Entsetzen über den Verfassungsschutz

Von Esther Dischereit · 19.04.2013
Die Thüringer Landtagsabgeordnete Katharina König wurde vor 20 Jahren zum ersten Mal von Neonazis zusammengeschlagen. Ein linkes Feindbild zu pflegen und den Rechtsextremismus zu ignorieren, sei bei den Behörden ihrer Heimatstadt Jena lange Zeit Standard gewesen, beklagt sie.
Katharina König ist Politikerin. Ihre Auseinandersetzung mit der Neonazi-Szene in Jena, wo sie geboren und aufgewachsen ist, geht zurück bis in die neunziger Jahre. Sie spielt bei der Aufklärung darüber, wie es dazu kommen konnte, dass das Terror-Trio Mundlos, Böhnhardt, Zschäpe entkommen und untertauchen konnte, im Thüringer Untersuchungsausschuss eine wichtige Rolle.

"Ich bin mit 14 oder knapp 15 - Anfang 93 - das erste Mal zusammengeschlagen worden von Neonazis und danach war eigentlich klar: Man muss sich damit beschäftigen. Das war erst mal eine reine Schutzfunktion."

Darüber ist sie dann selbst in die linke Szene gekommen, die versucht hat, sich da-gegen zusammenzufinden, Informationen zu sammeln, sich in der Gemeinschaft zu treffen und zu stärken.

"Dass man nicht alleine ist, wenn so etwas passiert und da war die JG Stadtmitte für uns alle der Anlaufpunkt damals in den 90ern."

JG Stadtmitte - das ist die Junge Gemeinde der Evangelischen Kirche, in der auch Katharinas Vater Lothar König Pfarrer ist. Hier wird sie ab 1995/96 aktiver Teil einer Gemeinschaft von sehr unterschiedlichen Leuten. Die Informationen sammeln und registrieren, wann die rechte Szene Konzerte organisiert, Häuser kauft, wie sie sich organisiert und wo Übergriffe stattgefunden haben.

Von der Jugendarbeit in die Politik
Nach dem Abitur studiert sie zu-nächst semitische Philologie, geht ein Jahr nach Israel, und entscheidet sich – zu-rückgekehrt – für die soziale Arbeit. Sieben Jahre lang arbeitet sie in der Straßenpä-dagogik und in der offenen Jugendarbeit, bis sie ab 2009 mit einem Mandat der Lin-ken in den Thüringer Landtag geht.

Katharina König ist von der Familie unterstützt. Die Eltern waren Mitorganisatoren von Gegendemonstrationen, ermutigten die Leute, mit ihren Kindern zusammen teilzunehmen.

"Das Schlimme ist, dass Neonazis die Kinder zusammenschlagen, einfach weil sie so aussehen. Alles, was von den Rechten als alternativ eingeordnet wurde. Das waren an erster Stelle Punks. Dann waren es auch Migranten, es gibt zwar bis heute nicht viele Migranten in Jena. Aber die es gibt, haben, glaube ich, alle eine Erfahrung mit Neonazis schon gemacht. Und dann aber auch - ganz verrückt - sobald man nicht Neonazi war und sich als normaler Jugendlicher bewegte, wurde man im Zweifelsfall trotzdem als Gegner eingeordnet."

Jahrelang hatten diese Zustände niemanden interessiert.

"Der Standard und das grundsätzliche Verhalten war von Ignoranz geprägt. Die Polizei hat nicht wirklich ermittelt, zumindest nicht so, dass diejenigen die von Über-griffen bedroht waren oder eben auch angegriffen wurden, das entsprechend regis-triert haben. Anzeigen haben selten zu einer Verurteilung bei Neonazis geführt. Stadtverwaltung, Stadtrat, Bürgermeister - die meinten, das wäre eine Feindbild-schaffung, und Jena wäre doch nicht schlimmer als andere Städte."

Hundertfache Straftaten von rechts ungeahndet
Die Behörden veror-teten das Feindbild eher auf der Linken, während die hundertfachen Straftaten von rechts ungeahndet blieben. Die Ergebnisse der Aufarbeitung jetzt geben den ehe-mals diffamierten, diskreditierten und sogar auch kriminalisierten antifaschistischen Gruppen Recht. Trotzdem glaubt Katharina König nicht,

"dass wir jemals in den Untersuchungsausschüssen die Wahrheit aufdecken können oder dann eben unterschiedliche Wahrheiten."

Eine Wahrheit, auf die die Angehörigen der Opfer warten, würde es weder in den Untersuchungsausschüssen noch im Prozess gegen Zschäpe und andere geben, meint König.

Trotzdem liest sie weiter: Woche für Woche in den zwei Millionen Seiten, unge-schwärzt, die dem Ausschuss zur Verfügung stehen; und fast täglich kommen neue Informationen dazu: zwei Lastwagen voller Papier.

Sie ist entsetzt darüber, wie der Verfassungsschutz spitzelte, honorierte und wie er seine V-Leute ungeachtet strafbarer Handlungen deckt. Eine solche Organisation gehöre nicht zur Demokratie, sagt sie.


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