"Emma" startet neue "PorNO"-Kampagne

19.09.2007
Der Widerstand gegen die pornografische Darstellung von Frauen ist nach Ansicht der "Emma"-Herausgeberin, Alice Schwarzer, wichtiger denn je. Die Situation habe sich in den letzten Jahrzehnten noch einmal verschärft, sagte Schwarzer. Durch die neuen Medien "rollen permanent Bilder auf uns zu, wo der entmenschlichte Verkehr, Gruppenvergewaltigungen, Gewalt und Folter auch Jugendlichen und Kinder zugänglich sind".
Dieter Kassel: Es gibt ein neues Kapitel in der Geschichte des Kampfes der Frauenzeitschrift "Emma" gegen die Pornografie, just jetzt, denn in der neuen Ausgabe von "Emma", da finden wir eine neue PorNO-Aktion, initiiert früher und heute von der Gründerin und Herausgeberin der "Emma", Alice Schwarzer. Schönen guten Tag, Frau Schwarzer!

Alice Schwarzer: Ja, guten Tag, Herr Kassel.

Kassel: Wenn ich das mal ganz böse und kurz zusammenfasse: 1978 haben Sie den Prozess gegen den "Stern" verloren, das von Ihnen 1988 geforderte Gesetz gegen Pornografie gibt es bis heute nicht. Warum soll denn diesmal klappen, was streng genommen zweimal misslungen ist?

Schwarzer: Ja, das kann man eigentlich gar nicht sagen, dass das misslungen ist.

Kassel: Ich dachte es mir.

Schwarzer: Ja, ja. Gut, dass Sie mir die Gelegenheit geben, das richtigzustellen. Der Prozess gegen den "Stern", also gegen die erniedrigenden Titelbilder, ist ja geführt worden in dem Wissen, dass wir ihn verlieren würden, denn der Punkt war, es gab damals wie heute kein Gesetz, das Bilder und Texte, die die Frauenverachtung oder den Frauenhass propagieren, verbietet. Es gibt zwar ein Gesetz, das verbietet Bilder und Texte, die den Ausländerhass oder den Judenhass propagieren, aber Frauen sind da immer noch Freiwild. Wir haben also diesen Prozess sozusagen geführt, um in diesem Forum klarzumachen, wir brauchen eigentlich ein Gesetz. Und er war insofern ein Riesenerfolg, als er damals – das kann man, glaube ich, sagen – wirklich die Nation erschüttert hat und über Wochen und Monate Thema Nummer eins bei allen Friseuren und Taxis und in Redaktionen war. Es geht uns ja auch darum, dass die Menschen drüber nachdenken und sensibilisiert sind.

Kassel: Wenn wir uns daran erinnern, welche drei Titelbilder konkret des "Stern" damals der Anlass waren für den Prozess und für Ihre Aktionen in den späten 70er Jahren, das war unter anderem eine Frau, die man von hinten auf einem Fahrrad sieht und man kann ihren nackten Po erkennen. Ein Foto von Grace Jones war ein anderer Fall. Wenn man das vergleicht mit dem, was heute an Pornografie auf DVDs, aber auch oft im Internet auf uns einströmt, muss man nicht gerade in dem Zusammenhang den Kampf gegen Pornografie für gescheitert erklären?

Schwarzer: Nun ja, ganz so harmlos waren die Bilder nicht. Also die Darstellung der Frau von hinten, der sich so der Fahrradsattel ins Gesäß schiebt, ja, die war schon eindeutig. Und Grace Jones war nackt und hatte schwere Fesseln um die Füße. Das spielte auch an an die Sklavin, die schwarze Sklavin. Das darf man nicht zu sehr verharmlosen. Aber Sie haben schon durchaus Recht, seither ist eine Menge passiert, und wir sind noch viel härtere Sachen gewohnt. Auch dank der neuen Medien, Internet und Fernsehen usw., rollen permanent Bilder auf uns zu, wo der ganz entmenschlichte Verkehr und Gruppenvergewaltigungen und Gewalt und Folter auch Jugendlichen und Kindern zugänglich sind. Also es hat sich eher verschärft, aber im Weltmaßstab. Und darum meinen wir, ist es bitterer nötig denn je zu sagen, gibt es denn da keine Möglichkeit, da mal zu sagen, halt.

Kassel: Sie vermischen ja einiges in dem Dossier in der "Emma". Da gibt es Artikel über die Pornografie in den erwähnten neuen Medien, die so neu ja inzwischen nun auch nicht mehr sind im Jahr 2007. Da geht es um Erniedrigung von Frauen in brutalen Pornofilmen. Da gibt es aber auch einen Artikel in der neuen "Emma"-Ausgabe, da geht es um das Problem, dass es angeblich – und ich muss als Unterwäsche kaufender Mann sagen, es stimmt auch schlicht nicht –, aber dass es angeblich keine normalen Unterhosen für Frauen mehr gibt, sondern nur noch Stringtangas, dass es keine bequemen Schuhe mehr gibt, sondern nur noch Lack- und Lederstiefel, wo die Models im Liegen fotografiert werden müssen. Ist das nicht eine etwas ungünstige Vermischung, weil das eine hat ja nun mit irgendwelchen Rappern aus Berlin, die zu Massenvergewaltigungen aufrufen und damit viel Platten verkaufen, recht wenig zu tun?

Schwarzer: Vielleicht aber doch. Also das ist der Text von der Kollegin Annette Anton. Immer wenn sie schreibt, regen sich Leute schrecklich auf.

Kassel: Ich rege mich gar nicht auf, ich finde den Text sehr lustig, nur den Zusammenhang, den erkenne ich nicht …

Schwarzer: Ich erkläre ihn gerne. Die Kollegin Anton ist übrigens eine – ich darf das sagen – eine sehr hübsche, zierliche Person und durchaus sexy angezogen, also der hängen die Trauben nicht zu hoch. Und die sagt nun, es fällt ihr auf, dass man heutzutage im Kaufhaus eine Art von Wäsche kaufen kann, die man früher nur im Rotlichtviertel kriegte. Und dass man, selbst wenn man Highheels trägt, wie Frau Anton das tut, dass die Schuhe inzwischen so halsbrecherisch sind, dass man damit nicht mehr die Straße überqueren kann. Wir sehen da durchaus einen Zusammenhang, weil wir sprechen heute nicht mehr, im Gegensatz zu den früheren PorNo-Kampagnen, nur von der Pornografie im engeren Sinne, also das, was wirklich die Pornoindustrie produziert, die Filme und Hefte usw. Die sind sogar im Rückgang. Wir sprechen von einer Pornografisierung der gesamten Kultur und sagen, in diesen letzten 20 Jahren ist wirklich noch mal etwas passiert. Wir registrieren, dass es einen Trend gibt, der uns suggeriert, eine Frau ist nur noch begehrenswert, wenn sie sich wirklich auf unterwürfige Art und Weise zum Objekt macht und so anbietet. Es gibt eine Menge, die tun das nicht. Aber gerade junge Frauen sind eben in Gefahr, das zu glauben. Und wissen Sie, wenn Sie so wie ich manchmal – ich bin in Köln und der Ring, die Ringe, das ist ein Ausgehviertel, aber das ist auch ein Viertel, wo es immer Straßenprostitution gab, und wenn da eine junge Frau steht und man fragt sich, wartet die jetzt auf ihren Freund oder auf den Freier. Ich glaube, das könnte für die junge Frau zum Problem werden. Sie gibt da Signale, die sie vielleicht gar nicht geben will. Und dafür wollen wir sensibilisieren.

Kassel: Wenn ich mir das jetzt gerade angehört habe, was Sie da über den Ring in Köln gesagt haben, über das normale junge Mädchen, das möglicherweise nur verabredet ist zur Party und dann aussieht wie eine Nutte – ich sage das bewusst jetzt mal –, darauf wollten Sie hinaus.

Schwarzer: Natürlich, dass man denkt, ist das nun eine Prostituierte oder ist das ein übermütiges Mädchen, das jetzt ausgehen will, richtig.

Kassel: Wenn das der – unterstellen wir mal späte Vaterschaft – 60-jährige Vater des Mädchen so sagt, dann würden Sie sich aber wahrscheinlich aufregen bei der Idee, oder?

Schwarzer: Ja, Sie …

Kassel: Sie wissen, was ich meine. Ich meine, wir werden …

Schwarzer: Nein, sehr gut, dass Sie mir das sagen, sehr gut, dass Sie mir das sagen.

Kassel: … wir werden ja alle nicht jünger, ist das nicht auch so ein bisschen spießig?

Schwarzer: Es geht jetzt immerzu um die Linie, die uns bei der Sache ja interessiert. Geht es hier um Prüderie, geht es um Bevormundung, will die "Emma" den jungen Frauen den Minirock vermiesen, wie man gerade wieder lesen konnte. Das ist natürlich alles absurd. Also ich glaube, es gibt eine Gefahr bei einer gewissen Art von Mode, die uns wieder behindert oder die uns lächerlich macht oder die uns den Frauenkörper nicht zugesteht, die uns zu kleinen Mädchen machen will. Und darüber muss man reden können, ohne sich gleich beschuldigen zu lassen, man sei eine Spielverderberin.

Kassel: Das kann man ja, aber wo Sie jetzt selber auf etwas hinauswollen, was, glaube ich, schlicht und ergreifend der Artikel der Journalistin Iris Radisch in der "Zeit" ist, die hat ja ein bisschen ausgeteilt, was Ihre neue PorNo-Aktion angeht. Darauf reagieren Sie auch schon, zumindest in der Online-Ausgabe der "Emma", ist ja schön und gut. Aber wenn man sich das mal, was Frau Radisch geschrieben hat, genau durchliest, dann bestreitet sie ja nicht, dass es sehr schmutzige, ekelhafte, frauenfeindliche Pornografie gibt, sie bestreitet nicht, dass das sehr junge Menschen inzwischen erreicht, Mädchen auch, Jungens natürlich im Wesentlichen. Die bestreitet nur …

Schwarzer: Nein, die Jungens kriegen ja auch ein komisches Frauenbild.

Kassel: Natürlich. Was da aber bestritten wird in diesem Artikel, über den wir gerade sprechen, ist, dass man mit den Mitteln des Feminismus im Jahr 2007 noch was gegen Pornografie unternehmen kann.

Schwarzer: Natürlich werden Sie nur mit den Mitteln des Feminismus die Pornografie bekämpfen können. Es gibt nämlich außer den Feministinnen oder denjenigen, die finden – auch zunehmend vielen Männern –, Mensch, da haben die ganz Recht. Also Frauen haben auch eine Würde und wir müssen uns mal die Frage stellen, was singen denn eigentlich die Rapper. Es ist klasse, wenn man Frauen in Gruppen vergewaltigt, wenn man ihnen eine Eisenstange in die Vagina stößt usw., und das ist geil, wenn die Schmerzen haben und Angst haben. Ich meine, das ist einfach skandalös, so etwas als schick zu propagieren. Und da sind wir Feministinnen natürlich führend. Wir sind die Ersten gewesen und wir bleiben die Ersten, die sagen, Moment mal, halt, Frauen sind auch Menschen und haben auch eine Würde zu verlieren. Und wenn ihr solche Texte und Bilder meinetwegen über Türken oder Schwarze veröffentlichen würdet oder gar Juden, dann würde das sofort verboten, das ist doch ganz einfach. Wir müssen einfach dieselben Maßstäbe für Frauen haben wie für andere Menschengruppen. Und wenn wir die anlegen, dann führen wir ein sehr ernsthaftes Gespräch über diese Gefahren.

Kassel: Ich danke Ihnen, Alice Schwarzer.

Schwarzer: Ich danke Ihnen, Herr Kollege.

Kassel: Alice Schwarzer war das, tschüss nach Köln, Alice Schwarzer. Über die Pornografie und was man dagegen tun kann. Im Print-Heft von "Emma" ist das erwähnt, im Dossier nachzulesen, vieles davon gibt es auch im Internet unter der ja ebenfalls auch schon erwähnten Adresse www.emma.de.