Entwicklung von Antibiotika

Das Labor auf der Wiese

Regenbogen über einer Wiese, aufgenommen am 22.05.2011.
Ein US-amerikanischer Forscher untersucht Mikroben dort, wo sie leben: auf der Wiese. © picture alliance/dpa-Zentralbild / Matthias Tödt
Von Volkart Wildermuth · 15.01.2015
Bei der Suche nach neuen Antibiotika müssen Wissenschaftler trickreich sein. Weil sich die meisten Mirkoorganismen nicht im Labor züchten lassen, müssen sie ihre Forschungen an den Lebensort der Tiere verlagern. Die Methode zeigt Erfolge.
Eine Wiese – Jagdrevier für Antibiotikaforscher. Sie legen es nicht auf die Schafe an, die hier blöken. Sie interessieren sich für die Pilze und Bakterien in der feuchten Erde unterm Gras. Wer Mikroorganismen bekämpfen will, muss zuerst Mikroorganismen züchten. Denn die versuchen in einer Art chemischer Kriegsführung, die Konkurrenz in Schach zu halten und produzieren dabei Wirkstoffe, die der Mensch für die Medizin nutzen kann.
Nur ein Prozent der Mikroben kann im Labor gezüchtet werden
Allerdings kommen die Forscher häufig mit leeren Händen von der Mikroben-Pirsch zurück. Das heißt, in den Proben aus dem Erdreich wimmelt es nur so von Leben. DNA Tests belegen, da gibt es Milliarden von Zellen und unbekannte Arte noch und noch. Aber die allermeisten verweigern sich der Wissenschaft.
Kim Lewisvon: "Die meisten Antibiotika in der Apotheke kommen zwar letztlich aus der Erde, aber nur etwa ein Prozent der Mikroben lässt sich im Labor züchten."
99 Prozent schmecken weder Agar- noch Nährmedium in den Petrischalen und damit kommen die Forscher an ein riesiges Reservoir an Antibiotika schlicht nicht heran. Aber, so dachte sich Kim Lewis von der Northeastern University in Boston, wenn die Mikrobe nichts ins Labor kommen will, dann muss das Labor eben zur Mikrobe kommen. Im Eisenwarengeschäft kaufte er eine Metallplatte und bohrte zusammen mit seinen Kollegen viele kleine Löcher hinein.
Metallplatte mit durchnässter Erde in den Boden eingesetzt
Dann ging es hinaus auf eine feuchte Wiese in Maine, der Spaten wurde angesetzt und ein Becher Erde geborgen, mit samt dem dazugehörigen Mikroökosystem. Doch die Erde kam nicht ins Labor, sie wurde aufgeschlämmt, mit viel Wasser verdünnt und dann kam die Pampe Tropfen für Tropen in die Lochplatte. Die Löcher wurden mit einer Folie abgedeckt, die die Mikroben gefangen hält, aber die Nährstoffe durchlässt. Sozusagen eine Art "offener Vollzug" für Mikroorganismen. Den steckte Kim Lewis am Ende einfach wieder zurück in den Boden.
"Wir haben die Bakterien ausgetrickst. Sie merken gar nicht, dass etwas passiert ist, sie wachsen und bilden Kolonien. Denn im Grunde leben sie ja immer noch in ihrer natürlichen Umgebung, nur jetzt unter der Kontrolle von uns Forschern."
Nach zwei Wochen kam Kim Lewis zurück auf die Wiese und zog die Metallplatte samt den Bakterienkolonien in den Löchern aus dem Boden. Jetzt mussten die Mikroben dann doch ins Labor. Dort zeigte sich, dass sich so nicht nur ein mageres Prozent, sondern die Hälfte aller Bodenorganismen vermehren lässt. Und diese Hälfte kennt Tricks, von denen die Forscher nichts geahnt hatten.
Durch Züchtung im Freien 25 neue Wirkstoffe entdeckt
Als sie den Krankenhauskeim Staphylococcus aureus auf die Lochplatte strichen, wollte der an manchen Stelle einfach nicht wachsen. Die Mikroben im Loch darunter produzierten offenbar ein Antibiotikum. 25 neue Wirkstoffe hat Kim Lewis so identifiziert. Einen davon taufte er Teixobactin.
"Dieser Stoff tötet Bakterien ganz hervorragend, er kann eine Infektion schnell beenden."
Im Tiermodell hemmt Teixobactin das Wachstum einer ganzen Reihe anderer Bakterien, darunter viele, die den Ärzten Probleme bereiten, wie das Tuberkelbazillus, Clostridien oder auch Anthrax. Besser noch, diese Keime scheinen keine Resistenz gegen Teixobactin zu entwickeln. Der Grund: Die Substanz zielt nicht auf die recht wandelbaren Proteine der Bakterien, sondern auf die Baumaterialien in ihrer Zellwand, und für die gibt es wenig Alternativen.
Teixobactin ist also vielversprechend, aber noch lange kein Medikament, erst müssen Wirkungen und Nebenwirkungen genau charakterisiert werden.
"Die Entdeckung von Texiobactin zeigt, dass bisher nicht vermehrbare Bakterien eine vielversprechende Quelle für Antibiotika darstellen und das könnte die Suche nach Antibiotika wiederbeleben"

Die Mikrobenzucht vor Ort zeigt den Forschern ganz neue Wirkstoffwelten in ihrem alten Jagdgrund unter dem grünen Gras.
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