Engagement gegen Nazis

Von Esther Dischereit · 16.04.2013
Der NSU-Täter agierten als Rechtsextremisten im Untergrund. Die Sozialwissenschaftlerin Eike Sanders aus Berlin versucht mit dem Projekt "NSU Watch", Wissen, das schon seit Jahrzehnten in antifaschistischen Projekten da ist, zu bündeln und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
"Ich arbeite beim antifaschistischen Bildungs- und Pressezentrum in Berlin und werde jetzt bei NSU-Watch arbeiten, der unabhängigen Beobachtungsstelle 'Aufklären und Einmischen', die den Prozess gegen den NSU in München beobachten und begleiten wird. Unsere Motivation, den Blog einzurichten, war, dass wir das Gefühl haben, dass es einen Bedarf gibt an einer unabhängigen Recherche, an einer unabhängigen Bewertung von dem, was an Aufklärung stattfindet."

NSU Watch versucht, Wissen, das schon seit Jahrzehnten in antifaschistischen Projekten da ist, zu bündeln, es mit Expertisen zu verbinden und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Eike Sanders nimmt selbst auch teil an den Sitzungen des Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestags.

"Ich bin auch beeindruckt von der Arbeit, die die Abgeordneten dort machen und gleichzeitig wird auch deutlich, dass das nur ein Bruchteil von dem Gesamtbild ist. Dort geht es ja vor allem darum, das - in Anführungszeichen – 'Versagen' der Behörden aufzudecken."

NSU Watch und der Berliner Verein Apabiz, das Antifaschistische Pressearchiv und Bildungszentrum, beschäftigen sich vor allem mit dem Gesamtbild einer neonazistischen Szene, die den ideologischen und logistischen Hintergrund für die terroristischen Aktivitäten bildete: dass die Mörder ein Netzwerk hatten, über Jahre im Untergrund leben und ihre Anschläge verüben konnten. Es geht darum,

"was die Leute gemacht haben, was die Leute denken, welche Ideologien in der neonazistischen Szene vertreten wurden, wie sich auf den bewaffneten Kampf vorbereitet wurde, da ist Behördenwissen da, aber schon damals in den neunziger Jahren war ja klar, dass es eine unabhängige Recherche gibt und auch geben muss, also dass es eine gesellschaftliche Beschäftigung mit dem Thema gibt und Wissen über Neonazis gibt, was die Behörden nicht haben. Vielleicht auch, weil sie es nicht haben wollen oder auch, weil sie die Gefahr schon damals auch immer verharmlost haben."

Viele arbeiten ehrenamtlich
Im NSU Watch und bei Apabiz arbeiten viele ehrenamtlich. Apabiz wird durch den Berliner Senat unterstützt im Programm gegen Rechtsextremismus und hat auch einen eigenen Blog über Berlin: Berlin rechtsaußen.

"Das Apabiz ist ein gemeinnütziger Verein, antifaschistisches Pressearchiv und Bildungszentrum in Berlin. Das Herzstück des Apabiz ist ein großes Archiv, wo wir seit - wir hatten vor zwei Jahren zwanzigjähriges Jubiläum der Bestand geht zurück bis in die 50er-Jahre wo wir Sachen sammeln, die die Neonazi-Szene oder die extreme Rechte im weitesten Sinne selbst publizieren. Wir machen auch selbst Bildungsarbeit und publizieren selbst zum Thema."

Die staatlichen Organe scheinen dieses Wissen nicht abzurufen, möglicherweise lesen sie den Blog; eine unmittelbare Kontaktaufnahme hat es nie gegeben. Eike Sanders hat zunächst auch ehrenamtlich gearbeitet, bis die studierte Sozialwissenschaftlerin vor ungefähr sechseinhalb Jahren hier beschäftigt wurde. "Viel Herzblut", sagt sie, stecke in der Arbeit, hohe politische Motivation und ein eigenes Interesse daran, sich gegen Nazis engagieren zu wollen. Über den bevorstehenden Prozess gegen Zschäpe und andere sagt sie:

"Allein schon wenn man sich anguckt, wie viele Zeugen geladen sind. Ich glaub, da sind ja schon 600 Zeugen und Zeuginnen benannt, von denen sicherlich viele Beamte sind, aber auch Leute aus ihrem Umfeld. Wobei natürlich unklar ist, wie viel die aussagen werden."

Hier soll der NSU-Prozess stattfinden: Gerichtssaal in München
Hier soll der NSU-Prozess stattfinden: Gerichtssaal in München© picture alliance / dpa - Andreas Gebert
Neonazis in Träumen
Trotz des enormen Prozessaufwandes ist sich Eike Sanders über die Grenzen der Aufklärung im Klaren, die es im NSU-Komplex im Rahmen des Strafverfahrens geben kann.

"Apabiz ist nur eine Initiative von mehreren Initiativen, die NSU Watch gegründet haben; eine von einem Dutzend. Aida in München sollte sicherlich auch erwähnt sein. Und wir aus dem Netzwerk sind vernetzt. Wir haben Kontakte zu Anwälten der Nebenklage, zu Angehörigen der Opfer sowohl von der Keupstraße als auch die in der rassistischen Mordserie ermordet wurden."

Mit der Gründung von NSU Watch hat die Bewegung eine eigene überregionale Struktur geschaffen, damit die Einzelprojekte, die jeweils auch örtliche Aufgaben erfüllen, entlastet werden. Denn die Arbeit verlangt den Engagierten viel ab: Auch Eike Sanders weiß, was es heißt, sachlich-nüchtern mit dem Thema umzugehen und sich auch zu schützen. Manchmal tauchen Neonazis in ihren Träumen auf. Aber sie hat auch Freunde, die nichts mit ihrer Arbeit zu tun haben, geht tanzen und macht Sport.


Der NSU-Prozess auf dradio.de
Mehr zum Thema