispiel ein Quadrat, eine Steigung hinaufzukommen. Ein Dreieck schiebt von hinten, hilft also, während sich ein Kreis in den Weg stellt und die Rolle des Bösewichts übernimmt. Wenn sich später das Quadrat dem Kreis statt dem Dreieck nähert, gucken die Babys länger hin und zeigen sich irritiert.
Aus einer ganzen Reihe ähnlicher Experimente schließt Paul Bloom: Schon drei Monate alte Babys können zwischen gutem und bösem Verhalten unterscheiden. Sie hätten einen Sinn für Moral und sie zeigen Mitgefühl; sie weinen, wenn andere weinen. Schon Kleinkinder verteilen Bonbons gerecht und sie erwarten, dass Missetäter bestraft werden.
All dies, so Paul Bloom, belege, dass der Sinn für Gut und Böse angeboren sei. Allerdings nur als Keimzelle des Gewissens. Empathie zum Beispiel sei noch kein echtes Mitgefühl. Wenn das Leiden anderer auf die eigene Stimmung schlägt, könnte man sich auch wegdrehen, anstatt zu helfen. Es sind Widersprüche wie diese, denen Paul Bloom nachgeht. Er hat kein Wohlfühlbuch geschrieben, das einen geradlinigen Weg vom Moralsinn des Babys hin zu einem Immanuel Kant oder John Stuart Mill aufzeigt.
Denn trotz ihrer biologischen Basis sei Moral keine Selbstverständlichkeit, betont der Psychologe. Kleinkinder sind durchaus hilfsbereit, sie trösten und teilen, aber nur mit Kindern und Erwachsenen, die sie kennen. Fremden stehen sie zunächst ablehnend gegenüber. Erst das Vorbild der Eltern und später das der Gemeinschaft führe zur Orientierung des moralischen Kompasses.
Babys und Kleinkinder beachten die Hautfarbe nicht
Beispiel Rassismus: Babys und Kleinkinder beachten die Hautfarbe ihres Gegenübers zunächst nicht. Wachsen sie aber in einer rein weißen oder rein farbigen Umgebung auf, wird die jeweils andere Hautfarbe als fremd erlebt, was im Schulalter zu einer unwillkürlichen Ablehnung führe. Solche Abgrenzungen seien evolutionär bedingt, das Fremde, Andere war oft auch das Gefährliche. Trotzdem ist Rassismus heute in den meisten Gesellschaften, zumindest offiziell, nicht länger akzeptiert. Das sei eine Leistung der Aufklärung und damit des Verstandes, so Bloom.

Im Schlusskapitel setzt er sich mit verschiedenen aktuellen Diskussionen auseinander: Dabei verwirft er Religion als Quelle der Moral, kritisiert die Philosophie als zu lebensfern und wirft der Psychologie vor, sich zu sehr auf die Gefühle hinter der Moral zu konzentrieren, die eben nicht automatisch zu gutem Handeln führten.
Moral lasse sich nicht einfach erklären, so sein Fazit. Sicher sei nur, den Sinn für Gut und Böse brächten schon Babys mit, aber nur wenn er in der Gemeinschaft gehegt werde, könne moralisches Handeln entstehen.

Paul Bloom: Jedes Kind kennt Gut und Böse - Wie das Gewissen entsteht
Pattloch Verlag, München 2014
304 Seiten, 19,99 Euro

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