Emscher Naturpark

Industriewald in der Schweinezone

Die Emscher bei Oberhausen
Die Emscher bei Oberhausen © dpa / picture alliance / Horst Ossinger
Von Katja Bigalke · 24.07.2015
Der Emscher Naturpark soll das Ruhrgebiet weitläufig und grün vernetzen. Auf ehemaligen Erzbahntrassen und bewachsenen Schutthalden blüht wilde Vegetation – und in der ehemaligen Kloake Emscher schwimmt auch mal eine Ente.
Kennen Sie den Emscher Landschaftspark? Diesen riesigen Park im Ruhrgebiet? Nein? Damit sind sie wahrscheinlich nicht allein. Zwar gibt es den Regionalpark, der im Rahmen der Internationalen Bauausstellung Emscher Park entstand und neben regionalen Grünzügen und Revierparks auch Industriekulturdenkmäler wie die Zeche Zollverein in Essen oder den Landschaftspark Duisburg Nord umfasst, schon seit Beginn der 90er Jahre. Aber die schöne Idee einer weitläufigen grünen Vernetzung der Metropole Ruhr wird immer noch viel zu wenig gelebt in dieser dann doch noch sehr zersplitterten Region. Katja Bigalke hat versucht, den Zusammenhang herzustellen. Ein Spaziergang in Etappen, der in Bochum beginnt.
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"Der Emscher Landschaftspark ist ja nicht ein Park im eigentlichen Sinne, sondern ein Bereich, der nicht nur Grünflächenbestandteile umfasst, sondern auch andere Nutzungen wie Wohn und Industriebereiche."
Wolfgang Gaida, der beim Regionalverband Ruhr so etwas wie der Obergärtner im Emscher Landschaftspark ist, tut sich etwas schwer mit dem Begriff Park:
"Man denkt an einen überschaubaren Bereich."
Und nicht an ein von Städten, Bahnlinien, Autobahnen und Kanälen durchkreuztes, irgendwie begrüntes Gebiet.
"Es fängt an in Holzwickede, Dortmund, Lünen, Essen, Bochum, Duisburg. Man kann das auch negativ ausdrücken, die ehemalige Schweinezone, wenn man sich das von früher angeguckt."
Die Zone unter der Emissions-Dunstglocke. Eine ziemlich kühne Idee, daraus einen Park machen zu wollen:
"Die internationale Bauausstellung Emscher Landschaftspark begann 1988 und war dann als Präsentation fertig 1999."
Die iba, die das Land Nordrhein-Westfalen ins Leben gerufen hatte, um den städtebaulichen und ökologischen Wandel in der ehemaligen Industrieregion zu begleiten. Dazu gehörte unter anderem die Renaturierung der Emscher, die Umwidmung ehemaliger Industriestandorte in Kulturdenkmäler. Wild gewachsener Brachen sollten Teil des großen grünen Ensembles werden. Es wurden aber auch neue Gärten angelegt an ehemaligen Industriestandorten wie in Duisburg etwa oder auf den zwischenstädtischen Grünzügen wie rund um das Haus Ripshorst in Oberhausen, offizielles Informationszentrum des Emscher Landschaftspark und Arbeitsplatz von Wolfgang Gaida:
"Die Autobahn ist allgegenwärtig. Hier ist der erste Teil des Gehölzgartens mit den Bäumen und Sträuchern der Tertiärzeit, hier wollte man zeigen, wie sich die Vegetation von der Eiszeit bis heute entwickelt. Das ist die Palownie, die blüht, und der Trompetenbaum aus Amerika, der blüht spät. Dann ganz alte Bäume der Ginko, der Fruchtbäume wie Eichenarten und dann auch Bäume wie der Amberbaum, aus dem Harz, wo Kaugummi draus gewonnen wurde."
Der Tertiärwald schmiegt sich an eine Straße, auf der anderen Seite liegt ein Feld, daneben verläuft der Rhein-Herne-Kanal, daneben die kanalisierte Emscher und eins weiter rauschen die Autos auf der A 42 vorbei. Alles schnurstracks, parallel nebeneinander. Reißbrett-Natur.
Ein Park der Verbindungswege
Die Erzbahnschwinge ist die erste von 15 Brücken. Die ehemalige Bahntrasse ist ja hochgelegt und musste viele Infrastrukturwege überwinden, die Erzbahnschwinge ist eine neu gebaute Brücke, weil man ja neue Wege schaffen musste, um den Park zu erschließen. Das ist das Tor zur Erzbahntrasse, die ist sehr bekannt.
Melanie Hundacker, die mit ihrer Agentur "simply out-tours" auf sportliches Sightseeing im Ruhrgebiet schwört, hält das Fahrrad für das beste Fortbewegungsmittel im Emscherpark. Knapp eine Woche braucht man damit, um die 24 deklarierten Highlights des Parks zu besichtigen – Naturschutzgebiete, ehemalige Gartenschauen, Halden oder Industrienaturflächen. Für die zehn Kilometer lange Erzbahntrasse hingegen, einem der Verbindungswege im Park, reicht eine gute Stunde.
Mit ziemlich rasantem Tempo flitzen Radfahrer hinter Radfahrer über die ehemalige Bahntrasse zwischen Westpark und Rhein-Herne Kanal.
"Das ist eine bekannte Teilstrecke. Die Fabrik benötigte Erze, die kamen über den Rhein-Herne-Kanal und da hat man eine Erzbahntrasse gebaut, Vom Kanal geht es hoch zwei Prozent Steigung, auf dem Rückweg haben die die Kohle aus den Zechen mitgenommen.
Wir bleiben im Grünen weil die Trasse bewuchert ist. Blick auf die Schrebergartenkolonien, klassisch Ruhrgebiet. Durch die Wipfel der Bäume, Rubinien, Akazien."
Wildgewachsene Wäldchen rahmen den asphaltierten Weg, der über Straßen, Autobahnen, Bäche führt. Kirchturmspitzen, begrünte Müll- oder Geröllhalden lugen über die Wipfel der Bäume, erinnern daran, dass die Gegend rund um diesen lauschigen Pfad zu einer der am dichtesten besiedelten Gegenden Europas gehört:
"Man hört immer ein bisschen Straße, aber es ist wahnsinnig grün hier. Viele Touristen sind überrascht, dass es so grün ist. Das ist diese Struktur im Wandel. Während hier früher schwere Güterzüge unterwegs waren, sind jetzt die alten Bergleute, mittlerweile Rentner, dann hier unterwegs und holen sich einen Kaffee."
Holger Müller betreibt an einer ehemaligen Weiche auf der Erzbahntrasse einen Kiosk:
"Es ist halt etwas anders als ein Edelglaspavillon. Ein Büdchen, wie es ins Ruhrgebiet gehört. Alle Schichten treffen sich hier: Berufspendler, Rentner, sehr vielschichtig. Hier kommen drei Städte zusammen: Gelsenkirchen, Bochum, Essen."
Wegekreuzung am Büdchen. Im Grünen.
"Im Allgemeinen ist das schön zu fahren. Bin meistens mit dem Rennrad unterwegs oder mit Frau.
Wir wollen irgendwann in der Bochumer Innenstadt ankommen. Ist super, dass es grün ist, dass man etwas von der Industriekultur mitkriegt.
45 Kilometer, das ist das, was ich fahre, herrlich hier, keine Autos, schön zu fahren. Macht den Kopf frei. Aber mir ne decke mitnehmen, hinlegen und Picknick geht gar nicht, mit Rucksack fahren geht gar nicht, nee. Das brauche ich nicht. Mal nen Kaffe, nen Bier und dann geht es weiter.
Was kann ich tun? Ich nehm zwei Kaffee."
Holger Müller kommt eigentlich aus Norddeutschland, ist im Ruhrgebiet hängengeblieben. Da wo sein Büdchen steht, hatte er vor ein paar Jahren einen Platten und keine Aussicht auf Hilfe. So kam überhaupt die Idee mit dem Büdchen. Seitdem gibt es hier manchmal Gegrilltes. Immer Kaffe, Tee Bier, Muffins und Eis.
"Wir haben hier Flickzeug umsonst, Schläuche und Werkzeug, erste Hilfe, für die Hunde steht dort Wasser. Dann eine Überblickskarte und dann sehen Sie auch, das ist der Scheitelpunkt also mittendrin."
Aber mittendrin von was eigentlich? Das ist auch den Radfahrern, die hier ihr Päuschen einlegen nicht ganz klar:
"Diese ganze Gegend hier bis Duisburg, der Emscher Landschaftspark sagt mir nichts –
ich denke, Sie spielen auf diese Ecke an, das ist ja hier der Ausläufer der Erzbahntrasse.
Nee, mehr als Radweg, Park ist für mich was anderes: Stadtgarten, das ist Park."
Ein Park aus Industrienatur
"Bis ins Unendliche waren nur vereinzelte, absterbende Bäume zu sehen, sowie Sandhaufen, die vom Winde weggeweht wurden und die sich zwischen einigen Wachholderbäumen und dürrem Gras ausstreckten. Wir fuhren auf die Höhen hinauf in der Hoffnung, einen angenehmeren Horizont zu entdecken.
Es blieb wie es war. Das war wirklich eine Einöde."
Dieses Urteil über die Emscher-Gegend stammt von einem französischen Gerbermeister, der 1794 vor der Revolution nach Westfalen geflohen war. Es beschreibt die Landschaft vor der Industrialisierung: vertrocknet, dürr, nicht gerade lieblich.
Peter Keil, Leiter der biologischen Station westliches Ruhrgebiet und in dieser Funktion auch für Flächen des Emscher Landschaftsparks zuständig, wäre wohl mit der damaligen Flora nicht so hart ins Gericht gegangen. Der Mann, der auf Natur in Ballungsräumen spezialisiert ist, findet selbst in der vermeintlichen Einöde wahre Naturschätze. Auf dem Gelände eines ehemaligen Verladebahnhofs zum Beispiel, heute der Gleispark Frintrop und ebenfalls Teil des Emscher Landschaftsparks:
"Wir haben hier vorne eine Fläche, die ist interessant, da wächst so eine kleinwüchsige Seggenart."
Keil beugt sich über ein paar unscheinbare, relativ kurze Halme im trockenen Gras:
"Diese Seggenart hat ihren kontinentalen Verbreitungsschwerpunkt eigentlich eher im Osten und hat hier in NRW eigentlich ihre Grenze, deswegen bin ich sehr froh über so einen stabilen Bestand."
Die Natur hat den Bahnhof, der in den 1950er-, 60er-Jahren stillgelegt wurde, längst in Beschlag genommen. Der Schotter ist von verwachsenem Grün überwuchert. Habichts- und Geiskraut, Sumpfrispengras und Natternkopf. Ein paar Rosen blühen in hellem rosa.
"Das ist eine Hundsrose, auch Weinrosen, die sich ganz von alleine hier angesiedelt haben. Vieles ist sehr klein, aber das spielt ja keine Rolle, da muss man den Blick schärfen."
Ehemalige Industrieflächen als Segen für die Artenvielfalt? Das sieht Keil so. Als eine Art Verwilderung unter Laborbedingungen. Der heiße schwarze Schotter, die fehlende Humusschicht, die pralle Sonne – für Keil sind das regionale Ausnahmesituationen und deshalb besonders spannend.
"Wir nennen das freie Sukzession von Stauden und Gräsern, das hat sich selber angesiedelt, ist von alleine hochgewachsen. Wir haben hier unterschiedliche Entwicklungsphasen, Bereiche, die sind noch ganz offen, kleine Gräser, Sträucher und Mischvegetation und dann erster Wald mit Birken und dieser Urwald, den nennen wir Industriewald."
Industriewald aus Industrienatur. Was paradox klingt, wächst hier auf einem Boden, der quasi von innen nach außen gestülpt wurde. Einmal das Emscher-Tal Inside-Out:
"Das hat mit dem ursprünglichen Boden nichts mehr zu tun. Im Kernruhrgebiet haben wir keinen natürlichen Boden mehr, alles ist mal umgegraben worden, richtig naturnahe Böden gibt es nicht und wenn, dann sind die durch Emissionen verdorben, was da reingetragen wurde, ist enorm."
Ein Park der Industriedenkmäler
"Der Park besteht aus Natur, aber eben auch aus Industriedenkmälern, wie bei der Kokerei Hansa, eine industrielle Großkultur, auf der sich Natur breitmachen konnte."
Marita Pfeiffer ist Kunsthistorikerin. Sie arbeitet bei der Stiftung Industriedenkmalpflege und Geschichtskultur und kümmert sich unter anderem um die Kokerei Hansa in Dortmund. Ein Areal, das nach wie vor restauriert wird. Zwar schloss die Kokerei schon 1992 ihre Tore. Im Vergleich zu anderen Industriedenkmalen im Landschaftspark wie der Zeche Zollverein in Essen, dem Gasometer in Oberhausen oder dem ehemaligen Hüttenwerk in Duisburg Nord, die schon in den 1990ern-Jahren in Parks, Kunst- und Kulturstandorte umgewidmet wurden, nahm die Stadt Dortmund die Kokerei Hansa erst Ende der 90er-Jahre in die Denkmalliste auf. Was aber nicht bedeute, dass das von Birken überwachsene Areal weniger sehenswert sei, meint Marita Pfeiffer:
"Für mich macht die Vielseitigkeit das Spannende aus: die Industriegeschichte, die Technik, die Aura, die die Anlagen ausstrahlen. Man spürt die Arbeit, obwohl sie still liegt, man glaubt die Maschinen zu hören, man kann nah drangehen. Die können Menschen vertragen, auch wenn sie erst mal erschreckend und abweisend wirken."
Marita Pfeiffer führt gerne über das in den 1920er-Jahren zur Zentralkokerei ausgebaute Gelände. Von mehreren Bergwerken mit Steinkohle beliefert, wurden hier zu Hochzeiten 1,9 Millionen Tonnen Kohle pro Jahr zu dem höherwertigen Brennmaterial Koks gebrannt. Allein die Ofenbatterien, in denen die Kohle bei 1000 Grad in ihre Bestandteile zerlegt wird, sind fußballfeldlang:
"Wenn Sie geradeaus schauen, sehen Sie einen geöffneten Ofen. Von oben wurde die Steinkohle eingefüllt, das ist der Füllwagen, der hat die Kohle entgegengenommen und eingelassen in die Öfen. Die Türen waren dann verschlossen und dann wurden die Öfen erhitzt. Das dauerte über 20 Stunden und bei dem Erhitzungsprozess entwich Gas aus der Kohle. Und übrig blieben die festen Bestandteile. Die flüchtigen Bestandteile wurden abgesaugt und es bliebt Koks, reiner Kohlenstoff mit einem viel höheren Brennwert – der wurde im Hüttenwerk gebraucht zum Schmelzen von Eisen. Und dann das Gas, auch sehr hochwertig, auf der weißen Seite wurde das weiterverarbeitet in Wertstoffe wie Teer, Benzol und Ammoniak."
Es ist Marita Pfeiffer wichtig, genau zu erklären, was hier eigentlich gemacht wurde in der Kokerei. Dass hier ein Material, das dem Boden des Ruhrgebiets entnommen wurde, so weiter verarbeitet wurde, dass es Kulturgeschichte schreiben konnte.
"Wir wollen die Vergangenheit vermitteln und die Technik, die unser heutiges Leben prägen. Aus dem Teer, der aus dem Gas gewonnen wurde, wurden Kunststoffe und Farben gemacht. Das wäre sonst undenkbar. Und die haben schon unser modernes Leben bestimmt und wenn man diese Prozesse versteht, dann betrachtet man vielleicht auch die Kunststoffe auch noch mal anders, auch mit einem anderen Blick auf die Vergangenheit."
Auf der Kokerei Hansa funktioniert dieser Bruch, der keiner mehr ist, sehr gut. Selbst das Kribbeln, das einen bei Naturerlebnissen erfasst, im Gebirge, am Rande eines Wasserfalls, oder in großen Tropfsteinhöhlen etwa, lässt sich in den gigantischen Industrieanlagen nachvollziehen. In der Kletterhalle, zu der einer der Türme der Kokerei umgebaut wurde, zum Beispiel. Oder im pechschwarzen Kohlenbunker.
"So, wir befinden uns jetzt in einem Kohlenbunker, der natürlich früher nicht begehbar war. 4000 Tonnen Kohle konnten hier gelagert werden. Dann begreift man, was das für ein Materialfluss war. 33 Meter hoch ist das Gebäude."
Dagegen wirkt die unter einem Wäldchen verstecke Müllhalde nebenan, fast schon lieblich. Wilde aber doch von Menschen gemachte Natur. Echt oder Unecht?
"Ich empfinde es manchmal, wie es Romantiker empfunden haben, wenn sie an den Felsen gestanden haben, aber mit dem Geländer in der Hand. Vielleicht ist das hier ähnlich, dass man der Natur gar nicht so richtig traut, weil die Industrie noch so dominant ist."
Ein Park voller Höhen und Tiefen
"Das ist die Zufahrt zur Halde an der Beckstraße – Karnickel, typisch Ruhrgebiet, das sind die Wildkaninchen."
Kein Besuch des Emscher-Landschaftsparks ohne einen Ausflug auf eine Halde, so sieht das Parkleiter Wolfgang Gaida. Schließlich beherbergt der Park die größte Haldenlandschaft Europas. Aus wertlosen Geröllresten des Steinkohlebergbaus aufgeschüttete Hügel, die wie gigantische Maulwurfshaufen das Ruhrgebiet überziehen. Besonders berühmt – die Halde Beckstraße bei Bottrop.
"Die ist bepflanzt worden die Halde, das hat man immer gemacht, um das Bauwerk Halde zu kaschieren, dass das nicht als schwarzer Körper in der Landschaft ist."
Mountainbiker, Spaziergänger kreuzen den Weg, Jogger nutzen die Steigung fürs Ausdauertraining. Je höher man kommt, desto lichter die Bewaldung. Eine Illusion von Baumgrenze, ganz bewusst gesetzt, um die Sicht frei zu halten und der Stahlpyramide, die hier steht, eine Bühne zu geben. Der Tetraeder. Eine 60 Meter hohe Skulptur, die sich aus dem Schotter erhebt, Aussichtsplattform, Kunstwerk, Landmarke wie Wolfgang Gaida sagt:
"Die Halden sollten ja überhöht werden durch das Aufsetzen der Landmarken, weitere Landmarken – hier die Halde das grüne Gebilde, die Skipiste, dann in der Mitte die Halde Schurenbach auch eine Landmarke. Das ist dann der Bereich Hohewardt und natürlich die ganzen Industrieschlote, die man hier sehen kann."
Die Aussicht reicht weit über das ganze Ruhrgebiet über Städte, Autobahnen, Industriegebiete und erstaunlich viele Grünzüge:
"Das ist alles der Park, da wo grün ist. Früher in den 60ern, da hätten Sie nicht weit schauen können, weil das alles durch die Abgase undurchsichtig war. In den 60ern war der Himmel manchmal gelb, wenn die Kupferhütte was abgelassen hat. Ein bisschen grün war es immer, aber nicht so."
Ein Park zwischen Vergangenheit und Zukunft
"Manchmal hat man das Gefühl, man fährt durch einen Hohlweg, und dann öffnet sich der Blick und man will gucken."
Melanie Hundacker liebt das Ruhrgebiet mit all seinen Kontrasten und Widersprüchen. Die Frau, die an ihrem Fahrrad zwei Klingeln spazieren fährt − eine schwarz-gelb wie Borussia Dortmund, die andere blau weiß wie Schalke 04 – kriegt selbst die beiden großen Fußball-Kontrahenten des Reviers unter einen Hut. So sind auch ihre Touren durch den Emscher-Park: nie einseitig, nicht nur grün und schön, sondern zuweilen auch richtig dreckig. Links der Erzbahntrasse wühlt sich ein Bagger durch die schlammige Erde:
"Hier sieht man den Emscherumbau. Es werden die Zuflüsse, die Köttelbecken, die werden renaturiert. Köttel, so nennt man im Ruhgebiet die Hinterlassenschaften von einem kleinen Häschen und eine Becke ist ein Bach. Die Emscher hatte viele Zuflüsse und diese kleinen Zuflüsse, die alle als Abwasserkanäle genutzt wurden, die werden renaturiert."
Die Renaturierung einer Kloake. Im Ruhrgebiet konnte das Abwasser wegen der ständigen Bodensenkungen im letzten Jahrhundert nicht unterirdisch abgeführt werden, wurde deshalb in die Emscher geleitet und floss überirdisch einmal quer durchs Ruhrgebiet.
Peu à peu werden schon seit 2006 ein Emscher-Teilabschnitt nach dem anderen renaturiert und insgesamt 400 Kilometer unterirdische Abwasserkanäle unter die Erde gebracht, in denen dann Inspektions- und Reinigungsroboter unterwegs sein werden. Ein gigantisches Umbauprojekt, das bis 2020 abgeschlossen sein soll. Die Vision: Eine saubere Emscher, die dem Landschaftspark, dessen Namensgeberin sie immerhin ist, dann alle Ehre machen soll. Am nördlichen Ende der Erzbahntrasse ist es allerdings noch nicht so weit. Es stinkt aus dem grauen Kanalbecken.
"Im Ruhrpott sagt man: Die Schwatte. Die Emscher, eingezäunt und eingedeicht. Man sieht es am Ufer, dass es ein dreckiger Fluss ist. Es schwimmt wirklich eine Ente in der Emscher. Sehr schade – für die Ente."
In einem normalen Park hätte man die Ente eher auf einem hübsch angelegten Teich erwartet. Köttelbecke und schwatte Emscher findet Melanie Hundacker aber auch sehenswert:
"Ich finde es immer noch spannend, den Prozess des Wandels hier mitzuverfolgen. Die Baustellen sind spannend und auch zu erklären, warum ist die denn hier sind. Das Ruhrgebiet hat sich immer um 180 Grad gedreht. Vom Beginn der Industrialisierung, vom mittelalterlichen Ackerbürgerstädtchen dann die Wende in einen Schmelztiegel der industriellen Revolution nach dem Zweiten Weltkrieg und dann alles andersrum mit dem Zechenschließen und dann geht es wieder in die andere Richtung. Mit dem Strukturwandel ist das immer noch im Prozess. Auch mit dem Emscherumbau von einem hinterwäldlerischen System zu dem modernsten der Welt."
Und aus schwarz werde grün. So fügt sich eines zum anderen. Und so macht er langsam Sinn, dieser Park, der nicht wirklich einer ist, der aber vieles zusammenbindet hier: Stadt und Mensch, Industrie und Natur, Vergangenheit und Zukunft.
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