Engel von Augsburg

Von Ulrike Rückert · 12.10.2010
Als ein bayerischer Herzog vor beinahe sechs Jahrhunderten die Tochter eines Badestubenbetreibers ehelichte, wurde daraus ein Skandal mit tödlichem Ausgang. Später entdeckten die Romantiker Agnes Bernauer als Heldin und verklärten die grausam gescheiterte Aufsteigerin zum "Engel von Augsburg".
"Am 12. Oktober wurde auf Befehl des Herzogs Ernst von Bayern eine überaus schöne Frau, die Bernauerin genannt, von der Donaubrücke in Straubing gestürzt. Mit Hilfe des einen Fußes, der nicht gefesselt war, schwamm sie ein Stück und kam nahe ans Ufer, mit heiserer kläglicher Stimme rufend: Helft! helft! Der Folterknecht aber lief hinzu, wickelte eine lange Stange in ihr Haar und drückte sie wieder unter Wasser."

So schildert der Chronist einen der berühmtesten Justizmorde der Geschichte, die Hinrichtung der Agnes Bernauer im Jahr 1435.

"[Sie war] die Geliebte seines Sohnes Albrecht - einige aber sagten, dass sie dessen wirkliche und rechtmäßige Gattin war."

In den politischen Wirren der Zeit wurde eine Liebesgeschichte zur Staatsaffäre: Das Herzogtum Bayern war in drei Teile gespalten, beherrscht von Vettern, die sich bekämpften und bekriegten. Raubritter machten das Land unsicher, und in den Städten revoltierten Handwerker gegen die Patrizier. In Bayern-München regierten die Brüder Wilhelm und Ernst gemeinsam, und der einzige Erbe war Ernsts Sohn Albrecht.

"Der war ein gar fröhlicher Herr. Er hatt' groß Lieb zu der Kunst Musica, auch groß Lust zu allem Waidwerk. Er war eine sehr wohlgestalte Person, ein Liebhaber der zarten Frauen."

Dass er die Augsburger Baderstochter Agnes Bernauer als Mätresse an den Hof holte, störte wohl niemand. Doch dem Anschein nach heiratete er sie in aller Stille. Gerüchte und ihr selbstbewusster Auftritt empörten nicht nur Albrechts Schwester Beatrix, die ...

" ... zornig war von Frau Agnesen wegen, der aufgeblasenen Bernauerin."

Ernst schickte seinen Sohn als Statthalter nach Straubing, aber dort spielte die Baderstochter nun ganz öffentlich die Rolle der Herzogin.

"Eine Schand und Schmach, die ihn und alle Fürsten von Bayern in fremden Landen geschwächt hat."

So sah es Vater Ernst. Noch ärger war, dass Albrecht das Herzogtum verspielte. Denn Kinder der bürgerlichen Agnes konnten niemals das Erbe antreten. Selbst mit einer Trennung war nichts gewonnen, solange auch nur der Verdacht bestand, Agnes sei Albrechts Ehefrau.

"Dieweil sie gelebt hätt, wär der Schand nimmer vergessen worden."

Bayern-München würde zur Beute der verhassten Vettern. Als Albrecht im Oktober 1435 zur Jagd ritt und Agnes allein blieb, ließ Ernst sie kurzerhand in die Donau werfen. Er machte sich wohl nicht einmal die Mühe eines Scheinprozesses, doch er rechtfertigte sich vor dem Kaiser:

" ... dass sie zu seinem Sohn so hart und streng gewesen, dass man das mit wenig Worten nit aussprechen könnt'. Er hab' auch um seines Sohnes Leben sich gesorgt. Dazu war ihm auch Kundschaft gekommen, dass sie ihm Gift sollt' gegeben haben."

"Hierauf also versammelt Herzog Albrecht seine Truppen, erklärt dem Vater den Krieg, brennt Dörfer nieder und plündert und mordet."

Die Stadt München ließ zweiunddreißigtausend Ave Maria für den Frieden beten, und tatsächlich versöhnten sich Vater und Sohn. Albrecht heiratete standesgemäß eine Welfenherzogin, die ihm zehn Kinder gebar. Zufrieden vermerkte der Stadtschreiber:

"Des sollen wir alle froh sein, dass wir nit wieder eine Bernauerin gewonnen haben."

Ihr Tod machte Agnes Bernauer unsterblich. Schon die Zeitgenossen besangen ihr Schicksal. Der bayerische Minister Graf Törring brachte es 1780 auf die Bühne, doch gab er die Schuld am Mord nicht dem Herzog, sondern dessen Rat, dem Vicedom. Das Publikum war so gerührt ...

"... dass viele, da die unschuldige Agnes in die Donau gestürzt wurde, aus überströmender Empfindung laut aufriefen, stürzt den Vicedom hinein!"

1852, nach dem Scheitern der bürgerlichen Revolution in Deutschland, griff Friedrich Hebbel den Stoff auf, um darzustellen ...

"... dass das Individuum sich der Gesellschaft unter allen Umständen beugen muss."

Die Bernauerin ist ein schillernder Mythos geworden. Ihre Geschichte gab den Stoff für Trauerspiele, Volksstücke, Opern und zahllose Romane, sie eroberte die Bühnen von Neapel bis New York. Carl Orff inspirierte sie zu einem Musiktheaterstück. Franz Xaver Kroetz ließ in einem seiner Dramen eine Friseurstochter einer Kapitalistensippe zum Opfer fallen. Und der Schriftsteller Otto Ludwig entwickelte immer wieder neue Versionen eines Bernauer-Dramas, mit immer wieder neuen Versionen der Agnes, um schließlich zu resümieren:

"Ja, was ist Wahrheit?"