Endspiel einer moralisch korrupten Welt

Von Dieter David Scholz · 23.02.2013
Im Opernhaus Halle hat sich eines der interessantesten Großprojekte der letzten Jahre gerundet. Das Schlussstück von Richard Wagners "Ring des Nibelungen", der seit 2010 in Kooperation mit dem Theater im Pfalzbau Ludwigshafen geschmiedet wurde, ist über die Bühne gegangen.
Alle drei Akte spielen vor schwarzen Zahlenwänden, die man als Börsenkurstafeln oder Friedhofsschubladen gefallener Helden betrachten mag. Hansgünther Heyme zeigt vor diesem Bild und immer wieder herabfallenden Zwischenvorhängen das Endspiel einer moralisch korrupten Welt in einer Mischung aus Beckett und C.G. Jung mit einem Schuss des Bloch’schen "Prinzips Hoffnung". Und er zeigt dieses Endspiel in einer Welt von heute, mit heutigen Menschen. Mit dieser "Götterdämmerung" hat sich sein "Ring"-Konzept zu einem überzeugenden Ganzen gerundet.

Es ist eine konsequente, einsichtige, politisch bekenntnishafte, am Ende sogar leicht optimistische Lesart des "Rings", die Heyme vorgelegt hat. Er zeigt nicht die pseudogermanische Oberfläche des "Rings", sondern den darin versteckten gesellschaftskritischen Subtext Wagners aus unserer heutigen Sicht. Heyme hat alles teutonisch-germanophile aus seiner Inszenierung verbannt und zeigt in schlichten Bildern und überwiegend modernen Kostümen den Untergang einer alten und das Heraufdämmern einer neuen Welt, in der ein unangepasster Gutmensch wie Siegfried zur tragischen Figur wird. Opfer einer Intrige, die von den Vertretern des alten Systems, mit Shaw zu reden, von den Kapitalisten angezettelt wird.

Platt wird es, wenn Heyme beispiels¬weise die Mannen im zweiten Akt im quietschbunten Mao-Look auftreten lässt und die Frauen als BDM-Scharführerinnen. Um so berührender gelingt ihm Siegfrieds Sterbeszene im dritten Aufzug. Da zeigt Heyme den Sänger allein auf der Vorderbühne, und lässt den Todgeweihten seine letzte Ansprache an Brünnhilde, die ebenfalls tragisch Betrogene, als Vision eines neuen Anfangs erleben.

Heyme führt eindrucksvoll das utopisch-tragische Scheitern einer durchaus positiven, jugendlich-strahlenden Lichtgestalt vor, eines verspielten Tausendsassas, Hanswursts, utopischen Zukunfts-Kasperls, eines grausamen Kindes voller Kraft und Sympathie. Die Sensation der Aufführung ist ein Siegfried-Darsteller, der sängerisch wie schauspielerisch alle Klischees vom "Wagner-Tenor" Lügen straft.

Andreas Schager ist der gegenwärtig attraktivste, jugendlich-sportivste und stimmlich unangestrengteste Siegfried-Tenor. Er singt absolut wortverständlich und spielt hochintelligent. Dagegen bleibt die Brünnhilde von Lisa Livingston eine konventionelle Erscheinung. Aber immerhin verfügt sie über erstaunliche Durchschlagskraft und Kondition, diese große Rolle durchzustehen. Wenn auch mit unüberhörbaren stimmlichen Problemen. Alle übrigen Partien sind ebenfalls überzeugend besetzt. Insgesamt ein Ensemble, das allen Respekt verdient.

Aber auch Generalmusikdirektor Karl-Heinz Steffens und die Staatskapelle Halle bestätigen das hohe musikalische Niveau, das sie in "Rheingold", "Walküre" und Siegfried bewiesen haben. Man erlebt eine klangprächtige, an fein abgemischten Orchesterfarben reiche, eindrucksvolle "Götterdämmerung" im Spagat zwischen imposantem, aber eben auch intimem Wagnerklang. Ein großer Abend zum Abschluss einer ungewöhnlichen Kooperation und eines im nationalen Vergleich unbedingt empfehlenswerten und vorzeigbaren "Ring"-Projekts, auf das die Oper Halle stolz sein kann in diesem Wagnerjahr 2013.
Mehr zum Thema