Energie

Grüne Batterie Europas?

Blick auf isländische Vulkane und Berge an der Gjabakkavegur, einem Abschnitt der Landstraße 365
Blick auf isländische Vulkane und Berge an der Gjabakkavegur, einem Abschnitt der Landstraße 365 © picture alliance / zb
Von Vanja Budde · 06.02.2014
Island liegt genau auf dem Graben zwischen der nordamerikanischen und der eurasischen Erdplatte. Dutzende aktiver Vulkane versorgen die Isländer mit schier unbegrenzten Mengen an geothermischer Energie. Jetzt wollen die von der Finanzkrise gebeutelten Isländer ihre Energie exportieren.
Die "Blue Lagoon" nahe dem internationalen Flughafen und der Hauptstadt Reykjavik ist Islands bekanntester "HotPot": In dem von Kieselsäure milchigblau gefärbten, um die 40 Grad warmen Wasser der Lagune dümpeln im Jahr rund eine halbe Million Besucher, zwei Drittel davon Touristen.
Der Eintritt kostet 30 Euro, das Thermalbad ist modern und schick. Doch an der Straßenkreuzung zur "Blue Lagoon", nur wenige hundert Meter vom Badespaß entfernt, dampft es unschön aus Schloten: Die "Blaue Lagune" entstand aus dem Brauchwasser des geothermischen Kraftwerks Svartsengi.
Es versorgt die Fischereistadt Grindavik mit Fernwärme und Strom. Das Kraftwerk wurde gebaut, nachdem 1969 bei Probebohrungen im hiesigen Vulkansystem ein Hochthermalfeld mit besonders viel Erdwärme entdeckt wurde. In nur eintausend bis zweitausend Metern Tiefe ist das Wasser mehr als 200 Grad heiß.
Vulkankegel prägen die Landschaft Islands: Auf ihren Gipfeln leuchtet weiß der Schnee; viele sind vom blauen Eis der Gletscher bedeckt. Eine Ringstraße, die einmal um Island herum führt, quert immer wieder schwarzes und braunes Geröll einstiger Lavaströme. Überall im Land finden sich heiße Quellen vulkanischen Ursprungs.
Heißes Wasser ist sehr billig
Fünf große Erdwärmekraftwerke nutzen diese Energie: Sie versorgen 95 Prozent der Haushalte mit Fernwärme und stellen ein Viertel der Elektrizität zur Verfügung. Der Rest des Stroms wird mit Wasserkraft erzeugt. Geothermische Energie ist unverzichtbar für das Leben auf Island, erzählt der Bürgermeister von Reykjavik, der frühere Komiker und Punkrocker Jon Gnarr.
"Dank der heißen Quellen ist heißes Wasser in Island extrem billig. In Reykjavik kostet die Heizung für ein ganzes Haus im Durchschnitt 60 Euro im Monat. Ich habe mal in Schweden gelebt, in Nordschweden, wo es im Winter extrem kalt wird, bis zu minus 30 Grad. Und wie ich es von Island gewöhnt war, habe ich die Heizung immer volle Pulle aufgedreht. Als die Rechnung kam, hatte ich einen Nervenzusammenbruch, so hoch war die. Ich glaube, ich musste einen ganzen Monatslohn zahlen. Hier kannst du so viel heißes Wasser verbrauchen, wie du willst, denn wir haben genug davon."
Reykjaviks Parkplätze liegen im Winter wie dunkle Asphaltinseln im Schnee. Sie werden mit dem Heizwasser aus dem Erdinneren gewärmt. So erreicht jeder trockenen Fußes sein Auto - das ist angenehm und kurios zugleich.
Zu Hause angekommen stellen viele Isländer den Wagen in die kuschelige 25 Grad warme Garage und sich selber zur Entspannung erst einmal eine viertel Stunde unter die heiße Dusche.
"Dank Erdwärme sind wir Isländer eine Nation"
Oder sie gehen in eins der 150 Freibäder im Land, wo sich Kinder müde spielen und Erwachsene in den Hotpots entspannen, während der Dampf aus den Heißwasserbecken in den kalten, dunklen Winterhimmel aufsteigt. Zu Hause gucken sie dann im T-Shirt Fernsehen.
"Nur dank der Erdwärme können wir in diesem Land überleben. Ohne das geothermische Heißwasser gäbe es hier nur ein paar Wissenschaftler. Es ist der eigentliche Grund dafür, dass Menschen hier leben, dass wir Isländer eine Nation sind, dass es unsere Sprache gibt. Wasser spielt eine lebenswichtige Rolle in der isländischen Kultur. Die Schwimmbäder zum Beispiel sind nicht einfach nur Schwimmbäder, sie sind öffentliche Treffpunkte. Dort tauschen die Isländer Ideen aus, führen Gespräche und Diskussionen."
Auf Island herrschen beste Bedingungen für die Entstehung von Erdwärme, wie Haraldur Sigurdsson erklärt. Der international renommierte Vulkanologe betreibt in Stykkisholmur auf der Halbinsel Sneafellsness ein privates Vulkanmuseum.
"Island ist vulkanischen Ursprungs, es liegt auf dem Mittelozeanischen Rücken, wo die nordamerikanischen und eurasischen Erdplatten sich auseinander bewegen. Geschmolzenes Gestein oder Magma dringt zwischen den Platten nach oben. Das Grundwasser wird aufgeheizt und steigt Richtung Oberfläche. Das produziert die geothermische Energie: Sehr heißes Grundwasser."
Normalerweise nimmt die Temperatur in der Erdkruste um 30 Grad je Kilometer zu, hier auf Island sind es wegen der vielen aktiven Vulkane bis zu 150 Grad.
So viel Energie wie ein kleines Atomkraftwerk
Kochend heißer Dampf faucht aus einem geothermischen Bohrloch am Kraftwerk Hellisheidi, knapp 20 Kilometer westlich der Hauptstadt Reykjavik. Es riecht nach Schwefel. Die Urgewalt der Vulkanenergie ist beängstigend.
"Die Temperatur unserer Bohrlöcher ist unterschiedlich, das Heißeste hat 340 Grad und 63 Bar Druck."
Kristinn Gislarsson ist der Sprecher des neuesten und größten Erdwärmekraftwerks der Insel. Stolz zeigt er den riesigen Turbinensaal mit den mächtigen, laut dröhnenden Dampfturbinen, groß wie Häuser. Hellisheidi liefert derzeit 130 Megawatt Fernwärme und 330 Megawatt Elektrizität. So viel wie ein kleines Atomkraftwerk. Die Gesamtkapazität beläuft sich auf insgesamt 700 Megawatt. Hellisheidi wäre damit das größte Geothermiekraftwerk der Welt.
"Aus den Bohrlöchern entnehmen wir heißes Wasser und Dampf, unter hohem Druck. Das leiten wir in den Dampfabscheider. Dort reduzieren wir den Druck und trennen den Dampf vom Wasser. Der Dampf treibt diese Turbinen hier zur Stromerzeugung an. Das 85 Grad heiße Wasser pumpen wir ins Heizungssystem von Reykjavik."
Nirgendwo in Europa ist Strom billiger als auf dieser abgelegenen Insel im Nordatlantik: Mit umgerechnet fünf Cent pro Kilowattstunde zahlen die Isländer nicht einmal ein Fünftel des deutschen Preises für Haushaltsstrom. Doch nur fünf Prozent der auf Island produzierten Elektrizität fließen an die privaten Haushalte. 80 Prozent gehen an die Schwerindustrie, erklärt Bjarni Bjarnasson, Chef von "Reykjavik Energy". Der Energieversorger betreibt das Kraftwerk Hellisheidi.
"Weil wir den Strom nicht exportieren können, haben wir die Abnehmer importiert. Das sind Kunden mit hohem Energiebedarf, sonst würde es sich nicht lohnen, hier auf Island zu investieren. Also haben wir hier drei Aluminiumschmelzen, die sehr viel Strom verbrauchen und ein Ferrosiliciumwerk, für das dasselbe gilt. Beim Anblick eines Aluminiumblocks, der für den Export verschifft wird, sehe ich Strom, der in fester Form das Land verlässt."
Der Traum vom Seekabel
Weil es keine direkte Verbindung mit Europas Stromnetzen gibt, muss bislang die gesamte auf Island produzierte Elektrizität auf der Insel verbraucht werden. Deshalb denken Islands Ingenieure seit den 60er-Jahren über eine Möglichkeit nach, Energie mit Hilfe eines Seekabels zu exportieren. Bislang klang der Plan wie ein verrückter Traum, mittlerweile steht sogar Islands Präsident Olafur Ragnar Grimsson dahinter:
"Ein Seekabel von Island nach Schottland und von dort aus weiter nach Europa ist ein sehr spannendes Projekt. Landsvirkjun, der größte Energieversorger in Island, erkundet schon seit vielen Jahren diese Möglichkeit zusammen mit der britischen Regierung. Man hat am Beispiel der Verbindung von Norwegen nach Holland ja auch schon gesehen, dass das funktionieren kann."
Präsident Grimsson meint die Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungsleitung NorNed, die seit 2008 das norwegische mit dem niederländischen Stromnetz verbindet. Ein Seekabel von Island nach Schottland wäre allerdings doppelt so lang.
Es müsste rund 1000 Kilometer überbrücken, erklärt Oli Sveinsson, stellvertretender Entwicklungschef beim staatlichen Stromversorger Landsvirkjun. Und anders als die Nordsee ist der Atlantik zwischen Island und Schottland stellenweise dreitausend Meter tief.
"Das Hauptproblem ist nicht die technische Durchführbarkeit, obwohl es das längste Seekabel der Welt wäre. Das Schwierigste ist die Finanzierung. Der Preisunterschied zwischen Island und Kontinentaleuropa war in der Vergangenheit nicht groß genug. Jetzt aber sehen wir, dass Europa sehr hungrig nach erneuerbarer Energie ist. Und bereit, Höchstpreise dafür zu zahlen."
Verbreitung der Erdwärmenutzung als "Internationale Mission"
Island kann die vier bis fünf Milliarden Euro Kosten für ein Seekabel mit einer Kapazität von mindestens 700 Megawatt nicht allein aufbringen, schon gar nicht nach der Bankenkrise. Doch das muss es ja auch nicht, meint Oli Sveinsson:
"Die Verbindungsleitung selbst, die muss nicht Island besitzen. Die könnte allein von Großbritannien finanziert werden, von der britischen Regierung oder von ausländischen Investoren."
Mit einem Seekabel könnte Island seinen Ökostrom zu sehr viel höheren Preisen verkaufen. Die Aluminiumindustrie nämlich wurde mit Billigangeboten auf die Vulkaninsel gelockt. Deren genaue Höhe sei quasi Staatsgeheimnis, obwohl Landsvirkjun den isländischen Steuerzahlern gehört, beschwert sich der regierungskritische Blog "Saving Iceland". Nach dessen Schätzungen zahlt der internationale Aluminium-Konzern Alcoa auf Island für Strom nur ein Drittel des gängigen Marktpreises. Aus dieser Abhängigkeit würde ein Kabel die Insel befreien: Island hätte damit unbegrenzten Zugang zu den Energiemärkten Europas. Und machte sich auch um den Klimaschutz verdient, betont Präsident Grimsson. Das Staatsoberhaupt hat die Verbreitung der Erdwärmenutzung zur "Internationalen Mission" der Insel erklärt:
"Wir beobachten Deutschlands Ausstieg aus der Atomkraft mit großem Interesse. Island kann da eine Vorbildfunktion haben. Wir brauchen nicht auf internationale Konferenzen zu gehen, um uns über die globale Erwärmung zu informieren: Wir sehen, wie unsere Gletscher schmelzen. Und die einzige Möglichkeit, dem Klimawandel entgegen zu treten, ist saubere, nachhaltige Energie. Wir in Island haben gezeigt, dass es möglich ist. Als ich Kind war, haben wir 80 Prozent unseres Energiebedarfs mit importierten Brennstoffen wie Öl und Kohle gedeckt. Heute haben wir zu 100 Prozent eine saubere, nachhaltige Energiegewinnung."
Für Export mehr Kraftwerke nötig
Doch für einen Export müsste Island seine jährliche Strom-Produktion von bislang 17 Terawattstunden deutlich erhöhen. Eine Aussicht, die nicht nur die Blogger von "Saving Iceland" und den Vulkanologen Haraldur Sigurdsson alarmiert.
"Das Kabel ist machbar. Man verliert bei 1000 Kilometern etwas Energie auf dem Weg, aber nur etwa fünf Prozent. Aber wir müssten wahrscheinlich mehr Kraftwerke bauen, entweder für Wasserkraft oder Geothermische. Im ersten Fall müssten wir große Dämme bauen und viel Land überfluten. Dagegen gibt es viel Opposition, denn man verliert die schöne Natur und das Grasland für die Farmer."
Sigurdsson zeigt aus dem Fenster im ersten Stock seines Vulkanmuseums auf die traumschöne Landschaft seiner Heimat, die er trotz seiner 73 Jahre täglich stundenlang erwandert: Am Horizont leuchtet der Gletscher Snaefell, Wasserfälle schäumen von den Hängen der Berge bis an die schwarzen Lavastrände der Halbinsel. Es ist eine bedrohte Schönheit, denn die Ausbeutung der Geothermie sei keineswegs so problemlos und sauber, wie gerne dargestellt, sagt Sigurdsson. Nicht nur kühlten geothermische Felder auf Dauer ab und verlören an Druck, wenn sie exzessiv genutzt werden.
"Die Kraftwerke stoßen auch Emissionen aus: H2O, Schwefelwasserstoff, und das ist eine sehr gefährliche Chemikalie. Und die sehr salzhaltige Flüssigkeit, die übrig bleibt, wenn der Dampf abgeschieden ist, ist voller Chemikalien und Schwermetalle, Cadmium, Quecksilber. Das kann ein Problem sein. Und das wurde bislang nicht wirklich erforscht."
Erdbeben wären möglich
Die Betreiber geothermischer Kraftwerke pumpen dieses Brauchwasser zurück unter die Erde, 800 Meter tief, weit unterhalb der Grundwasserströme. Fürs Trinkwasser bestehe keine Gefahr, meinen sie. Doch Sigurdsson sieht das anders: Dieses Zurückpressen mit hohem Druck könne in geothermischen Feldern Erdbeben auslösen. Wehe, wenn die Erdstöße die Brauchwasserleitungen beschädigen und die Schwermetalle dann doch ins Grundwasser sickern.
"Ich glaube, dass die Leute beginnen, sich zu überlegen, ob sie wirklich hier eine Energieproduktion im großen Maßstab starten wollen. Natürlich machen viele Ingenieure Druck, den Strom zu exportieren. Doch es gibt auch uns andere, die auf die Umweltfaktoren hinweisen."
Diese Umwelt, die traumschöne Natur, die solle Island vermarkten, rät Haraldur Sigurdsson, den manche den "Indiana Jones von Island" nennen. Nachhaltiger Tourismus statt massive Ausbeutung der Energieressourcen - das ist seine Vision von Islands Zukunft.
Derzeit wird heiß darüber debattiert, wie es weiter gehen soll mit der Ausbeutung der Energieressourcen. Nach der Finanzkrise von 2008 müssen neue Einkommensquellen her. Und Europa lechzt angesichts des Klimawandels nach sauberer Energie, die möglichst wenig Kohlendioxid-Emissionen freisetzt.
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