Energiewende

Stromversorger reagieren zu spät

Moderation: Jörg Degenhardt · 29.04.2014
In Deutschland ist im letzten Jahr so viel Energie aus Kohle erzeugt worden wie seit 20 Jahren nicht mehr. Die Ursache sei der nicht funktionierende Emmissionshandel, meint der CSU-Umweltpolitiker Josef Göppel.
Jörg Degenhardt: Für die einen ist sie ein Energie- und Wirtschaftswunder, für die anderen stellt sich möglicherweise die Existenzfrage, wenn sie es nicht schaffen, den Schalter umzulegen. Von der viel beschworenen Energiewende ist die Rede, die den großen Energiekonzernen das Leben schwer macht, weil sie sich nach dem beschlossenen Atomausstieg gewissermaßen im Hauruckverfahren neu erfinden müssen. Das gilt auch für den drittgrößten deutschen Stromversorger, für EnBW. Der wirbt heute auf der Hauptversammlung bei den Aktionären um ein klares Mandat für den Weg in eine neue Zukunft.
Auch Josef Göppel wird diesen Weg sicher genau verfolgen. Er sitzt für die Christlich-Soziale Union im Deutschen Bundestag, ist Umweltobmann seiner Fraktion und ihm eilt der Ruf voraus, ein flammender Befürworter der Energiewende zu sein. Herr Göppel, ich grüße Sie!
Josef Göppel: Ja, grüße Sie, guten Morgen!
Degenhardt: Der RWE-Konzern hat unlängst einen Verlust von drei Milliarden Euro veröffentlicht, auch bei EnBW sind die Gewinne drastisch eingebrochen. Treibt die Energiewende die großen Stromanbieter in den Ruin?
Göppel: Als Befürworter der Energiewende und der dezentralen Energien sehe ich durchaus einen wichtigen Platz für große Spieler auf dem Energiemarkt. Das wurde nur von denen nicht recht wahrgenommen. Manche dieser Konzerne haben auch nicht gedacht, dass eine Energiewende wirklich kommt.
Degenhardt: Das heißt, es gibt Fehler, die schon früher gemacht worden sind in diesen großen Unternehmen, die eigentlich nichts mit dem Atomausstieg zu tun haben?
Göppel: Genau so ist es. Die Verwendung erneuerbaren Energien kündigt sich ja schon seit den 90er-Jahren an, und die großen Konzerne haben eben lange darauf gesetzt, dass ihr Geschäftsmodell unverändert in der Zukunft bestehen bleibt und die erneuerbaren Energien vielleicht eine kleine Nische auf Dauer besetzen.
Degenhardt: Aber zumindest teilweise bleibt ja das Geschäftsmodell, von dem Sie gerade sprechen, es bleibt ja bestehen, wenn wir auf die weitere Existenz der Kohlekraftwerke schauen!
Göppel: Das ist ein Übergangszeitraum von 20 bis 30 Jahren. Das ist auch nicht anders machbar. Wir brauchen in dem Zeitraum bis etwa 2050 die Erneuerbaren und die bisherigen Energieversorger nebeneinander. Und das ist auch ökonomisch nicht anders machbar, weil wir auch bei den erneuerbaren Energien mit den Speichertechniken nicht so schnell vorankommen, dass wir das jetzt innerhalb von zehn Jahren ersetzen könnten.
Degenhardt: Herr Göppel, wie kommen Sie auf diese 20 Jahre? Im Koalitionsvertrag steht - und der trägt ja auch die Unterschrift Ihres Parteivorsitzenden Herrn Seehofer -, die Kohlenutzug sei auf absehbare Zeit unverzichtbar. Da ist also nicht von einer bestimmten Zeitspanne die Rede, schon gar nicht von 20 Jahren.
Göppel: Ja, aber derselbe Ministerpräsident und auch die gesamte Koalition haben darauf festgelegt, dass 2050 etwa 85 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien kommen soll. Und das brauchen wir auch aus Klimaschutzgründen. Wenn wir den Klimaschutz ernst nehmen, dann können wir auf lange Sicht die bisherigen fossilen Anteile nicht aufrechterhalten.
Degenhardt: In Deutschland sind im letzten Jahr so viele Kilowattstunden aus Braunkohle erzeugt worden wie seit 20 Jahren nicht mehr. Das ist eine andere Trendrichtung, die da angedeutet wird!
"Ein krasses Versagen der europäischen Politik"
Göppel: Das ist eine klare Fehlsteuerung. Das hängt zusammen mit dem Versagen des europäischen Emissionshandels. Der europäische Emissionshandel hat ja einen Konstruktionsfehler in seinem System, dass nämlich technische Erneuerungen, die zu weniger Klimagasausstoß führen, nicht automatisch auch zu einer Verringerung der Zertifikate führen. Und solange das nicht beseitigt wird, gibt es keine echten Marktanreize für Klimaschutz, der sich lohnt für die Unternehmen. Das - ich sage es noch einmal - ist ein krasses Versagen der europäischen Politik.
Degenhardt: Unser Ausgangspunkt war ja die Frage: Was kann werden aus den großen Energieunternehmen in der Zukunft, wo können sich möglicherweise neue Geschäftsfelder erschließen, und brauchen sie dafür möglicherweise auch Subventionen vom Staat? Was meinen Sie?
Göppel: Ich sehe für die großen, alten Energiekonzerne einen Platz in der Zukunft, sowohl bei der Erzeugung als auch beim großräumigen Austausch von Strom, um Spitzen abzudecken.
Degenhardt: Das heißt, es sollten zum Beispiel auch Kraftwerke in Bereitschaft gehalten werden, um einen Blackout zu verhindern?
Göppel: Ja, das ist allerdings ein kleiner Teil. Diese Blackout-Verhinderung, die wird sehr viel schärfer gesehen, als sie in Wirklichkeit ist. Es geht in der Masse des Strombedarfes darum, dass man die Spitzenabrufe von Firmen, die im Produktionsprozess viel Strom brauchen, auch pünktlich bedienen kann. Und obwohl ich ein Verfechter der regionalen Stromerzeugung bin, weiß ich wohl, dass so plötzliche Produktionsspitzen nicht aus dem Umland einer Stadt sofort bedient werden können. Und da ist eben der Platz der großen Versorger.
Degenhardt: Lassen Sie uns noch einen Blick auf die Energiewende werfen, einen etwas speziellen, der aber aus der Sicht der Verbraucher, denke ich, elementar ist: An der Börse wird der Strom ja zurzeit immer billiger, zu Hause an der Steckdose wird er teurer, obwohl doch eigentlich mehr grüner Strom erzeugt wird. Können Sie uns das erklären?
"Dieses System muss geändert werden"
Göppel: Ja, das ist der zweite Konstruktionsfehler im Strombereich, dass nämlich mehr erneuerbarer Strom die Differenz zur Vergütung des EEG erhöht, weil der Preis fällt. Das ist keine echte volkswirtschaftliche Preisfindung, sondern es ist eine bürokratische Herleitung eines gedachten Preises. Und dieses System muss geändert werden. Wir können es auch ändern, indem man eine wirkliche regionale Direktvermarktung zulässt. Das ist allerdings im jetzigen EEG-Entwurf nicht vorgesehen, dafür gibt es aber konkrete Vorschläge.
Ich möchte Ihnen aus meiner fränkischen Heimat ein Beispiel sagen: Die Landkreise um die Stadt Nürnberg herum möchten ihre Stromüberschüsse auf kurzem Weg in die Großstadt leiten. Man nennt das Frankenstrom, der Strom, der in der Nähe erzeugt wird. Das wäre nach dem jetzigen EEG-Entwurf nicht möglich, und daran sehen Sie, da muss noch viel gearbeitet werden.
Degenhardt: Sie sprachen gerade von der dezentralen Stromversorgung. Das ist natürlich jetzt auch nicht der Trend, den die großen Energieversorger - das war der Ausgangspunkt für unser Gespräch - angehen können, denn damit würden sie sich ja praktisch selbst abschaffen.
Göppel: Die dezentralen Stromversorger können in diesem Geschäft sehr wohl einen guten Platz finden, der ihnen auch gute Renditen verschafft. Denn sie werden ja in dieser Mischung aus zentral und dezentral dann gefragt, wenn die dezentrale Grunderzeugung nicht mehr ausreicht. Und das gibt dann immer auch ein Quäntchen Aufschlag beim Strompreis.
Von daher sind ihre Perspektiven nicht schlecht, die Konzerne müssen sich nur endlich darauf einlassen, dass die erneuerbaren Energien den Takt vorgeben und dass die Lücken eben dann gefüllt werden müssen aus anderen europäischen Gegenden mit erneuerbarem Strom oder in der Zukunft mit Gaskraftwerken oder mit dem Entleeren von Speichern, die wir bis dahin haben müssen.
Degenhardt: Welche Zukunft haben die großen deutschen Energieunternehmen nach dem Abschied von der Atomenergie, darüber sprach ich mit Josef Göppel von der CSU. Herr Göppel, vielen Dank für das Gespräch und Ihnen einen guten Tag!
Göppel: Gerne, auf Wiederschauen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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