Entscheidung des Kulturministers

Drastische Kürzungen für Italiens Orchester

Blick in das voll besetzte Opernhaus Malibran in Venedig, nach aufwendigen Sanierungsarbeiten wurde es 2001 wiedereröffnet
Manche lang subventionierte Klangkörper in Italien bekommen jetzt gar kein Geld mehr vom Staat. © picture alliance / dpa / epa ansa Andrea Merola
Von Thomas Migge  · 11.08.2015
Die Nachricht aus dem Kulturministerium schlug in Italiens Musikwelt ein wie eine Bombe: 60 Orchester und musikalische Institutionen erhalten ab sofort kein Geld mehr. Die radikalen Kürzungen scheinen zudem willkürlich. Ein Resultat undurchsichtiger Lobbyarbeit?
"In den Abruzzen existierte bisher nur ein einziges regionales Symphonieorchester dem die Politiker kontinuierlich die Gelder gekürzt haben. Jetzt gibt es gar keins mehr und das bedeutet, dass eine ganze Region Italiens kein eigenes Orchester mehr besitzt. Das Publikum in der Region fragt sich jetzt wie es weiter gehen soll."
Luisa Prayer ist sauer. Das Festival der Pianistin "Pietre che cantano" in der Region Abruzzen muss dieses Jahr ohne drei Konzerte des regionalen Symphonieorchesters auskommen. Bis zuletzt hatte sie – vergeblich - gehofft, dass die politisch Verantwortlichen Geld locker machen würden.
Diese schlechte Nachricht ist Teil einer Entscheidung des Kulturministers, die, so die Tageszeitung "La Stampa", "in Italiens Musikwelt wie eine Bombe einschlägt". 60 Orchester und musikalische Institutionen, die Konzerte und Meisterklassen organisieren, erhalten ab sofort vom Kulturministerium kein Geld mehr.
Auch nicht das CEMAT, eine der angesehensten italienischen Institutionen zur Förderung zeitgenössischer Musik. Gisella Belgeri, Präsidentin des CEMAT, hatte mit 25 Prozent weniger staatlicher Gelder gerechnet, und jetzt das:
"Musiker sein heute ist sehr schwierig geworden. Vor allem wenn man zeitgenössische Musik komponiert und aufführt. Vom Staat gibt es da inzwischen so gut wie keine Möglichkeiten mehr. Der ist an dieser Musik gar nicht interessiert. Italien hat sich sehr gewandelt."
Schon unter Berlusconi wurde gespart
Begannen bereits die Regierungen von Medienzar Silvio Berlusconi im Bereich der Musik zu sparen – und schon damals war deshalb die Kritik laut – kürzt jetzt Matteo Renzis Regierung die klassische und zeitgenössische Musikszene zu Tode. Auf diese Weise sollen etwa 20 Millionen Euro eingespart werden. Für die Betroffenen ist das sehr viel Geld. Für den hoch verschuldeten Staat nur ein Tröpfchen auf den heißen Stein.
Dass ausgerechnet im Bereich der Musik so radikal gespart wird, in einem Land, in dem die Musikgeschichte Europas begann und ihre erste Blütezeit erlebte, ist für den römischen Musikkritiker Franco Soda vom Magazin "Amadeus" unverständlich:
"In mehr als einem Fall kann man die Streichungskriterien überhaupt nicht nachvollziehen. Ganz willkürlich scheinen die einen mehr oder das gleiche wie im Vorjahr zu erhalten und andere gar nichts. Wieso erhält das Symphonieorchester Siziliens 750 Tausend Euro mehr und das angesehen Toscanini-Orchester in Parma 240 Tausend weniger?"
Nach 19 Jahren öffentlicher Zuschüsse, die den Löwenanteil der Finanzmittel des Orchesters der Universität Rom ausmachten, bekommt dieser Klangkörper jetzt gar nichts mehr. Die Florentiner Vereinigung "Freunde der Musik", die seit Jahren zahlreiche Konzerte organisiert, geht ebenfalls leer aus. Auch die Accademie Chigiana in Siena und die Vereinigung Nuova Consonanza in Rom, die Konzerte mit zeitgenössischer Musik aus ganz Europa organisiert, gehen leer aus. Eine Million Euro hingegen erhält das Orchestra del Mediterraneo in Neapel – und das obwohl es bis dato nur auf dem Papier existiert!
Kriterien für Streichungen unklar
Musikkritiker Franco Soda schließt nicht aus, dass das Streichungskonzert im Kulturministerium das Resultat einer undurchsichtigen Lobbyarbeit sein könnte:
"Nach welchen Kriterien wurde denn da gekürzt? Kriterien, die die vom Streichen betroffenen Einrichtungen jetzt offen gelegt haben wollen. Denn es ist doch bekannt, dass die Mehrheit der Mitglieder der Musikkommission im Ministerium von unserer Musiklandschaft nicht viel versteht "
Während das Kulturministerium mit Millionensummen die Großen der italienischen Musikszene finanziert – die Scala in Mailand und in Rom die Accademia di Santa Cecilia – scheint sie das Interesse an den für das regionale Musikleben enorm wichtigen musikalischen Institutionen verloren zu haben. Die Betroffenen wollen jetzt Widerspruch gegen die Kürzungen und Streichungen einlegen: vor dem obersten Zivilgericht in Rom. Das Drama um das langsame Sterbenlassen der italienischen Musikszene geht also weiter – aber ohne viel Hoffnung, denn Italiens Politiker zeigen so gut wie kein Interesse am Thema Musik.
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