Energiewende: Gut gemeint, aber auch gut gemacht?

Moderation: Stephan Karkowsky · 10.12.2011
Der Ausstieg aus der Kernenergie ist beschlossen, der Weg für die erneuerbaren Energien frei. Auch der Weltklimagipfel in Durban hat einmal mehr eine beschleunigte Energiewende gefordert, die Branche boomt.
Doch der Ausbau der Erneuerbaren hat auch Schattenseiten: Für Energiepflanzen und Windanlagen werden Flächen gerodet, wertvolle Äcker umgewandelt, der Widerstand der Anwohner gegen Windkraft- und Biomasseanlagen und die geplanten Stromtrassen wächst, frei nach dem Sankt-Florian-Prinzip: Klimaschutz ja, aber nicht vor meiner Haustür.

• Können wir so unsere Klimaziele erreichen?
• Wie wird die Energiewende Deutschland verändern?

"Wir werden sehr viel mehr Windanlagen bekommen", prophezeit Heiko Stubner vom Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE), der sich das Ziel "100 Prozent Erneuerbare" bis 2050 gesetzt hat.

"Auch in bisher unterrepräsentierten Bereichen, in Süddeutschland, in Wäldern. Wir werden neue Flächen erschließen müssen."

Der Politikwissenschaftler und ehemalige Mitarbeiter des EUROSOLAR-Gründers Hermann Scheer (SPD) kennt die Schwierigkeiten vor Ort:

"Es wird Proteste geben, aber es wird auch mehr Verständnis für Veränderungen geben. Nehmen Sie Schleswig-Holstein, dort hat die Landesregierung drei Prozent der Fläche für Windkraft ausgewiesen. Und nun kommen die ersten Kommunen und schreiben bitterböse Briefe, dass sie mehr wollen. Dagegen haben wir in Brandenburg massive Proteste. Man muss das offensiv angehen. Die Frage ist doch: Entweder wir baggern weiterhin Dörfer weg für die Braunkohle, oder ich muss mehr der sogenannten Spargel errichten. Wir werden auch, wenn wir mit dem Flugzeug über Deutschland fliegen, mehr blaue Dächer haben, durch die Solaranlagen. Wir werden mehr kleine Wasserkraftwerke haben, wo vorhandene Wehre ausgebaut werden."

Der Energieberater versucht betroffenen Kommunen auch die Vorteile der Energiewende klarzumachen:

"Die Leute können sich beteiligen und Produzenten werden. Sie sollen die Energiewende leben und mit gestalten."

Seine Mahnung:

"Man kann die Natur nicht in Klarsichtfolie packen. Die Landschaft wird sich wandeln, die Natur, wir werden einen anderen Begriff von Naturschutz haben. Aber dieser Wandel darf nicht einseitig sein, dass die erneuerbaren Energien vom Artenschutz ausgebremst werden, und der Artenschutz unter den Erneuerbaren Energien leidet. Es muss eine Balance geben."

"Wir haben den Atomausstieg, jetzt wird die Energiewende sich selbst überlassen und alles läuft kreuz und quer", sagt Carsten Wachholz, Referent für Energiepolitik und Klimaschutz beim Naturschutzbund Deutschland. Immer häufiger müsse der NABU bei Streitfällen vor Ort moderierend eingreifen. Deshalb hat der Umweltwissenschaftler einen "Kommunikationsratgeber" entworfen, um Konflikte zu vermeiden und die Erfordernisse der Erneuerbaren mit dem Umwelt- und Naturschutz und den Bürgerinteressen in Einklang zu bringen.

"Die Energiewende kann nur gelingen, wenn ihre Ausgestaltung und Umsetzung künftig besser koordiniert sowie transparent und verständlich kommuniziert wird. Bestehende Konflikte mit dem Erhalt der biologischen Vielfalt können nicht einfach ignoriert oder übergangen werden, wenn es beispielsweise um die Ausweisung von neuen Windenergie-Standorten, Fehlentwicklungen bei der Biomassenutzung oder der Bedarfsplanung für neue Stromnetze geht", heißt es in einer NABU-Resolution.

Seine Forderung:
"Wir plädieren für eine frühstmögliche Beteiligung der Bürger."

Seine Überzeugung:
"Die Zeit, wo ein Investor einfach sagen konnte, hier baue ich eine Biogasanlage oder einen Windpark, ist vorbei."

"Energiewende: Gut gemeint, aber auch gut gemacht?"
Darüber diskutiert Stephan Karkowsky heute von 9 Uhr 05 bis 11 Uhr gemeinsam mit Carsten Wachholz und Heiko Stubner. Hörerinnen und Hörer können sich beteiligen unter der kostenlosen Telefonnummer 00800 2254 2254 oder per E-Mail unter gespraech@dradio.de.

Links:
Bundesverband Erneuerbare Energie
NABU: Energiewende