England

Das Ende der Appeasement-Politik

Adolf Hitler, ein paar Stufen über Arthur Neville Chamberlain stehend, schüttelt ihm die Hand
Adolf Hitler und der britische Premierminister Arthur Neville Chamberlain beim einem Treffen im September 1938 © dpa / picture alliance
Von Bernd Ulrich · 17.03.2014
Im März 1939 marschierte die Wehrmacht in die Tschechoslowakei ein. Kurz danach hielt der britische Premier Neville Chamberlain eine Rede in Birmingham - und erklärte die Appeasement-Politik gegenüber Nazi-Deutschland für gescheitert.
Am Vorabend seines 70. Geburtstages, am 17. März 1939, hielt der britische Premierminister Neville Chamberlain in Birmingham eine Rede vor seinen konservativen Parteifreunden. Sie gilt gemeinhin als das Eingeständnis eines Scheiterns, eines Scheiterns der Politik des Appeasement, der Beschwichtigungen und der Zugeständnisse, die der Premier seit seinem Amtsantritt verfolgt hatte.
Zwei Tage zuvor, am 15. März, war die deutsche Wehrmacht in Prag einmarschiert und Hitler hatte auf dem Hradschin verkündet, dass von nun an die Tschechoslowakei nicht mehr bestehe und stattdessen ein "Reichsprotektorat Böhmen und Mähren" proklamiert. Alle Zugeständnisse Chamberlains an das nationalsozialistische Deutschland, vor allem die im Münchener Abkommen vom 30. September 1938 fixierte "Abtretung" des Sudetenlandes an das Deutsche Reich, hatten sich in Luft aufgelöst. Der englische Historiker Ian Kershaw:
"Die Appeasement-Politik war in den Trümmern des tschechoslowakischen Staates verdämmert. Und ein Teil der Beschämung in den westlichen Demokratien gründete sich darauf - nachdem die Erleichterung über die Rettung des Friedens verflogen war -, dass die Westmächte sich durch die Opferung der Tschechoslowakei von Hitler nur auf Zeit freigekauft hatten."
Beschämung und Ratlosigkeit
Etwas von dieser Beschämung oder auch Ratlosigkeit durchzog noch die Rede Chamberlains am 17. März 1939, in der er sich in zentralen Teilen nur noch in suggestiven Fragen zu äußern vermochte:
"Ist dies das Ende eines alten Abenteuers oder der Beginn eines neuen? Ist dies der letzte Angriff auf einen kleinen Staat oder sollen ihm weitere folgen? Ist dies gar ein Schritt in jene Richtung, die versucht die Welt durch Gewalt zu dominieren?"
Tatsächlich hatte die englische Politik des Appeasement in den 1930er-Jahren nach Möglichkeiten gesucht, gleichermaßen die internationale Entspannung zu fördern und die spätestens seit dem Ersten Weltkrieg massiv gefährdete britische Stellung als Weltmacht zu wahren. Das Land litt zudem nach wie vor unter den Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise und stand noch ganz unter dem Eindruck des Ersten Weltkriegs, der zwar gewonnen worden war, aber nur um den Preis der wirtschaftlichen Erschöpfung und Hunderttausender von Toten. Hinzu kam, wie es der junge Emigrant Klaus Mann in seinem "Lebensbericht" formulierte,
"dass man in Mr. Chamberlains Kreisen den russischen Kommunismus viel mehr hasste und fürchtete als irgendeinen Faschismus. Diese Hitlersche 'Neue Ordnung' - konnte sie nicht trotz allem nützlich sein als solides Bollwerk gegen den Bolschewismus?"
Goebbels spottet über Chamberlain
Wie auch immer, klar war, dass Großbritannien, so der Historiker Bernd Jürgen Wendt,
"nicht mehr die materielle Kraft und Stärke hatte, die Herausforderungen in fast allen Teilen seines Empires durch drei totalitäre Mächte gleichzeitig – Deutschland, Italien und Japan – erfolgreich abzuwehren. Dieses Dilemma zwang die Regierung, Prioritäten zu setzen und wenigstens mit Deutschland in Europa zu einem friedlichen Ausgleich am Verhandlungstisch zu kommen. Aber offenbar lebte die Regierung Chamberlain bis zuletzt in der Illusion – und diese Illusion teilte sie mit vielen Deutschen! –, dass es Hitler nur um die Wiederherstellung der Grenzen von 1914 ging. Seine wahren Ziele reichten aber bekanntlich viel weiter."
Das Hochgefühl der Nationalsozialisten minderte sich durch die Rede vom 17. März 1939 kaum. In seinem Tagebuch höhnte Joseph Goebbels:
"Chamberlain hält in Birmingham eine ziemlich madige Rede. Dieser good old man wird frech, quatscht von Bruch von Versprechungen und ähnlichem. Was wollen denn diese Demokraten noch außer protestieren. Das ist nur hysterisches Geschrei, das uns ganz kalt läßt."
Aber er hatte nicht genau hingehört. Denn die Rede Chamberlains endete mit den Worten:
"Ich glaube nicht, dass es jemanden gibt, der meine Aufrichtigkeit in Frage stellen würde, wenn ich sage, es gibt kaum etwas, was ich nicht für den Frieden opfern würde. Aber es gibt eine Sache, die ich davon ausnehmen muss, - und das ist die Freiheit, die wir seit Hunderten von Jahren genießen und die wir niemals aufgeben werden!"