Energiepolitik in Hessen

Der wendige Volker Bouffier

Ministerpräsident Volker Bouffier mit gesenktem Blick.
Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier © Christoph Schmidt, dpa picture-alliance
Von Anke Petermann  · 11.03.2015
Betreibt Hessens Ministerpräsident ein doppeltes Spiel bei der Energiewende? Einst erklärte Volker Bouffier das Thema zur Chefsache. Doch beim Bau großer Stromtrassen sind von ihm nun zweideutige Töne zu hören. Und das ist nicht das einzige Streitthema.
Die nordhessische Kleinstadt Wolfhagen hat die Nase bei der Energiewende vorn. Mit fast 700 Mitgliedern ist die örtliche "BürgerEnergieGenossenschaft" die größte und kapitalstärkste der sechs nordhessischen Energiegenossenschaften. Die komplette Umstellung auf Erneuerbare will Hessen bis 2050 geschafft zu haben, und zwar bei Strom und Wärme. Die 13.000-Einwohner-Stadt Wolfhagen hatte schon Anfang des Jahrtausends beschlossen, sich vom Stromriesen Eon unabhängig zu machen. Sie kaufte das Stromnetz zurück und überführte die Stadtwerke in eine GmbH. Die Genossenschafter erwarben eine 25-Prozent-Beteiligung im Wert von mehr als zwei Millionen Euro. Die Botschaft: als Normalbürger kann man an der Energiewende teilhaben, davon profitieren. Hans Martin, Aufsichtsratschef der Genossenschaft:
"Der nächste große Schritt war 2008, als die Stadtverordnetenversammlung beschlossen hat, dass man in Wolfhagen zu 100 Prozent den Strom, den man verbraucht, selbst erzeugen will."
Unter anderem durch:
"Private Solardächer, Solardächer auf öffentlichen Gebäuden, durch einen Solarpark an der Eisenbahnlinie."
Mit der Wärme aus der Biogasanlage werden Schule und Freibad beheizt. Der bis zuletzt umstrittene Bau von vier Windrädern auf einer zuvor bewaldeten Kuppe brachte Anfang des Jahres die regenerative Selbstversorgung auf 100 Prozent – übers Jahr gerechnet ist Wolfhagen beim Strom schon autark. Genau deshalb lehnt die Kleinstadt die Nord-Süd-Windstromautobahn Südlink ab. Wolfhagen ist Teil einer massiven Protestfront in den betroffenen Regionen Nord- und Osthessens. Und die wittert Morgenluft. Denn Ministerpräsident Volker Bouffier hat in ihren Augen einen Schwenk vollzogen. Noch Ende 2014 hatte der CDU-Politiker die Nord-Süd-Trasse als unverzichtbar bezeichnet und zum Einjährigen der schwarz-grünen Koalition Anfang dieses Jahres betont:
"Da werden wir viel Überzeugungsarbeit leisten müssen. Aber an unserer Grundentscheidung lassen wir nicht rütteln. Und das, glaube ich, werden wir hinbekommen."
"Wir werden es nicht mitmachen, ganze Regionen in Aufruhr zu bringen"
Doch auf einem nicht-öffentlichen Treffen mit der Fuldaer Kreisspitze seiner Partei sagte Volker Bouffier als CDU-Landeschef laut Teilnehmerangaben, aufgezeichnet vom Online-Portal Fuldainfo:
"Wir werden es nicht mitmachen, ganze Regionen in Aufruhr zu bringen, solange nicht erwiesen ist, dass man diese Leitung überhaupt braucht. Bevor wir ganz in die falsche Richtung fahren, bleiben wir besser erst mal einen Moment stehen. Falls der Nachweis geführt wird, dass die Trasse gebraucht wird, müssen zunächst Alternativen, zum Beispiele über Sachsen-Anhalt und Thüringen, geprüft werden."
Als klare Worte gegen Südlink werten das die Trassengegner und jubeln, allen voran Bouffiers Parteifreund Heiko Wingenfeld, Vizelandrat im Kreis Fulda und christdemokratischer Oberbürgermeister-Kandidat bei der Wahl am 15. März. Bouffiers Wendigkeit könnte die Wahlchancen des CDU-Kandidaten im schwarzen Fulda weiter verbessern.
Dort wird gegen die "Monstermasten" demonstriert, auf der Straße und in sozialen Netzwerken. Grundsätzlich stelle Bouffier Südlink nicht in Frage, erläutert zwar der Sprecher des Ministerpräsidenten, doch das überhören die osthessischen Parteifreunde geflissentlich. Dafür haut die SPD drauf: "Bouffier macht den Seehofer: Energiewende ja, aber nicht in Hessen", kommentiert Oppositionschef Thorsten Schäfer-Gümbel. Das Bouffiersche Doppelspiel scheint aber als Instrument der Befriedung zu funktionieren. Genugtuung bei den Fuldaer Christdemokraten und dennoch kein Koalitionszwist mit den grünen Südlink-Anhängern.
Der grüne Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir bestreitet jedenfalls, dass sein Bündnispartner von Südlink abrückt. Bouffier habe doch nur klargestellt, "dass die Bundesnetzagentur den Bedarf nachweisen muss. Das sieht das Gesetz vor. Und dass natürlich Alternativen geprüft werden müssen. Auch das sieht das Gesetz vor."
Die ganze Aufregung also nur, weil Bouffier aus dem Gesetz zitiert? Al-Wazir geht darüber hinweg.
"Und wir warten jetzt mal ab: Wenn dann die konkreten Trassen diskutiert werden, dann kann man natürlich auch über Abstände reden und darüber, ob man rechts oder links vorbeigeht. Aber am Ende des Tages muss man da ankommen, wo man hin will."
Nämlich von der Nordsee, wo viel Wind produziert wird, in den industrialisierten Süden, wo die Atomkraftwerke bis 2022 abgeschaltet werden. Dass Wirtschafts- und Energieminister Al-Wazir mit Bouffiers eindeutigen Zweideutigkeiten so gelassen umgeht, liegt wohl auch daran, dass die Grünen in der Koalition mit der Hessen-CDU selbst wendiger geworden sind.
RWE erhebt Schadensersatzforderungen in Höhe von 238 Millionen Euro
Das stellen sie derzeit auch im laufenden Biblis-Untersuchungsausschuss unter Beweis, wo sie sich zum Spott der Opposition hinter Volker Bouffier stellen. 2011 hatte die Regierung Bouffier den Energiekonzern RWE angewiesen, den Altreaktor Biblis B im Rahmen eines Moratoriums für drei Monate abzuschalten. Allerdings ohne dem Betreiber RWE eine ausführliche Begründung zu geben und ohne ihn anzuhören. Rechtswidrig, urteilten Verwaltungsrichter. "Ich verteidige nicht die CDU, sondern den Atomausstieg", stellt der grüne Obmann Frank Kaufmann klar: Der Konzern RWE, der Hessen in der Zwischenzeit auf Schadensersatz verklagt hat, meine wohl sich auf diesem Weg Geld beschaffen zu müssen.
"Da ist es aus meiner Sicht bedauerlich, dass jetzt diejenigen, die hier den Schaum schlagen, sich eher zum Gehilfen der Atomwirtschaft machen, nämlich auf diese Weise - wenn es denn am Ende dazu käme - dazu beigetragen haben, dass Steuerzahlergeld in die falsche Kasse fließt."
Der Untersuchungsausschuss nimmt derzeit das rechtswidrig verordnete Abschalten des Alt-AKW nach der Reaktor-Katastrophe von Fukushima unter die Lupe. Wer für die Schadensersatzforderungen in Höhe von 238 Millionen Euro haftet, wenn der Energiekonzern RWE sie gerichtlich durchsetzen kann, ist die Frage. Schwarz-Grün mit Bouffier an der Spitze sieht die Bundesregierung in der Pflicht. Holger Bellino, CDU-Obmann im Ausschuss:
"Es gab eine klare Stilllegungsverfügung, es gab eine klare Weisung. Die Länder haben im Auftrag des Bundes gehandelt."
Genau das dementiert die Spitze des Bundesumweltministeriums im Ausschuss. Der Bund habe den Ländern den Wunsch nach einer Weisung ausdrücklich abgeschlagen und Hessen mehrfach klargemacht, dass es rechtlich zuständig sei und bleibe. Dass das Land damit im Zweifelsfall haften würde, musste der Regierung Bouffier wie den anderen Landesregierung klar gewesen sein. Jürgen Becker, ehemaliger Staatssekretär im Bundesumweltministerium, fasst sich kurz.
"So sehen wir das vom Bund."
Und so sieht es auch die SPD-Opposition in Hessen. Fraktionschef Thorsten Schäfer-Gümbel:

"Es ist völlig klar, dass die Länder eigenständig agiert haben, und es ist sozusagen erstes Semester Jurastudium, erste Phase Verwaltungsrecht, dass man Anhörungen durchführt. Dieser Verwaltungsakt war auch vorgenommen und er ist herausgenommen worden, obwohl es in den ursprünglichen Vorlagen vorgesehen war. Das heißt, es gibt da offensichtlich ein Politikum. Und das muss aufgeklärt werden, weil es am Ende das Land bis zu 120 Millionen Euro Schadensersatz kosten kann, und das, obwohl die SPD zur Zeit der Stilllegung bereits darauf hingewiesen hat, dass man eine gesetzliche Grundlage braucht. Das hat Schwarz-Grün damals nicht gemacht, und das Land kann sich nicht reinwaschen dafür, dass sie hier in grob fahrlässiger Weise stümperhaft gearbeitet haben."
Ein Atomlobby-Kumpel im Mäntelchen der Energiewende?
Ein Briefwechsel von Volker Bouffier mit dem damaligen RWE-Vorstandschef Jürgen Großmann ist ebenfalls Gegenstand der parlamentarischen Untersuchung. Der hessische Ministerpräsident soll Großmann damals wunschgemäß schriftlich bestätigt haben, dass er ein Wiederanfahren von Biblis nach Ende des dreimonatigen Moratoriums mit Blick auf den geplanten Atomausstieg verhindern würde. Hätte RWE Biblis wieder ans Netz gebracht und mit dem AKW bis zum Ausstiegsgesetz im Juli 2011 noch Geld verdienen können, dann hätte das Unternehmen zumindest für diesen Zeitraum nicht auf einen finanziellen Ausgleich klagen können.
Lieferte also Bouffier mit seinem Veto erst die Grundlage für die spätere Schadensersatzklage, und zwar in Absprache mit dem Kanzleramt? Was die Hessen-Grünen überhaupt nicht zu beunruhigen scheint, bringt Sylvia Kotting-Uhl, atompolitische Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion, auf die Barrikaden. Im TV-Magazin Monitor echauffierte sie sich über den Brief,
"in dem sich Herr Großmann bei einem Ministerpräsidenten eine Drohung bestellt, damit er seine Atomkraftwerke nicht wieder anfahren muss."
Ein Veto und eine Drohung sozusagen als rechtsgültigen Bescheid, den man für eine Schadensersatzklage brauchte. Der Brief bewegt sich, so wundert sich die grüne Bundestagsabgeordnete,
"auf ganz freundschaftlicher Basis. Diese Nähe zur Politik und einem großen Energiekonzern, um den Steuerzahler am Ende um sein Geld zu bringen, weil dieser Brief eine Berechtigung zur Klage schafft, das ist unglaublich empörend."
Öffentlich im Ökomäntelchen der Energiewende, im Verborgenen aber bester Kumpel der Atomindustrie? So sieht auch die Opposition im Hessischen Landtag den Regierungschef. Volker Bouffier widerspricht.
"Wenn man mir unterstellt, ich hätte bewusst zum Nachteil des Landes Hessen gehandelt, ist das erstens, ehrenrührig, zweitens falsch und drittens weise ich das mit aller Entschiedenheit zurück."
Die Opposition zweifelt Bouffiers Version an. Man ist gespannt auf seine Zeugenaussage im Untersuchungsausschuss. Egal was er sagt, von einer Überzeugung wird sich Linken-Fraktionschefin Janine Wissler nicht abbringen lassen:
"Ich glaube, dass die Atomlobby in der CDU nach wie vor sehr stark ist und die persönlichen Freundschaften zu einzelnen Vorstandsvorsitzenden von Atomkonzernen ja offensichtlich auch."
Die Hessen-CDU – in etwas mehr als einem Jahr grün umlackiert? Alles andere als das, meint die Opposition. Ob Bouffier wirklich zum Stromtrassenbau steht – ungewiss. Ob er sich vom Verdacht, er habe RWE mit oder ohne Absicht in die Hände gespielt, befreien kann – ebenfalls ungewiss. Spannend bleibt, bis zu welchem Punkt der grüne Koalitionspartner die christdemokratische Wendigkeit mitträgt.
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