Emma Cline: "The Girls"

Sie will doch nur schreiben

Emma Cline
Die US-amerikanische Schriftstellerin Emma Cline. © dpa/Foto: Jussi Nukari
Von Irene Binal  · 21.09.2016
Es klingt wie ein Märchen: Die 25-jährige Amerikanerin Emma Cline schreibt einen Roman, der lose auf der Geschichte der Manson-Family basiert und darum schon vor seinem Erscheinen einen Hype auslöst. Nur die Autorin selbst scheint das gar nicht zu beeindrucken.
"Das Schreiben ist etwas so Privates und dieses öffentliche Interesse ist sehr erschreckend und kein Teil meiner Arbeit, der mir Spaß macht. Das ist nicht der Grund, warum ich schreibe. Je mehr ich mich von all dem Aufruhr fernhalten kann, desto besser für mich und mein Schreiben."
Nicht gerade die Worte, die man von einer Bestsellerautorin erwarten würde. Aber Emma Cline legt keinen Wert darauf, ein Star zu sein. Klein ist sie und zierlich, mit langen, blonden Haaren und einem feinen, etwas müden Gesicht. Müde, weil es früh am Morgen ist, aber auch, weil sie schon wochenlang durch Europa tingelt und ein Interview nach dem anderen gibt. Das Interesse der Journalisten scheint ihr mittlerweile ein bisschen auf die Nerven zu gehen:
"Wie gesagt, es ist für mich so fremd. Ja, die Welt funktioniert so, aber es fühlt sich für mich sehr unnatürlich an."

Die Kommune erinnert an die Manson-Family

Aber so ist das eben, wenn gleich der allererste Roman die Bestsellerlisten stürmt. Und dieser Erfolg kommt nicht von ungefähr: Die Geschichte der 14-jährigen Evie, die Ende der 60er-Jahre in den Bann einer Hippiekommune in Kalifornien gerät, ist geschickt konstruiert, klug erzählt und nicht zuletzt spannend wie ein Krimi. Ein bisschen erinnert die Kommune an die Manson-Family, mit einem egozentrischen und skrupellosen Anführer, der seine Verehrerinnen nach Lust und Laune manipuliert. Aber Emma Cline ging es nicht darum, die Geschichte von Charles Manson nachzuzeichnen:
"Was an der Manson-Geschichte und anderen Kommunen interessant ist, ist die Sehnsucht nach einem Leben abseits der Gesellschaft und wie solche Gruppen die Gesellschaft spiegeln; sie sind Mikrokosmen mit einer eigenen Dynamik. Ich denke viel darüber nach, wie Familien funktionieren, wie Gruppen funktionieren, da gibt es viele Ähnlichkeiten."
Emma Cline muss es wissen, schließlich wuchs sie in Kalifornien mit nicht weniger als sechs Geschwistern auf:
"Das war wie eine kleine Kommune. Ich glaube, deshalb interessiere ich mich für Gruppendynamik, wie man in der Gruppe Aufmerksamkeit sucht oder wie Menschen sich in Beziehung zu einer Gruppe definieren."
Aus dieser turbulenten Kindheit, in der sie kaum je für sich sein konnte, hat Emma Cline auch einen gewissen Hang zum Alleinsein mitgenommen. Nach ihrem Umzug ans andere Ende des Landes, nach New York, bewohnte sie ein Häuschen in einem Hinterhof in Brooklyn, das ihr ein Freund zur Verfügung gestellt hatte:
"Ich habe dort ein paar Jahre gewohnt, weil es billig war und ich dieses seltsame, kleine Haus mochte. Es eignete sich gut zum Schreiben, es gab kein Internet, es gab nichts zu tun, außer meinen Roman zu schreiben. Es war eine hilfreiche Umgebung."

Irritiert über den Hype

Schreiben – das ist für die junge Autorin eine absolute Notwendigkeit. Sie kann es immer und überall, braucht keine spezielle Umgebung, nur viel, viel Ruhe. Umso mehr irritiert sie jetzt die Aufregung um ihren Roman, der schon vor der Veröffentlichung in den USA zum Medienereignis wurde und Emma Cline stolze zwei Millionen Dollar einbrachte. Was ihr aber ziemlich gleichgültig ist:
"Das ist für mich nicht wirklich relevant."
Sie spricht nicht gern über Geld und auch nicht über sich selbst. Ja, ihre Geschwister mögen ihr Buch. Nein, sie kocht nicht besonders gern. Nein, sie hat kein Haustier, und nein, auch keine besonderen Hobbies, außer Lesen. Ja, sie schreibt gelegentlich Essays für Zeitschriften, aber das journalistische Arbeiten macht ihr keinen Spaß. Und die Frage nach ihrer Verantwortung als Autorin mag sie gar nicht beantworten:
"Es ist zu früh am Tag, um über meine Verantwortung nachzudenken."
Emma Cline macht ganz den Eindruck eines Stars wider Willen. Kein Wunder, dass sie sich schon darauf freut, nächste Woche wieder nach Hause zu kommen, und nicht mehr über ihren Erstling sprechen zu müssen:
"Ich habe ´The Girls` vor einer Weile abgeschlossen und jetzt darüber zu reden ist, als ob mein Kind aus dem Internat heimkommt: ach, du schon wieder!"
Stattdessen will sie endlich an ihrem neuen Buch weiterarbeiten, an dem sie schon seit einem Jahr schreibt:
"Wenn ich schreibe, brauche ich diese geistige Stille, ich muss hineintauchen, und Interviews und die ganze Publicity bringen mich wieder an die Oberfläche, und zwar so, dass ich nicht schreiben kann."

Emma Cline: "The Girls"
Übersetzung Nikolaus Stingl
Hanser-Verlag München, 2016
352 Seiten, 22,00 Euro

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